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Die deutsche Schuldenbremse zwingt den Staat, Geld auf der Straße liegen zu lassen

Summary:
Bei den gegenwärtigen niedrigen Zinsen ist die grundgesetzliche Begrenzung des Haushaltsdefizits schädlich und sollte schnellstmöglich ersetzt oder ausgesetzt werden. Deutschland sollte stattdessen die Gründung eines Staatsfonds in Erwägung ziehen. Die deutsche Schuldenbremse wurde in letzter Zeit scharf kritisiert (z.B. Hüther und Südekum, 2019, oder Truger, 2019).  Andere verteidigen die Schuldenbremse hingegen (z.B. Feld und Reuter, 2019). Dieser Beitrag veranschaulicht, warum die Kritiker der Schuldenbremse Recht haben, und argumentiert, dass sie abgeschafft oder zumindest ausgesetzt werden sollte. Die vorherrschenden niedrigen Zinsen bieten gerade für Deutschland große Chancen. Leider steht dem Nutzen dieser Chancen die Schuldenbremse im Weg, da sie die möglichen und

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Matthias Weber considers the following as important:

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Bei den gegenwärtigen niedrigen Zinsen ist die grundgesetzliche Begrenzung des Haushaltsdefizits schädlich und sollte schnellstmöglich ersetzt oder ausgesetzt werden. Deutschland sollte stattdessen die Gründung eines Staatsfonds in Erwägung ziehen.

