Sunday , November 24 2024
Home / Ökonomenstimme / Mario Draghis Weltbild vom Billiggeld

Mario Draghis Weltbild vom Billiggeld

Summary:
Bereits Milton Friedman hatte davor gewarnt, dass expansive Geldpolitik zwar durchaus wirksam sein kann, aber in der Folgeperiode die Teileffekte ins Gegenteil umschlagen können, wenn keine Strukturanpassungen folgen. Das ist in Teilen Europas der Fall, wie dieser Beitrag zeigt. Entsprechend sind die Auswirkungen der "Billig-Geldpolitik" negativ. Bis zu seinem Ausscheiden aus dem Amt als Chef des US-Zentralbank-Systems wurde Alan Greenspan überall als Magier und Maestro gefeiert. Sein Dienstende war im Jahr 2006; im Jahr 2007 begann die große Immobilien- und Kreditkrise. Heute wird übereinstimmend Greenspan für diese Krise wegen seiner falschen Geldpolitik (mit-)verantwortlich gemacht. Er legte im Oktober 2008 vor einem US-Ausschuss sogar ein Teilgeständnis ab: "There is a flaw in the model... that defines how the world works." Ein sehr ähnliches Schicksal wird der aktuelle Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, erleiden. Der Unterschied besteht nur darin, dass Draghi schon heute während seiner Amtszeit massiv kritisiert wird. Auch er wird später feststellen, dass sein Modell der Euro-Welt fehlerhaft war. Die aktuellen Konsequenzen seines falschen Weltbildes sind falsche Entscheidungen in seiner Geldpolitik; der jüngste Fehlgriff ist die Senkung des Leitzinses auf 0% (in Worten: null Prozent) am fatalen Donnerstag, dem 10. März 2016.

Topics:
Volker Bieta, Hellmuth Milde considers the following as important:

This could be interesting, too:

Cash - "Aktuell" | News writes Länder einigen sich bei Weltklima-Konferenz auf globalen Emissionshandel

Cash - "Aktuell" | News writes Selenskyj glaubt an mögliches Kriegsende 2025

Cash - "Aktuell" | News writes Was Schweizer Bäuerinnen und Bauern verdienen

Cash - "Aktuell" | News writes Schweizer Efta/EU-Delegation will Abkommen mit China optimieren

Bereits Milton Friedman hatte davor gewarnt, dass expansive Geldpolitik zwar durchaus wirksam sein kann, aber in der Folgeperiode die Teileffekte ins Gegenteil umschlagen können, wenn keine Strukturanpassungen folgen. Das ist in Teilen Europas der Fall, wie dieser Beitrag zeigt. Entsprechend sind die Auswirkungen der "Billig-Geldpolitik" negativ.

Bis zu seinem Ausscheiden aus dem Amt als Chef des US-Zentralbank-Systems wurde Alan Greenspan überall als Magier und Maestro gefeiert. Sein Dienstende war im Jahr 2006; im Jahr 2007 begann die große Immobilien- und Kreditkrise. Heute wird übereinstimmend Greenspan für diese Krise wegen seiner falschen Geldpolitik (mit-)verantwortlich gemacht. Er legte im Oktober 2008 vor einem US-Ausschuss sogar ein Teilgeständnis ab: "There is a flaw in the model... that defines how the world works." Ein sehr ähnliches Schicksal wird der aktuelle Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, erleiden. Der Unterschied besteht nur darin, dass Draghi schon heute während seiner Amtszeit massiv kritisiert wird. Auch er wird später feststellen, dass sein Modell der Euro-Welt fehlerhaft war. Die aktuellen Konsequenzen seines falschen Weltbildes sind falsche Entscheidungen in seiner Geldpolitik; der jüngste Fehlgriff ist die Senkung des Leitzinses auf 0% (in Worten: null Prozent) am fatalen Donnerstag, dem 10. März 2016.

Was kann Geldpolitik leisten?

