Die Diskussion um die Geldschöpfung, welche mit einigen Artikeln Mitte letzten Jahres bei Ökonomenstimme angestoßen wurde (Ehnts 2017a,b und Quaas 2017), hat zu einem Austausch der Sichtweise im Wirtschaftsdienst 2/2018[ a ] geführt. Dieser Beitrag knüpft an die Replik von Georg Quaas an, um vielversprechende Aspekte der Diskussion zu vertiefen und Gemeinsamkeiten zu identifizieren. In meinem eigenen Artikel im Wirtschaftsdienst 2/2018[ a ] hatte ich wie bereits vorher bei Ökonomenstimme darauf hingewiesen, dass die Theorie der Bank als Intermediär – Georg Quaas bezeichnet dies als Geldmultiplikator-Theorie (GMT) – nicht vereinbar ist mit der aktuellen Sichtweise u. a. der Europäischen Zentralbank (2007)[ b ], der Bank of England (2014)[ c ] und seit April 2017 auch der Deutschen
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Die Diskussion um die Geldschöpfung, welche mit einigen Artikeln Mitte letzten Jahres bei Ökonomenstimme angestoßen wurde (Ehnts 2017a,b und Quaas 2017), hat zu einem Austausch der Sichtweise im Wirtschaftsdienst 2/2018[ a ] geführt. Dieser Beitrag knüpft an die Replik von Georg Quaas an, um vielversprechende Aspekte der Diskussion zu vertiefen und Gemeinsamkeiten zu identifizieren.
In meinem eigenen Artikel im Wirtschaftsdienst 2/2018[ a ] hatte ich wie bereits vorher bei Ökonomenstimme darauf hingewiesen, dass die Theorie der Bank als Intermediär – Georg Quaas bezeichnet dies als Geldmultiplikator-Theorie (GMT) – nicht vereinbar ist mit der aktuellen Sichtweise u. a. der Europäischen Zentralbank (2007)[ b ], der Bank of England (2014)[ c ] und seit April 2017 auch der Deutschen Bundesbank[ d ]. Alle diese Institutionen weisen mehr oder weniger explizit darauf hin, dass Bankeinlagen durch die Kreditschöpfung selbst entstehen, dass also keineswegs Banken Zentralbankgeld oder Ersparnisse weiterverleihen. In meinem eigenen Buch "Geld und Kredit: eine €-päische Perspektive[ e ]" habe ich 2014 ebenfalls darauf hingewiesen und darüber hinaus deutlich gemacht, dass ein Staat mit souveräner Währung nicht Pleite gehen kann. Diesen Punkt möchte ich jedoch vorerst aus der Diskussion heraushalten.
Meines Erachtens nach hat Georg Quaas keinen meiner Kritikpunkte entkräften können. Er identifiziert korrekt meine Ablehnung der GMT, sieht aber dann die Beseitigung der Idee, "dass die Schöpfung von Giralgeld die Verfügung über Zentralbankgeld voraussetzt" als Teil meiner Perspektive. Diese Ansicht ist falsch. Ich bin überrascht, dass Georg Quaas mir unterstellt, ich würde in meinem Buch nichts über die Emission von Zentralbankgeld schreiben (S.10). Kapitel 4 meines Buches trägt die Überschrift "Die Entstehung von Bargeld (Reserven)", Kapitel 5 ist "Die Instrumente der Zentralbank (Geldpolitik). So liest man auf S. 78: "Bargeld entsteht also, indem Banken ihre Einlagen bei der Zentralbank umtauschen. Die Reserven werden geschaffen, indem die Banken bei der Zentralbank einen Kredit aufnehmen oder der Zentralbank Staatsanleihen verkaufen". Auf S. 60 wird zudem explizit erklärt, dass ein Euro an Bankeinlagen für uns ein Versprechen auf Bargeld in gleicher Höhe darstellt.