Die deutsche Schuldenbremse wurde in letzter Zeit scharf kritisiert (z.B. Hüther und Südekum, 2019, oder Truger, 2019).  Andere verteidigen die Schuldenbremse hingegen (z.B. Feld und Reuter, 2019). Dieser Beitrag veranschaulicht, warum die Kritiker der Schuldenbremse Recht haben, und argumentiert, dass sie abgeschafft oder zumindest ausgesetzt werden sollte.
Die vorherrschenden niedrigen Zinsen bieten gerade für Deutschland große Chancen. Leider steht dem Nutzen dieser Chancen die Schuldenbremse im Weg, da sie die möglichen und notwendigen Investitionen verhindert. Diese Investitionen könnten zu einem Preis finanziert werden, der über Jahrzehnte utopisch günstig erschien: Der Realzins auf deutsche Anleihen ist weit im negativen Bereich (sogar der Nominalzins ist im Moment negativ). Während private Haushalte die niedrigen Zinsen zum Beispiel durch Immobilienfinanzierungen nützen, haben sich Bund und Länder den Weg zur Kreditfinanzierung weitestgehend verbaut. 
Zwei Beispiele: Im Moment liegt der Nominalzinssatz für 10-jährige deutsche Staatsanleihen bei ungefähr -0.5%. Wenn in den nächsten Jahren die Inflation in Deutschland 1.5% beträgt, so liegt die reale Rückzahlung, die der deutsche Staat in 10 Jahren für jeden Euro Schulden leisten muss, bei ungefähr 82 Cent. Der Staat bekommt also für jeden Euro Schulden (inflationsbereinigt) in etwa 18 Cent geschenkt! Noch deutlicher wird es im Fall von 30-jährigen Staatsanleihen: Diese haben im Moment einen Zinssatz von ungefähr -0.1%. Bei Preissteigerungen von jährlich 1.5% in den nächsten 10 Jahren und 2% danach beträgt die reale Rückzahlung eines Euros Schulden in 30 Jahren nur rund 56 Cent, der Staat bekommt also pro Euro in etwa 44 Cent geschenkt. 
Das Geld liegt somit sprichwörtlich auf der Straße, die Schuldenbremse verbietet jedoch, es aufzuheben. Dabei sind viele Investitionen notwendig und rentabel, seien es Investitionen in erneuerbare Energien, Kindergrippen und Kindergärten, Schulen, Universitäten, digitale Infrastruktur, Schienen, Straßen oder Brücken. Tatsächlich sind die öffentlichen Investitionen in den letzten Jahrzehnten zurückgegangen (siehe z.B. Gornig, 2019). Anfang der 90er Jahre lagen die öffentlichen Nettoanlageinvestitionen (d.h., Investitionen von denen der Wertverfall früherer Investitionen abgezogen wurde) noch bei ungefähr 12 bis 15 Milliarden Euro (natürlich auch bedingt durch die Wiedervereinigung). Im Gegensatz dazu lagen die Nettoinvestitionen in den letzten 20 Jahren zwischen negativen 5 und positiven 4 Milliarden Euro pro Jahr, im Durchschnitt nahe 0. Auch die letzten Jahre der Niedrigzinspolitik haben zu keiner klaren Trendwende geführt, wenngleich der Bund seit 2014 etwas mehr Mittel für Investitionen bereitstellt. Die öffentliche Infrastruktur in Deutschland ist dementsprechend in einem beklagenswerten Zustand. Vieles spricht dafür, dass die öffentlichen Investitionen äußerst rentabel wären (Krebs and Scheffel, 2017, schätzen, dass die fiskalische Rendite, d.h. die Rendite die die Finanzierungskosten schon mit einbezieht, für Investitionen zwischen 7 und 12% liegt; diesen Berechnungen liegen Realzinsen von +1% Zugrunde, sehr viel höher, als sie momentan sind). 
Ein Einwand gegenüber zusätzlichen Investitionen sind die begrenzten Kapazitäten zur Durchführung von Investitionsprojekten. Einerseits fehle es in der Verwaltung an Personal zur Planung und Begleitung von Investitionsvorhaben, andererseits sei speziell der Bausektor voll ausgelastet. Im Bereich Erziehung, Bildung und Forschung zeichnet sich derweil ein zunehmender Mangel an qualifiziertem Personal ab. Höhere Investitionskosten führen irgendwann zweifellos zu geringeren öffentlichen Renditen, solange den Investitionen aber positive Renditen zugeschrieben werden, bleibt das Zinsniveau als Argument ausschlaggebend.
Unabhängig davon, welche Investitionen derzeit günstig getätigt werden können, könnte Deutschland auch durch die Gründung eines Staatsfonds von der niedrigen Zinslast profitieren. Es gibt bisher vor allem positive Beispiele für solche Staatsfonds, bislang jedoch vor allem in Staaten mit Öl- oder Gasvorkommen. Dass ein Staatsfond auch für Deutschland eine gute Idee wäre, liegt auf der Hand: Wenn der Staat einen Euro Schulden über eine 30-jährige Anleihe aufnimmt und diesen in ein breit gestreutes Portfolio investiert, macht er damit Gewinn. Langfristig wachsen Aktienportfolios real mit ca. 7%. Über einen so langen Zeitraum wie 30 Jahre wäre das wahrscheinlich keine schlechte Annahme, aber angenommen, dass der Staatsfond teilweise in weniger ertragreiche (und riskante) Anleihen investiert und dass der Ertrag in den nächsten 30 Jahren niedriger liegt als in der Vergangenheit. Bei einer geringen Rendite von real nur 2.5% (noch weniger ist über einen so langen Zeitraum äußerst unwahrscheinlich) würden aus einem Euro in 30 Jahren inflationsbereinigt immer noch ungefähr 2.10 Euro werden. Davon müssten 56 Cent zur Rückzahlung genutzt werden. Für jeden investierten Euro käme der Staat auf 1.54 Euro Gewinn, Geld, das der Staat nicht an anderer Stelle einnehmen muss (zum Beispiel durch Lohnsteuern). In gewisser Weise könnte man die hohe Kreditwürdigkeit der Bundesrepublik als ihr „Öl“ bezeichnen. 