Was ist falsch an Draghis Weltbild? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir zwei Vorfragen klären. Diese lauten: Was kann die Geldpolitik leisten? Was kann sie nicht leisten? Unter der Überschrift "Monetarismus" wurden besonders in den 1970er Jahren diese Fragen intensiv diskutiert; die bekann-testen Sprecher waren Milton Friedman und Karl Brunner. Sehr populär waren damals Friedmans regelmäßige Kolumnen im "Newsweek Magazine". Man lese etwa die Beiträge "Irresponsible Monetary Policy" (10. Januar 1972), "Is Money Too Tight?" (23. September 1974) oder auch das berühmte "Playboy"-Interview vom Februar 1973. In diesen Publikationen wurde immer wieder vor dem falschen Einsatz geldpolitischer Instrumente gewarnt. Dabei betonte Friedman die folgenden vier Punkte: (1) Zentralbanken haben immer behauptet, mit ihren Maßnahmen ökonomische Stabilität zu schaffen; wenn man genau hinschaut, stellt man fest, dass in vielen Fällen die Maßnahmen die zentralen Ursachen für Instabilitäten waren. (2) Empirisch nachweisbar ist eine langfristige stabile Beziehung zwischen den Zuwachsraten von Geldmenge, Preisniveau und Nominaleinkommen; auf kurze Sicht sind diese Beziehungen stark schwankend und sehr instabil. (3) Eine glaubwürdige Vertrauensbasis zwischen Wirtschaft und Geldpolitik ist nur mit der Festlegung einer langfristig konstanten Geldmengenzuwachs-Regel erreichbar; eine diskretionäre Geldpolitik ist Gift für jede Vertrauensbasis. (4) In unruhigen Zeiten sind Zentralbanken immer dem Druck geldpolitik-fremder Entscheidungsträger ausgesetzt; es müssen verbindliche Absprachen existieren, um die Unabhängigkeit von Zentralbanken zu garantieren.

Der zentrale Gedanken dieser vier Punkte lautet: Die Geldpolitik besitzt scharfe und wirkungsvolle Instrumente. Der Wirkungszeitpunkt hängt aber entscheidend davon ab, wie die konkreten Rahmenbedingungen aussehen. Da die Rahmenbedingungen nicht vollständig bekannt sind, kann man den Einsatz der Instrumente nicht punktgenau steuern; man kommt entweder zu früh oder spät. Wenn man den richtigen Zeitpunkt verpasst hat, richtet man mit den Maßnahmen mehr Schaden als Nutzen an. Deshalb lautet die geldpolitische Grundregel: Finger weg von der ad-hoc-Geldpolitik; jedes Hin- und Herspringen schafft zusätzliche Unsicherheiten; geldpolitische Maßnahmen müssen mit Hilfe eines Regelmechanismus langfristig festgelegt werden; jede Regeländerung muss klar und deutlich erklärt werden.

Friedman vs. Keynes

Die Behauptung von der hohen Wirksamkeit der Geldpolitik war der Auslöser für den Bruch mit Keynes. Man muss sich daran erinnern, dass die "General Theory of Employment, Interest and Money" von Keynes aus dem Jahr 1936 auf den Erfahrungen aus der Grossen Depression aufgebaut war. Keynes hatte die Zentralbankberichte studiert und kam zu dem Schluss: Die Zentralbanken haben in der Tat das ihnen jeweils Mögliche getan; dennoch sei man in der Grossen Depression gelandet. Daraus folgt: Geldpolitik muss extrem wirkungslos sein; sie muss durch Fiskalpolitik ersetzt werden. Dieses Weltbild wurde zerstört, als Friedman und Anna Schwartz im Jahr 1963 ihre "Monetary History of the United States 1867-1960" vorlegten. Der spannendste Teil war die Analyse der Depressionszeit 1929-1933. Im Gegensatz zu den offiziellen Verlautbarungen konnte gezeigt werden, dass Zentralbanken gar nichts getan hatten, um die Reduktion der Geldmenge von ca. 30% zu bremsen. Als Folge der Geldmengenreduktion brachen Preisniveau und Realeinkommen ein; am Ende gab es Massenarbeitslosigkeit. Ohne die Mithilfe der Geldpolitik wäre aus einer mittelschweren Rezession im Jahr 1929 niemals die Grosse Depression geworden. Für Friedman ist die Depression der traurige Nachweis für die massive Wirksamkeit der Geldpolitik.

