Die Mainstream-Ökonomik sieht sich in der Kritik und kritisiert wiederum die Kritiker. Doch diese bleiben erstaunlich namenlos und verteidigt werden vor allem die Methodik und ihre mathematische Modellierung. Dabei ist auch die Mainstream-Ökonomik an sich schon weiter, wie dieser Beitrag zeigt. In den letzten Wochen erschienen in der gedruckten deutschen Presse und in diversen Online-Foren mehrere Beiträge von Volkswirten, die alle die Absicht verfolgen, den ökonomischen "Mainstream" gegen Kritik in Schutz zu nehmen. Die Ökonomenstimme hat zuletzt Dirk Niepelt (4. August 2017) das Wort gegeben.[ 1 ] Der augenfällige Anlass für die Verteidigung der Volkswirtschaftslehre sind die anhaltenden Nachwirkungen der Finanzmarktkrise, die auch die Frage nach theoretischen Erklärungen für
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Die Mainstream-Ökonomik sieht sich in der Kritik und kritisiert wiederum die Kritiker. Doch diese bleiben erstaunlich namenlos und verteidigt werden vor allem die Methodik und ihre mathematische Modellierung. Dabei ist auch die Mainstream-Ökonomik an sich schon weiter, wie dieser Beitrag zeigt.
In den letzten Wochen erschienen in der gedruckten deutschen Presse und in diversen Online-Foren mehrere Beiträge von Volkswirten, die alle die Absicht verfolgen, den ökonomischen "Mainstream" gegen Kritik in Schutz zu nehmen. Die Ökonomenstimme hat zuletzt Dirk Niepelt (4. August 2017) das Wort gegeben.[ 1 ]
Der augenfällige Anlass für die Verteidigung der Volkswirtschaftslehre sind die anhaltenden Nachwirkungen der Finanzmarktkrise, die auch die Frage nach theoretischen Erklärungen für die Krise aufwirft. Angesichts der Ahnungslosigkeit der meisten Volkswirte sowie der anerkannten Unfähigkeit, die Krise in den üblichen Modellen adäquat abzubilden, erscheint eine Verteidigung der Volkswirtschaftslehre durchaus angezeigt.
Ausgehend von diesen Mängeln argumentiert Dirk Niepelt in einem interessanten, nahezu standardisierten Muster: Die Position des "Mainstream" wird dadurch gerechtfertigt, dass die Kritik am "Mainstream" kritisiert wird. Alternativ dazu hätte man erwarten können, dass die Stärken des "Mainstream" als eigenständiges Argument ins Feld geführt werden. Für das Verständnis der Verteidigung des "Mainstream" muss man daher zunächst die kolportierte Kritik am "Mainstream" näher anschauen.
In den Worten Dirk Niepelts etwa, besteht die Kritik am Mainstream aus zwei Komponenten. Erstens aus der Kritik an der Methodik der mathematischen Modellierung in der Makroökonomie und zweitens in der fehlenden Möglichkeit, theoretische Ergebnisse direkt nutzbar zu machen für konkrete Wirtschaftspolitik.
Interessant an dieser Darstellung der Kritik am "Mainstream" ist zunächst einmal, dass diese Kritik weitgehend ohne Kritiker auskommt. Auch bei Badinger, Cuaresma und Oberhofer bleiben die Kritiker namenlos.[ 2 ] Das hat zur Folge, dass es unmöglich ist, die Darstellung der Kritik am "Mainstream" zu überprüfen. Der Leser wird der Beschreibung durch die Kritiker der Kritik somit ausgeliefert. Handkehrum vereinfacht dieser Verzicht auf konkrete Belege die Zurückweisung der Kritik am "Mainstream", da schliesslich nur jene Elemente der Kritik behandelt werden müssen, die sich leicht zurückweisen lassen.
Das wichtigste Element der Verteidigung des Mainstream besteht in der Verteidigung der Methodik und insbesondere der mathematischen Modellierung. Diese hat gemäss Niepelt das Ziel, "allgemeingültige gesamtwirtschaftliche Beziehungen und Kausalzusammenhänge aufzudecken". Zu diesem Zweck werden mit guten Gründen mathematische Modelle aufgestellt und statistisch analysiert. Die guten Gründe sind etwa Abstraktion, Vereinfachung, "Transparenz, Kohärenz und Stringenz" (ebd.).
Diese Gründe überwiegen die Nachteile, die gemäss Niepelt von den Kritikern angeführt würden. Zu dieser Kritik zählten vor allem "fehlende Realitätsnähe" und "übertriebener Formalismus" der Modellierung.
Auf dieser Argumentationsebene besteht offensichtlich eine Abwägung zwischen Nachteilen und Vorteilen der Modellierung. "Fehlende Realitätsnähe" kann etwa dadurch entkräftet werden, dass Modelle "aus dem idealtypischen Abbild […] eine Lehre — eine Mär im positiven Sinne — [… ableiten], deren Bedeutung über den konkreten Einzelfall hinausgeht". Ausserdem, das sollte hier hinzugefügt werden, ist es theoretisch denkbar, durch eine steigende Komplexität der Modelle auch komplexere Wirkungszusammenhänge abzubilden. Unter dem Strich kann man die Kritik an der Methodik des "Mainstream" auf diese Weise leicht ins Leere laufen lassen.
Ausweichmanöver
Der Trick bei diesem Argumentationsmuster ist allerdings leicht zu durchschauen. Mit dieser Darstellung der Kritik am "Mainstream" wird der fundamentalen, schmerzhafteren Kritik ausgewichen. Diese fundamentale Kritik besteht darin, die Eigenschaften des Bezugssystems der Modelle, die Eigenschaften der Wirtschaft, in das Zentrum zu rücken.
Dieses Bezugssystem kann auf mindestens zwei unterschiedliche Arten charakterisiert werden. Entweder als objektives, komplexes Räderwerk, das auf "allgemeingültige gesamtwirtschaftliche Beziehungen und Kausalzusammenhänge" zurückgeführt werden kann, oder als ein subjektives, von Menschen geschaffenes Konstrukt. Diese Unterscheidung ist essentiell, denn im ersteren Fall gehorchen auch die menschlichen Agenten allgemeingültigen Gesetzen und sind damit letzten Endes nicht autonom, während sie im letzteren Fall Entscheidungen treffen können, die nicht durch objektiv existierende Gesetzte bereits vorgegeben sind.[ 3 ]
Die mathematische Modellierung hat es bisher jedoch nicht geschafft, ein abstraktes Abbild der Wirtschaft zu formulieren, das die Entscheidungshoheit der Individuen adäquat abbildet. Folglich muss die Kritik an der Kritik des "Mainstreams" immer unterstellen, dass auch die Kritiker das Ziel verfolgen, eine objektive Realität abbilden zu wollen. Auf dieser Basis ist aber die herrschende Methodik nicht zu schlagen, sondern bietet allenfalls Möglichkeiten zur Verbesserung der Modelle.
Nicht entkräftete Kritik
Was folgt daraus? Als erstes muss man feststellen, dass es Kritik an der Methode des "Mainstream" gibt, die bisher nicht entkräftet werden konnte. Zweitens bedarf es einer ausführlichen Diskussion über die adäquate ontologische Charakterisierung des Forschungsgegenstandes der Volkswirtschaft: Gibt es nur objektives Wissen oder spielt subjektives Wissen (auch) eine substantielle Rolle? Drittens braucht es für eine Weiterentwicklung der Volkswirtschaftslehre auf Basis subjektiven Wissens geeignete wissenschaftliche Instrumente.
Solche Instrumente wären etwa vergleichende Studien, Analysen mit Raum-Zeit-Bezug und ähnliches. Interessanter Weise könnte sogar argumentiert werden, dass selbst in führenden Zeitschriften diese Art von Arbeiten immer populärer werden. Der American Economic Review hat zuletzt etwa kaum noch die methodisch fragwürdigsten dynamischen Gleichgewichtsmodelle veröffentlicht.
Die Praxis könnte also der wissenschaftstheoretischen Debatte bereits vorauseilen. Das befreit die Volkswirte aber nicht von der Pflicht, die Grundlagen der eigenen Wissenschaft zu diskutieren und die Wahl ihrer Methodik fundamental und transparent zu begründen.
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Müller, C. (2016). Der "neue Methodenstreit" – eine Lucas-Kritik, oekonomenstimme.org, 29. September 2016 [8.8.2017]
Schumpeter, J. A. (1912). Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, 1st edn., Duncker & Humblot.
©KOF ETH Zürich, 9. Aug. 2017