Das Problem der Schuldenbremse ist in Zeiten niedriger Zinsen besonders offensichtlich, sie ist aber unabhängig vom Zinsniveau problematisch. Der Grund ist, dass es dem Staat oft verboten wird zu investieren – Länder dürfen gar keine neuen Schulden machen, der Bund nur ein bescheidenes strukturelles Defizit von 0.35% des BIPs verbuchen. Entscheidend dafür, ob Investitionen gut sind, ist aber in erster Linie nicht, ob dafür Schulden gemacht werden. Wenn eine Brücke alt ist, gibt es zwei Möglichkeiten damit umzugehen. Die erste ist, diese regelmäßig zu sanieren, was jedes Jahr laufende Kosten verursacht. Die zweite ist, die Brücke einmal abzureißen und neu zu bauen. Die zweite Option wäre eine Investition. Welche Option besser ist, hängt davon ab, wie hoch die laufenden Kosten der Sanierungsarbeiten in Relation zu den Kosten eines Neubaus sind und davon, zu welchen Konditionen sich der Neubau finanzieren lässt. Die Schuldenbremse führt dazu, dass die Sanierung häufig auch dann bevorzugt wird, wenn ein Neubau effizienter wäre. Befürworter der Schuldenbremse mögen einwenden, dass der Staat sich trotz Schuldenbremse für entsprechende Investitionen entscheiden kann, indem er andere Staatsausgaben zurückfährt. In der Praxis ist das nicht leicht – auch für Ausgaben, die keine Investitionen sind, gibt es oft gute Gründe, und auch für Ausgaben ohne gute Begründung gibt es oft Zahlungsverpflichtungen. 
Da im Moment zusätzlich Schulden für Investitionen sinnvoll wären, stellt sich die Frage, wie sich die Schuldenbremse reformieren ließe. Eine einfache Option wäre, sie so zu reformieren, dass die Neuverschuldung nicht höher sein darf, als die Höhe der Investitionen. Das wäre sinnvoll, da Investitionen sich von anderen Staatsausgaben im Besonderen dadurch unterscheiden, dass sie das Wachstumspotenzial in der Zukunft erhöhen – dass also vor allem diejenigen profitieren, die die Schulden später zurückzahlen müssen, und dass die erhöhte Wirtschaftsleistung die Rückzahlung dann leichter macht. Es wäre auch eine Option, die Schuldenbremse zunächst für einen begrenzten Zeitraum, zum Beispiel fünf Jahre, auszusetzen, so dass die Politik Zeit bekommt, zu überlegen, wie eine neue Schuldenbremse aussehen sollte (in dem Fall, könnte man während der fünf Jahre eine Schuldenobergrenze vereinbaren, die deutlich über der jetzigen liegt). Von einem Aussetzen der Schuldenbremse könnten vielleicht selbst ihre Verfechter überzeugt werden, um zumindest die extrem günstigen Bedingungen der aktuellen Niedrigzinsphase zu nutzen. Darüber hinaus sollte natürlich auch auf europäischer Ebene diskutiert werden, wie die gegenwärtigen Regeln der EU zur Staatsverschuldung – die weniger strikt sind als die deutsche Schuldenbremse – überarbeitet werden können.
Die genannten Beispiele zeigen nur die ganz offensichtlichen Vorteile von mehr schuldenfinanzierten Investitionen. Zusätzlich gäbe es weitere makroökonomische Vorteile für Deutschland und Europa, die im Folgenden der Vollständigkeit halber kurz aufgeführt werden. Mehr deutsche Schulden würden zum Beispiel zu einem Abbau des deutschen Leistungsbilanzüberschusses führen und die Spannungen mit den USA und anderen europäischen Ländern entschärfen. In einer Zeit, in der die EZB daran scheitert, Ihr Inflationsziel von (fast) 2% zu erreichen, würde eine expansivere deutsche Fiskalpolitik es der EZB auch erleichtern, die Inflation in Richtung des Ziels bewegen. So würde deutsche Fiskalpolitik einen Beitrag zu einer „Normalisierung“ der Geldpolitik leisten (dies könnte auch eine Ausweitung des Mandats der EZB – siehe z.B. Weber, 2018 – überflüssig machen). Zusätzlich würde die erhöhte Nachfrage in Deutschland auch die Nachfrage nach Produkten aus anderen EU-Ländern erhöhen und dort helfen, die Arbeitslosigkeit zu verringern. Die Schuldenbremse ist auch nicht geeignet um antizyklische Fiskalpolitik zu betreiben (leicht antizyklische Fiskalpolitik ist möglich), obwohl diese im Besonderen in einer Währungsunion eine wichtige Rolle spielen sollte (z.B. Bertasiute et al., 2018), da dort Geldpolitik nicht für die Stabilisierung einzelner Staaten zur Verfügung steht. Man sollte auch bedenken, dass deutsche Staatsanleihen als Sicherheiten bei der Kreditvergabe eine wichtige Rolle für die Finanzmarktstabilität spielen – wenn die Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form bestehen bliebe, würden die deutschen Staatsschulden langfristig massiv sinken (siehe z.B. Hüther und Südekum, 2019), so dass kaum mehr Bundesanleihen als Sicherheiten vorhanden wären.

Die deutsche Schuldenbremse wurde in letzter Zeit scharf kritisiert (z.B. Hüther und Südekum, 2019, oder Truger, 2019).[ 1 ] Andere verteidigen die Schuldenbremse hingegen (z.B. Feld und Reuter, 2019). Dieser Beitrag veranschaulicht, warum die Kritiker der Schuldenbremse Recht haben, und argumentiert, dass sie abgeschafft oder zumindest ausgesetzt werden sollte.

Die vorherrschenden niedrigen Zinsen bieten gerade für Deutschland große Chancen. Leider steht dem Nutzen dieser Chancen die Schuldenbremse im Weg, da sie die möglichen und notwendigen Investitionen verhindert. Diese Investitionen könnten zu einem Preis finanziert werden, der über Jahrzehnte utopisch günstig erschien: Der Realzins auf deutsche Anleihen ist weit im negativen Bereich (sogar der Nominalzins ist im Moment negativ). Während private Haushalte die niedrigen Zinsen zum Beispiel durch Immobilienfinanzierungen nützen, haben sich Bund und Länder den Weg zur Kreditfinanzierung weitestgehend verbaut. 

Zwei Beispiele: Im Moment liegt der Nominalzinssatz für 10-jährige deutsche Staatsanleihen bei ungefähr -0.5%. Wenn in den nächsten Jahren die Inflation in Deutschland 1.5% beträgt, so liegt die reale Rückzahlung, die der deutsche Staat in 10 Jahren für jeden Euro Schulden leisten muss, bei ungefähr 82 Cent. Der Staat bekommt also für jeden Euro Schulden (inflationsbereinigt) in etwa 18 Cent geschenkt! Noch deutlicher wird es im Fall von 30-jährigen Staatsanleihen: Diese haben im Moment einen Zinssatz von ungefähr -0.1%. Bei Preissteigerungen von jährlich 1.5% in den nächsten 10 Jahren und 2% danach beträgt die reale Rückzahlung eines Euros Schulden in 30 Jahren nur rund 56 Cent, der Staat bekommt also pro Euro in etwa 44 Cent geschenkt. 

Infrastruktur ist in beklagenswertem Zustand

Das Geld liegt somit sprichwörtlich auf der Straße, die Schuldenbremse verbietet jedoch, es aufzuheben. Dabei sind viele Investitionen notwendig und rentabel, seien es Investitionen in erneuerbare Energien, Kinderkrippen und Kindergärten, Schulen, Universitäten, digitale Infrastruktur, Schienen, Straßen oder Brücken. Tatsächlich sind die öffentlichen Investitionen in den letzten Jahrzehnten zurückgegangen (siehe z.B. Gornig, 2019). Anfang der 90er Jahre lagen die öffentlichen Nettoanlageinvestitionen (d.h. Investitionen, von denen der Wertverfall früherer Investitionen abgezogen wurde) noch bei ungefähr 12 bis 15 Milliarden Euro (natürlich auch bedingt durch die Wiedervereinigung). Im Gegensatz dazu lagen die Nettoinvestitionen in den letzten 20 Jahren zwischen negativen 5 und positiven 4 Milliarden Euro pro Jahr, im Durchschnitt nahe 0. Auch die letzten Jahre der Niedrigzinspolitik haben zu keiner klaren Trendwende geführt, wenngleich der Bund seit 2014 etwas mehr Mittel für Investitionen bereitstellt. Die öffentliche Infrastruktur in Deutschland ist dementsprechend in einem beklagenswerten Zustand. Vieles spricht dafür, dass die öffentlichen Investitionen äußerst rentabel wären (Krebs and Scheffel, 2017, schätzen, dass die fiskalische Rendite, d.h. die Rendite, die die Finanzierungskosten schon mit einbezieht, für Investitionen zwischen 7 und 12% liegt; diesen Berechnungen liegen Realzinsen von +1% zugrunde, sehr viel höher, als sie momentan sind). 

Ein Einwand gegenüber zusätzlichen Investitionen sind die begrenzten Kapazitäten zur Durchführung von Investitionsprojekten. Einerseits fehle es in der Verwaltung an Personal zur Planung und Begleitung von Investitionsvorhaben, andererseits sei speziell der Bausektor voll ausgelastet. Im Bereich Erziehung, Bildung und Forschung zeichnet sich derweil ein zunehmender Mangel an qualifiziertem Personal ab. Höhere Investitionskosten führen irgendwann zweifellos zu geringeren öffentlichen Renditen, solange den Investitionen aber positive Renditen zugeschrieben werden, bleibt das Zinsniveau als Argument ausschlaggebend.

Unabhängig davon, welche Investitionen derzeit günstig getätigt werden können, könnte Deutschland auch durch die Gründung eines Staatsfonds von der niedrigen Zinslast profitieren. Es gibt bisher vor allem positive Beispiele für solche Staatsfonds, bislang jedoch vor allem in Staaten mit Öl- oder Gasvorkommen. Dass ein Staatsfond auch für Deutschland eine gute Idee wäre, liegt auf der Hand: Wenn der Staat einen Euro Schulden über eine 30-jährige Anleihe aufnimmt und diesen in ein breit gestreutes Portfolio investiert, macht er damit Gewinn. Langfristig wachsen Aktienportfolios real mit ca. 7%. Über einen so langen Zeitraum wie 30 Jahre wäre das wahrscheinlich keine schlechte Annahme, aber angenommen, dass der Staatsfond teilweise in weniger ertragreiche (und riskante) Anleihen investiert und dass der Ertrag in den nächsten 30 Jahren niedriger liegt als in der Vergangenheit. Bei einer geringen Rendite von real nur 2.5% (noch weniger ist über einen so langen Zeitraum äußerst unwahrscheinlich) würden aus einem Euro in 30 Jahren inflationsbereinigt immer noch ungefähr 2.10 Euro werden. Davon müssten 56 Cent zur Rückzahlung genutzt werden. Für jeden investierten Euro käme der Staat auf 1.54 Euro Gewinn, Geld, das der Staat nicht an anderer Stelle einnehmen muss (zum Beispiel durch Lohnsteuern). In gewisser Weise könnte man die hohe Kreditwürdigkeit der Bundesrepublik als ihr „Öl“ bezeichnen. 

Das Problem der Schuldenbremse ist in Zeiten niedriger Zinsen besonders offensichtlich, sie ist aber unabhängig vom Zinsniveau problematisch. Der Grund ist, dass es dem Staat oft verboten wird, zu investieren – Länder dürfen gar keine neuen Schulden machen, der Bund nur ein bescheidenes strukturelles Defizit von 0.35% des BIPs verbuchen. Entscheidend dafür, ob Investitionen gut sind, ist aber in erster Linie nicht, ob dafür Schulden gemacht werden. Wenn eine Brücke alt ist, gibt es zwei Möglichkeiten, damit umzugehen. Die erste ist, diese regelmäßig zu sanieren, was jedes Jahr laufende Kosten verursacht. Die zweite ist, die Brücke einmal abzureißen und neu zu bauen. Die zweite Option wäre eine Investition. Welche Option besser ist, hängt davon ab, wie hoch die laufenden Kosten der Sanierungsarbeiten in Relation zu den Kosten eines Neubaus sind und davon, zu welchen Konditionen sich der Neubau finanzieren lässt. Die Schuldenbremse führt dazu, dass die Sanierung häufig auch dann bevorzugt wird, wenn ein Neubau effizienter wäre. Befürworter der Schuldenbremse mögen einwenden, dass der Staat sich trotz Schuldenbremse für entsprechende Investitionen entscheiden kann, indem er andere Staatsausgaben zurückfährt. In der Praxis ist das nicht leicht – auch für Ausgaben, die keine Investitionen sind, gibt es oft gute Gründe, und auch für Ausgaben ohne gute Begründung gibt es oft Zahlungsverpflichtungen. 

Wie liesse sich die Schuldenbremse reformieren?

Da im Moment zusätzlich Schulden für Investitionen sinnvoll wären, stellt sich die Frage, wie sich die Schuldenbremse reformieren ließe. Eine einfache Option wäre, sie so zu reformieren, dass die Neuverschuldung nicht höher sein darf als die Höhe der Investitionen. Das wäre sinnvoll, da Investitionen sich von anderen Staatsausgaben im Besonderen dadurch unterscheiden, dass sie das Wachstumspotenzial in der Zukunft erhöhen – dass also vor allem diejenigen profitieren, die die Schulden später zurückzahlen müssen, und dass die erhöhte Wirtschaftsleistung die Rückzahlung dann leichter macht. Es wäre auch eine Option, die Schuldenbremse zunächst für einen begrenzten Zeitraum, zum Beispiel fünf Jahre, auszusetzen, so dass die Politik Zeit bekommt, zu überlegen, wie eine neue Schuldenbremse aussehen sollte (in dem Fall könnte man während der fünf Jahre eine Schuldenobergrenze vereinbaren, die deutlich über der jetzigen liegt). Von einem Aussetzen der Schuldenbremse könnten vielleicht selbst ihre Verfechter überzeugt werden, um zumindest die extrem günstigen Bedingungen der aktuellen Niedrigzinsphase zu nutzen. Darüber hinaus sollte natürlich auch auf europäischer Ebene diskutiert werden, wie die gegenwärtigen Regeln der EU zur Staatsverschuldung – die weniger strikt sind als die deutsche Schuldenbremse – überarbeitet werden können.

Die genannten Beispiele zeigen nur die ganz offensichtlichen Vorteile von mehr schuldenfinanzierten Investitionen. Zusätzlich gäbe es weitere makroökonomische Vorteile für Deutschland und Europa, die im Folgenden der Vollständigkeit halber kurz aufgeführt werden. Mehr deutsche Schulden würden zum Beispiel zu einem Abbau des deutschen Leistungsbilanzüberschusses führen und die Spannungen mit den USA und anderen europäischen Ländern entschärfen. In einer Zeit, in der die EZB daran scheitert, Ihr Inflationsziel von (fast) 2% zu erreichen, würde eine expansivere deutsche Fiskalpolitik es der EZB auch erleichtern, die Inflation in Richtung des Ziels bewegen. So würde deutsche Fiskalpolitik einen Beitrag zu einer „Normalisierung“ der Geldpolitik leisten (dies könnte auch eine Ausweitung des Mandats der EZB – siehe z.B. Weber, 2018 – überflüssig machen).

Zusätzlich würde die erhöhte Nachfrage in Deutschland auch die Nachfrage nach Produkten aus anderen EU-Ländern erhöhen und dort helfen, die Arbeitslosigkeit zu verringern. Die Schuldenbremse ist auch nicht geeignet, um antizyklische Fiskalpolitik zu betreiben (leicht antizyklische Fiskalpolitik ist möglich), obwohl diese im Besonderen in einer Währungsunion eine wichtige Rolle spielen sollte (z.B. Bertasiute et al., 2018), da dort Geldpolitik nicht für die Stabilisierung einzelner Staaten zur Verfügung steht. Man sollte auch bedenken, dass deutsche Staatsanleihen als Sicherheiten bei der Kreditvergabe eine wichtige Rolle für die Finanzmarktstabilität spielen – wenn die Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form bestehen bliebe, würden die deutschen Staatsschulden langfristig massiv sinken (siehe z.B. Hüther und Südekum, 2019), so dass kaum mehr Bundesanleihen als Sicherheiten vorhanden wären.

Bertasiute, Akvile, Domenico Massaro und Matthias Weber (2018): The behavioral economics of currency unions: Economic integration and monetary policy, Bank of Lithuania Working Paper No 49/2018.

Feld, Lars und Wolf Heinrich Reuter (2019): Der Sündenbock, Süddeutsche Zeitung, https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/gastbeitrag-der-suendenbock-1.4424544[ a ].

Gornig, Martin (2019): Investitionslücke in Deutschland: Und es gibt sie doch! Vor allem Kommunen sind arm dran, DIW aktuell 19. 

Hüther, Michael und Jens Südekum (2019): The German debt brake needs a reform, VoxEU, https://voxeu.org/content/german-debt-brake-needs-reform[ b ].

Krebs, Tom und Martin Scheffel (2017): Inklusives Wachstum für Deutschland 17: Öffentliche Investitionen und inklusives Wachstum in Deutschland, Bertelsmann Stiftung. 

Truger, Achim (2019): Deutsche Schuldenbremse: kein gutes Vorbild für Europa, Ökonomenstimme, http://www.oekonomenstimme.org/artikel/2019/07/deutsche-schuldenbremse-kein-gutes-vorbild-fuer-europa/.

Weber (2018): Für einen regelgebundene monetäre Staatsfinanzierung, Ökonomenstimme, http://www.oekonomenstimme.org/artikel/2018/06/fuer-eine-regelgebundene-monetaere-staatsfinanzierung/?utm_source=feed&utm_medium=main.


©KOF ETH Zürich, 19. Aug. 2019

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