Den Fehler aus der Grossen Depression wollte Ben Bernanke, der Nachfolger von Greenspan, nicht machen. Ein Jahr nach seinem Amtsantritt im Jahr 2007 begann er die Billig-Geldpolitik. Der damalige EZB-Präsident Trichet und andere Zentralbanker folgten den Vorgaben von Bernanke. Zweifellos war das die richtige Politik: In der beginnenden Sub-Prime-Krise konnte damit der Weg in die Depression gebremst und die Konjunktur stabilisiert werden. Auch Mario Draghi folgt nach seinem Amtsantritt im Jahr 2011 der Bernanke-Politik konsequent. Die offensichtlichen Anfangserfolge wurden auch im Finanzsektor positiv bewertet.

Eine Frage des Timings

Diese positiven Anfangserfolge wollten die Zentralbanker in einem zweiten Schritt zur weiteren Konjunkturbelebung mit einer ebenso erfolgreichen Expansionspolitik fortsetzen. Damit hatten sie aber eine zentrale Warnung von Friedman ignoriert. Er hat immer betont, dass nachfolgende Teileffekte ins Gegenteil umschlagen können. Die Zentralbanker hätten bedenken müssen, dass Realgrössen einer Volkswirtschaft in der Folgeperiode nicht ebenso reagieren wie in der Anfangsphase. Warum ist das so? Die Antwort lautet: Eine geldmengeninduzierte Nachfrageerhöhung kann das reale Sozialprodukt nur dann erhöhen, wenn geeignete Produktionskapazitäten vorhanden sind. Wenn das nicht der Fall ist, müssen zuvor im Industriesektor und auf dem Arbeitsmarkt Strukturanpassungen vorgenommen werden. Das braucht Zeit. In der Zwischenzeit richtet die expansive Geldpolitik hohen Schaden an. In sehr vielen Ländern der Euro-Gruppe kann man diese Situationen beobachten.

Ein Vergleich der Rahmenbedingungen in Frankreich und Deutschland zeigt die gravierenden Unterschiede. Frankreichs Industrietechnologie ist der deutschen überlegen; allerdings sind die Produktionskosten sehr hoch. Ohne Kostensenkungen, besonders bei den Arbeitskosten, sind französische Produkte weder im Inland noch im Ausland konkurrenzfähig. Also muss zuerst eine Arbeitsmarktreform durchgeführt werden. Das gleiche Problem gab es vor 10 Jahren in Deutschland. Die Arbeitsmarktreform "Agenda 2010" von Ex-Kanzler Schröder löste das Problem. Die neuen Strukturen waren die Voraussetzungen für die heute gute Konjunktursituation in Deutschland. Die fehlenden Strukturanpassungen in Frankreich sind die Ursache dafür, dass Frankreich bis heute konjunkturell nicht auf die Beine kommt. Jede Art von Arbeitsmarktreform wird z. Zt. in Frankreich durch landesweite Streiks blockiert. Ohne erfolgreiche Strukturänderungen im Vorfeld ist jede Billig-Geldpolitik zum Scheitern verurteilt.

Eine Billig-Geldpolitik ohne vorherige Strukturänderungen wurde auch in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg durchgeführt. Mit dem Geld aus der Druckerpresse glaubte man damals, das Elend und die Armut der Nachkriegszeit beseitigen zu können. Das Ergebnis war katastrophal: Real konnte nichts bewegt werden. Es gab keine zusätzliche Güterproduktion, keinen Abbau der Arbeitslosigkeit, kein Wirtschaftswachstum – es gab nur eine Hyperinflation. Nach fünf Jahren wurde die Billig-Geldpolitik aufgegeben. Die Einführung der Rentenmark im Jahr 1923 war der erste Schritt für den zwingend notwendigen Strukturwandel. Als das geschafft war, gab es einige "Goldene Jahre" am Ende der Weimarer Republik.

Die deutsche Sicht

Seit jener Inflationserfahrung hat man in Deutschland eine hohe Aversion gegen die Billig-Geldpolitik. Das war genau das Erfolgsgeheimnis der Politik der alten Bundesbank in der DM-Zeit. Bei der Euro-Einführung hatte man auf deutscher Seite geglaubt, die Spielregeln der alten Bundesbank würden auch für die Spielregeln der EZB Gültigkeit haben. Das war ein großer Irrtum. Natürlich waren und sind alle Präsidenten der heutigen Bundesbank entschiedene Gegner jeder Form von Billig-Geldpolitik. Leider war und ist Deutschland mit dieser Position im EZB-Rat immer auf der Verliererseite. Die Mehrheit der Länder in der Euro-Zone ist von der Politik des billigen Geldes begeistert.