Die Liquiditätsversorgung bzw. die Umgehung derer durch Zahlungsaufschub im Interbankenmarkt stellt einen wesentlichen Teil meines Buches dar, den Georg Quaas jedoch gar nicht zur Kenntnis nimmt. Ausreichende Liquidität ist die "survival constraint" – das sehe ich genauso, nur nehme ich halt zur Kenntnis, dass die Banken den Einsatz von Zentralbankgeld aus Kostengründen minimieren, indem sie sich gegenseitig Kredit gewähren auf dem Interbankenmarkt. Auf diesen Punkt komme ich später zurück. Ich halte ihn für den wesentlichen Erklärungsfaktor, der den Unterschied zwischen GMT und MMT (engl. "Modern Monetary Theory", vgl. Wray 2015), einer neueren post-keynesianischen Spielart, die ich in Ehnts (2017c) beschrieben habe und der ich mich zugehörig fühle, ausmacht.
Die Quaassche Kritik
Bevor ich auf die inhaltliche Kritik eingehe, möchte ich noch etwas zu den Ideen zur Wissenschaftstheorie sagen, welche von Georg Quaas geäußert werden. Es ist lobenswert, dass er hier definiert, was eine gute Theorie ausmacht und wie man dann in der Praxis eine solche erkennt bzw. welche Methoden eingesetzt werden. Auch hier sind wir nicht einer Meinung. Zunächst einmal ist der Satz "Eine Theorie, die nachweislich falsch ist, hat keine Chance, sehr viele Auflagen zu erleben" für mich problematisch. Das Makro-Lehrbuch von Blanchard/Illing ist aktuell in der 7. Auflage verfügbar, mein eigenes Buch mit konträren Ideen wird später im Jahr in der 3. Auflage erscheinen. Es ist also nicht so einfach mit der Beurteilung der Theorien. Es gibt halt keine von allen akzeptierten Methoden, um Theorien zu falsifizieren. Gerade jetzt gibt es ja auch die Diskussion um den Mangel an Pluralität in der akademischen Volkswirtschaftslehre (vgl. Ehnts und Zeddies, 2016[ f ]).
Zustimmen kann ich der folgenden Definition einer Falsifizierung der GMT von Georg Quaas: "Erkenntnisse, die zeigen, dass die Banken aufgrund der Strukturen des Geldsystems die Guthaben ihrer Kunden gar nicht verleihen können." Dies ist meiner Meinung nach bereits erfolgt, nur sind diese Erkenntnisse in weiten Teilen insbesondere der deutschen akademischen Volkswirtschaftslehre aus unterschiedlichen Gründen nicht angekommen. Dabei geht es mir nicht um die "Erklärung von einigen Praktikern" (S. 7) – eine seltsame Umschreibung für die Forscher der Deutschen Bundesbank – sondern um die logische Konsistenz der Betrachtung unseres Geldsystems. Unerlässlich ist dabei der Blick auf die Fakten, welcher am Beginn einer jeden wissenschaftlichen Untersuchung stehen sollte. Bevor ich diese erläutere, werde ich mich zu dem äußern, was an Kritik an meinen Ausführungen vorgebracht wird.
Im Abschnitt "Interpretationsprobleme" spielt Georg Quaas die Bedeutung der zeitlichen Abfolge hinunter. Dies ist wissenschaftstheoretisch gesehen kritisch, denn bei der Kausalität geht es ja nun mal darum, dass das zeitliche vorgelagerte Ereignis X das darauffolgende Ereignis Y verursacht hat. Wenn Banken erst Kredite vergeben und sich danach um die Erfüllung von Mindestreserven und Eigenkapitaldeckung sowie Liquiditätsversorgung kümmern, dann ist anzunehmen, dass die Kreditvergabe funktional unabhängig ist von letzteren Faktoren. Damit wäre dann auch die Behauptung, dass Banken Zentralbankgeld weiterverleihen, hinfällig. Wenn Georg Quaas die Möglichkeit der Beschaffung von Liquidität über Refinanzierungsgeschäfte oder ständige Fazilitäten erwähnt, dann bedeutet dies meiner Meinung nach nicht, dass Zentralbankgeld für die Vergabe von Krediten benötigt wird. Genauso wenig wie Babykleidung und Babynahrung für die Zeugung von Kindern benötigt wird, werden Zentralbankgeld und Bargeld für die Gewährung von Krediten an Haushalte und Unternehmen benötigt. Dies bedeutet natürlich nicht, dass, wer Kinder bekommt, keine Babykleidung und Babynahrung braucht – aber sie sind halt keine Ursache der Zeugung von Kindern!
Auch das Argument von Georg Quaas, dass Zentralbankgeld für die Erzeugung von Bankeinlagen nötig ist und daher mit Zentralbankgeld begonnen werden muss, überzeugt mich nicht. Bei der von mir angewendeten Methode des hierarchischen Reduktionismus werden die Teile des Geldsystems einzeln analysiert und dann ihr Zusammenspiel untersucht. Dabei ist klar, dass die einzelnen Teile ineinandergreifen und dadurch ein System entsteht. Dies bedeutet fast zwangsläufig, dass keine Aussage zu treffen ist über den "Anfang des Systems". Ich habe aus didaktischen Gründen mit dem Giralgeld angefangen, weil man darüber zum Zentralbankgeld (Reserven) kommt. Dieser Ansatz der Betrachtung einer reinen Geldwirtschaft (kein Giralgeld) gefolgt von einer reinen Kreditwirtschaft (kein Bargeld) und abschließend einer Synthese geht zurück auf Wicksell (1898). Meiner Meinung nach ist es möglich (und zwar fast zwangsläufig), unabhängig vom Startpunkt, zu den gleichen Ergebnissen bezüglich der Funktionsweise eines Geldsystems zu kommen. Die abschließenden Ausführungen zu den Mindestreserven habe ich nicht verstanden und verzichte auf eine Replik, da die herrschende Meinung diese als unwichtig ansieht. Inzwischen haben einige Zentralbanken die Mindestreservepflicht auch abgeschafft.
Der Absatz zur Identität von Ersparnis und Investitionen krankt meiner Meinung nach an diversen Irrungen und Wirrungen. Beispielhaft bezieht sich S=I nicht nur auf "eine geschlossene Volkswirtschaft", wie Georg Quaas (S. 9) behauptet, sondern halt auch auf die Weltwirtschaft. Zudem sind die Unternehmen Teil der VGR und damit auch von S=I. Mir ist völlig unklar, warum Georg Quaas erklärt, die Unternehmen blieben außen vor. Natürlich führen ceteris paribus Investitionen der Unternehmen zu einer erhöhten Ersparnis in gleicher Höhe, und dies nicht nur bei den Unternehmen sondern auch bei Haushalte oder auch dem Staat. Dass in einer offenen Volkswirtschaft die Identität anders aussieht, habe ich nie bestritten, nur ging es ja nicht um Sparen und Investieren in einer solchen. Insofern ist der Vorwurf, ich würde den Staat vergessen, haltlos. Auf S. 151 und S. 153 meines Buches finden sich die Gleichungen S = I + EX – IM und (Sp-I) + (T-G) + (IM-EX) = 0. Dabei ist S die gesamtwirtschaftliche Ersparnis und beinhaltet somit auch den Staat, Sp ist die Ersparnis des privaten Sektors allein. Mir ist auch nicht klar, wieso Nettoexporte monetäre Ströme auslösen, die "durch den Filter selbst der erweiterten Keynesianischen (sic!) Identität hindurchfallen". Ein Anstieg der Exporte muss sich ceteris paribus in einem Anstieg der finanziellen Nettoersparnis in mindestens einem der beiden einheimischen Sektoren niederschlagen! Sonst wird die linke Seite der Gleichung größer sein als null – die Identität wäre nicht erfüllt, und dies darf bei einer solchen definitorischen Gleichung nicht passieren. Die Bedingung, dass die Höhe der Ausgaben mit der Höhe der Einkommen übereinstimmt, wäre verletzt. Da es aber empirisch gesehen unmöglich ist, Ausgaben zu tätigen, die nicht zu Einkommen führen, muss die Identität immer erfüllt sein, und zwar zu jeder Zeit.
Geldschöpfung aus bilanzieller Perspektive
Doch nun möchte ich zum wichtigsten Teil kommen, der Sicht auf die Geldschöpfung unter Hinzuziehung einer bilanziellen Perspektive. In seiner Tabelle 1 lässt sich Georg Quaas auf diese Methodik ein, was ich ihm sehr hoch anrechne, und zeigt die Gewährung eines Kredits an einen Haushalt durch eine Bank. Die Bilanzen von Zentralbank, Bank A und Haushalt A und B sind prall gefüllt. Georg Quaas nennt einige Ereignisse, die sich bereits ereignet haben vor der Kreditvergabe. Dazu möchte ich zunächst festhalten, dass Bank A kein Eigenkapital hat und sich trotzdem am Anfang 150 von der Zentralbank leiht (Georg Quaas verzichtet auf Währungseinheiten). Da die EZB nur gegen Sicherheiten Reserven verleiht, ist dieser Schritt abzulehnen. Ich ersetze diesen Schritt durch das Einbringen von Eigenkapital in Höhe von 150, welches auf dem Konto der Zentralbank gutgeschrieben wird. Der Verkauf von Staatsanleihen an die Bank geht zwar buchungstechnisch in Ordnung – Georg Quaas repliziert meine Darstellung aus Kapitel 6, ohne dies kenntlich zu machen – ist aber für die spätere Kreditvergabe ohne jede Bedeutung. Bereinigt um diese beiden Schritte, sieht die Bilanz der Bank wie folgt aus:
Jetzt schreibt Georg Quaas: „Bank A vergibt also einen Kredit von 60 an Haushalt A“. Die obige Bankbilanz verändere ich marginal genauso wie Georg Quaas es getan hat. Es erfolgt eine Bilanzverlängerung mit umgedrehten Vorzeichen bei Bank und Haushalt A:
Erstaunlicherweise haben wir hier die gleichen Buchungen wie bei der Deutschen Bundesbank (2017) und bei Ehnts (2016, S. 44)! Quaas schreibt dazu: "Die Verwendung von Kundengeldern zur Vergabe von Krediten ist, wie soeben gezeigt, theoretisch möglich". Dieser Satz passt aber nicht zu den Bilanzen und er passt auch nicht zu der "Geschichte". Wenn Kundengelder verwendet werden zur Kreditvergabe, dann muss sich das doch in den Bilanzen der Banken derart widerspiegeln, dass einige Einlagen der Kunden verschwinden und anderen Kunden diese Einlagen gutgeschrieben werden. Dies ist jedoch bei Quaas gar nicht der Fall. Die Einlagen, die bei ihm durch Staatsausgaben bei Haushalt B erzeugt werden, existieren nach der Kreditvergabe der Bank an Haushalt A ja weiterhin. Wie wir sehen, ist die GMT widerlegt, sobald man mit Bilanzen arbeitet. Einlagen sind aus Sicht der Banken Verbindlichkeiten, und die kann eine Bank nicht "weiterverleihen" – es macht schlicht keinen Sinn.
Empirische Untersuchungen bestätigen übrigens die Kreditvergabe als Bilanzverlängerung. Werner (2014) hat die internen Protokolle einer Bank bei der Kreditvergabe ausgewertet und stellt fest, dass Bankeinlagen neu entstehen und nicht von anderen Quellen kommen. Bei der Kreditvergabe entstehen Bankeinlagen also nicht durch Zentralbankgeld oder Ersparnisse anderer Kunden, sondern durch eine Buchung in der Bank. Dies verstehen selbst prominente Ökonomen wie Paul Krugman (2012)[ g ] nicht, aber es geht hier ja nicht darum, wer wie viele Nobelpreisträger hinter sich weiß, sondern wer überzeugend argumentiert. Insofern würde ich gerne folgende Frage von Georg Quaas beantwortet bekommen: "Inwiefern fließt in den Prozess der Kreditvergabe der Banken die Höhe der Ersparnis der Kunden dieser Bank mit ein?" Das Ganze hätte ich gerne empirisch belegt, durch eine Aussage einer Bank, dass sie konkret bei der Kreditvergabe einen Geschäftsprozess haben, der einen Blick auf die Ersparnis der Kunden beinhaltet. Ich behaupte: Sie werden keine Bank finden, die Ihnen dies offiziell bestätigt. Ich habe ja bereits vorgelegt und aus einer Publikation der Schweizer "Freie Gemeinschaftsbank" zitiert (Quelle[ h ]):
"Ein Kunde, sagen wir ein Bäcker, klopft bei uns an. Er möchte eine Investition tätigen, eine Knetmaschine kaufen. Da der Kaufpreis der Maschine seine finanziellen Möglichkeiten übersteigt, ist er auf einen Bankkredit, z. B. in Höhe von CHF 100’000, angewiesen. Wir setzen uns mit dem Kunden zu einem Gespräch zusammen, um ihn und die Verhältnisse des Ba?ckereibetriebes kennenzulernen. Auf der Grundlage des Gespräches und der uns zur Verfügung gestellten Unterlagen beurteilen wir die Kreditwürdigkeit und Kreditfa?higkeit. Der Kreditantrag wird dem Kreditgremium der Bank zur Bewilligung vorgelegt und von diesem, in unserem Beispiel, schliesslich bewilligt.
Nun kann der Kreditvertrag aufgesetzt und dem Kunden zur Unterzeichnung zugestellt werden. Sobald uns der unterzeichnete Vertrag vorliegt und sonstige allfällige Auflagen erfüllt sind, kommt es zur Auszahlung des Kreditbetrages auf das Konto des Kreditnehmers. In der Kreditadministration werden die Buchungsbelege erstellt und an den Zahlungsverkehr weitergeleitet. Die Buchungsdaten werden am Bildschirm erfasst, kontrolliert und schliesslich freigegeben. Die Verbuchung im Banksystem ist damit ausgelo?st, die Kreditauszahlung ist vollzogen. An dieser Stelle mu?ssen wir innehalten: Mit einem Mausklick hat die Mitarbeiterin im Zahlungsverkehr Geld aus dem Nichts gescho?pft!"
Hier wird also bei der Kreditvergabe nicht darauf geachtet, wieviel "Geld" eigentlich vorhanden ist – sei es Zentralbankgeld (Reserven) oder Bankeinlagen der Sparer. Dies heißt übrigens nicht, dass die Bank immer mehr Kredite vergeben wird. Sie kann sich auch entscheiden, die Kreditvergabe einzuschränken. Dies passiert aber zumeist über die Variation des Kreditzinses. Banken, die ihr Kreditportfolio ausweiten (reduzieren) wollen im Vergleich zu den anderen Banken senken (erhöhen) den Zins. Was aber nicht passiert ist, dass ein Kunde von der Bank die Nachricht bekommt: "Ihr Kredit wurde bewilligt, und sobald wir genügend Spareinlagen haben können wir den auszahlen". So etwas ist noch nie dagewesen und dies zeigt deutlich, dass die Kreditschöpfung nicht auf den Spareinlagen der Kunden beruht, wie es Georg Quaas, GMT und die meisten aktuellen Lehrbücher behaupten.
Insofern besteht sehr wohl eine alternative Theorie, die sogar weit mehr als hundert Jahre alt ist – Wicksell (1898) war nicht der erste, der die Kreditschöpfung mit dem Federstrich vertrat – und auf rationale Weise den Multiplikator-Effekt erklärt. Über die Jahrzehnte sind immer wieder neue Publikationen in diesem Gebiet erschienen. Der jüngst verstorbene Basil Moore untersuchte in Moore (1988) die Geldschöpfung und kam ebenfalls zu den Ergebnissen, die heute von der Bundesbank, den Vertretern der Modern Monetary Theory (MMT) und mir vertreten werden. Banken vergeben Kredite und brauchen in der Folge – nicht vorher – gegebenenfalls mehr Zentralbankgeld, da die Kunden Bargeld halten wollen und für Überweisungen, sofern sie nicht im Interbankenmarkt durch Aufrechnung mit zwischenzeitlichen Schuldenpositionen agieren, ebenfalls Reserven benötigen. Da Banken auch Zahlungen zufließen ist es aber nicht eindeutig, dass mehr Kreditvergabe zu mehr Nachfrage nach Zentralbankgeld durch die Bank führt. Der Punkt, dass in guten wirtschaftlichen Zeiten die Banken fast den kompletten Zahlungsverkehr untereinander über Verschuldungspositionen abwickeln, wird von Georg Quaas (2018) ignoriert. Bei seiner Replik finden sich keine Ausführungen zum Interbankenmarkt. Dieser Punkt ist aber wesentlich für eine moderne Geldwirtschaft, in der Banken untereinander verschuldet sind und eine Welle von Bankenpleiten in Spanien in der Folge der Immobilienkrise von 2008/09 zu Verlusten in Milliardenhöhe bei deutschen Banken geführt hätte (FAZ 2012).
Zwei sich widersprechende Theorien
In der Geldtheorie, wie in der Realität, sind die verschiedenen Schritte klar zu definieren. Die Kreditvergabe und die Auszahlung von Bargeld bzw. die Überweisung von Zentralbankgeld an eine andere Bank, ausgelöst durch eine Überweisung des Kunden, sind zwei verschiedene Vorgänge. Überweisen sich die Kunden der Banken gegenseitig Geld, dann kommt es über den Geschäftstag zur Saldierung. Zentralbankgeld ist also nicht in der Höhe der Kredite erforderlich. Dies erklärt, warum die Menge an Zentralbankgeld niedriger ist als die Menge an Bankeinlagen. Insofern wird es die universitäre Volkswirtschaftslehre aushalten müssen, dass (noch) zwei unterschiedliche Theorien unterrichtet werden, die dasselbe empirische Phänomen erklären und sich trotzdem gegenseitig ausschließen. Da die meisten Professoren ihre Meinung wohl kaum mehr ändern werden, sollten wohl die Studierenden, Doktoranden und Nachwuchsforscher entscheiden, welche Theorie sie für plausibel halten.
Deutsche Bundesbank, 2017, Die Rolle von Banken, Nichtbanken und Zentralbank im Geldscho?pfungsprozess, Monatsbericht April 2017
Ehnts, Dirk, 2016, Geld und Kredit: eine €-päische Perspektive, 2. Auflage, Marburg: Metropolis
Ehnts, Dirk und Lino Zeddies, 2016, Die Krise der VWL und die Vision einer Pluralen Ökonomik, Wirtschaftsdienst 96 (10), 769-775
Ehnts, Dirk, 2017a, Die Bundesbank erklärt den Geldmultiplikator für falsch und das Geld aus dem Nichts für richtig, veröffentlicht bei Ökonomenstimme am 16. Mai 2017
Ehnts, Dirk, 2017b, Die Theorie des Geldmultiplikators ist ein neoklassischer Irrtum, veröffentlicht bei Ökonomenstimme am 16. Mai 2017 23. Juni 2017
Ehnts, Dirk, 2017c, "Modern Monetary Theory" und Europäische Makroökonomie, Berliner Debatte Initial 28 (3), S. 89-102
Ehnts, Dirk, 2018, Die aktuelle Kritik an der makroökonomischen Geldtheorie – Replik: Geld und Kredit ex nihilo – Fakt oder Fiktion?, Wirtschaftsdienst 98 (2), S. 137-142
Europäische Zentralbank, 2007, Should we take inside money seriously?, ECB working paper series No. 841
FAZ, 2012, Spanische Cédulas unter Druck[ i ], FAZ vom 20.06.2012
Krugman, Paul, 2012, Banking Mysticism[ g ], New York Times am 27. März 2012
Mc Leay, Michael, Amar Radia und Ryland Thomas, 2014, Money creation in the modern economy, BoE Quarterly Bulletin 2014 Q1, S. 14-27
Moore, Basil, 1988, Verticalists and Horizontalists: The Macroeconomics of Credit Money, Cambridge, UK: Cambridge University Press
Quaas, Georg, 2017, Georg Quaas, veröffentlicht bei Ökonomenstimme am 16. Mai 2017 Was an der Kritik der Geldtheorie berechtigt ist und was nicht, 15. Juni 2017
Quaas, Georg, 2018, Die aktuelle Kritik an der makroökonomischen Geldtheorie – Erwiderung: Ex nihilo nihil fit, Wirtschaftsdienst 98 (2), S. 143-147
Werner, Richard, 2014, Can banks individually create money out of nothing? — The theories and the empirical evidence, International Review of Financial Analysis, 36 (C), S. 1-19
Wicksell, 1898, Geldzins und Güterpreise[ j ], Jena: Gustav Fischer
Wray, L. Randall, 2015, Modern Money Theory: A Primer on Macroeconomics for Sovereign Monetary Systems, 2. A., London: Palgrave Macmillan
©KOF ETH Zürich, 19. Apr. 2018