Nach Friedmans Prognose müsste die extrem expansive Geldpolitik der EZB längst zu hohen Inflationsraten in der Euro-Zone geführt haben. Im Gegensatz dazu beobachten wir jedoch Inflationsraten von null oder sogar Deflationsraten. Warum ist das so? Offensichtlich ist der Transmissionskanal zwischen Finanzsektor und Realsektor blockiert; es gelingt der Geldmenge nicht, in den Realsektor einzudringen. Die Frage lautet also: Warum bleibt das Billig-Geld im Finanzsektor stecken? Es ist ein Zufall, dass die Antwort auf diese Frage von George Akerlof, dem Ehemann der heutigen Federal-Reserve Chefin Janet Yellen, stammt. Anhand des Beispiels vom Gebrauchtwagenmarkt zeigt Akerlof, dass und warum die Existenz asymmetrisch verteilter Qualitätsinformationen früher oder später zu Marktversagen oder sogar zum Marktzusammenbruch führen muss. Akerlofs Überlegungen gelten auch für Kreditmärkte.

Bei Kreditmärkten unterscheidet man zwei Typen: den Interbankenmarkt und den Kreditmarkt mit dem Realsektor. Auf beiden Markttypen brachen die Transaktionsvolumina in der Finanzkrise fast vollständig zusammen. Das hatte unterschiedliche Konsequenzen. Auf dem Interbankenmarkt sind im Normalfall die Liquiditätsüberschüsse und -defizite der Banken die treibenden Kräfte. Die Kreditgeber legen Überschüsse zinsbringend an; die Kreditnehmer wollen einen Liquiditätsbedarf decken. Wegen der krisenbedingten Funktionsunfähigkeit des Interbankenmarktes werden von den Banken heute grosse Liquiditätsüberschüsse als Vorsichtskasse gehortet. Dafür gibt es zwei Gründe: Der potenzielle Kreditgeber kann das Gegenpartei-Risiko nicht abschätzen. Ferner kann eine Bank als potenzieller Kreditnehmer sein eigenes Liquiditätsdefizit nicht mehr auf einem fehlenden Interbankenmarkt refinanzieren; man muss also seine eigene Liquiditätsreserve aufbauen. Beide Überlegungen führen dazu, dass die Geldmenge ganz bewusst vom Finanzsektor absorbiert wird. Damit sind wir gleichzeitig in der Lage, den blockierten Transmissionskanal zum Realsektor zu begründen. Weil der Bankensektor die Billiggelder für die eigene Liquiditätsvorsorge hortet, bleibt nichts übrig für die Kreditversorgung von Investoren und Konsumenten im Realsektor. Wenn im Realsektor kein Geld mehr ankommt, kann das Preisniveau für Güter und Dienstleistungen auch nicht steigen. Damit ist die Null-Inflation erklärt.

Wann folgt die generelle Zinswende?

Abschließend soll ein Wort zur Zinswende gesagt werden. Allen Fachleuten ist klar: Die Geldpolitik muss weg vom Billiggeld; die Zinsen müssen angehoben werden. Die Fragen lautet: Wann und wie wird das passieren? Wer macht den ersten Schritt? Für die USA hat Janet Yellen am 16. Dezember 2015 die erste Zinserhöhung seit 2006 vorgenommen. Was sollen die anderen Zentralbanken tun? Normalerweise gehen die Zentralbanker mit ihren Maßnahmen im Gleichschritt vor: Von Mario Draghi konnte also auch eine Zinserhöhung erwartet werden. Im Gegensatz dazu lernen wir am fatalen Donnerstag, dem 10. März 2016: Die EZB senkt den Leitzins auf null. Wer hat richtig gehandelt? Wer lag falsch? Keiner weiss es. Jetzt herrscht Orientierungslosigkeit. Plötzlich sind wir wieder bei Friedmans Überlegungen vom Anfang: Zentralbanker verunsichern mit ihren Aktionen systematisch die Wirtschaft; die Geldpolitik ist damit erneut die zentrale Ursache für Instabilitäten geworden. Mario Draghi hat mit seiner Entscheidung vom März seinen maßgeblichen Beitrag dazu geleistet.

©KOF ETH Zürich, 12. Apr. 2016

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *