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Irreführende Vollgeld-Rhetorik

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Die beiden Ökonomen Ernst Baltensperger und Jörg Baumberger erklären, was ein Vollgeldregime wirklich ändern würde – und wieso viele Verheissungen der Vollgeldanhänger bloss verwirrende Rhetorik sind.

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Die beiden Ökonomen Ernst Baltensperger und Jörg Baumberger erklären, was ein Vollgeldregime wirklich ändern würde – und wieso viele Verheissungen der Vollgeldanhänger bloss verwirrende Rhetorik sind.

Die Vollgeldinitiative will es den Banken verbieten, Geld in der Form von Sichteinlagen (sogenanntes Buch- oder Giralgeld) zu schaffen. Schweizerfranken-Sichteinlagekonten wären nicht mehr Schulden einer Geschäftsbank, sondern ausserhalb der Bankbilanz geführte Bucheinträge, ähnlich den heutigen, von Banken treuhänderisch betreuten Wertschriftendepots. Der Inhalt dieses getrennten Depots bestünde aus nichts anderem als direkten oder indirekten Gutschriften von Schweizerfranken-Zentralbankgeld.

Banknotes

Sichtguthaben bei Banken sind bloss imperfekte Substitute für Zentralbankgeld. Vollgeld-Anhänger stört das. (Bild: Martin Rütschi / Keystone) - Click to enlarge

Das durch die Nationalbank – in einem Vollgeldregime in grösserem Umfang als heute – geschaffene Schweizerfranken-Basisgeld soll zudem nicht mehr wie bis anhin durch ein Tauschgeschäft zwischen Zentralbank und Vertragspartnern entstehen (Zentralbankgeld im Tausch gegen Devisen, Wertpapiere, Schuldanerkennungen aller Art, Gold und andere Finanz- oder Realaktiven), sondern durch einseitigen Transfer. Die Franken sollten also zu einem Geschenk der Nationalbank an durch die Politik zu bestimmende Destinatäre werden. Der Verteilschlüssel wäre ebenfalls durch politische Instanzen festzulegen, wobei die allgemeinen Staatskassen von Bund, Kantonen und Gemeinden prominent figurieren dürften. Die unabhängige, aber ebenfalls durch politische Instanzen ernannte, allein dem Gemeinwohl verpflichtete Zentralbankleitung würde das aggregierte Gesamtvolumen der periodischen Franken-Geschenke bestimmen.

Vernebelnd statt klärend

Ihre vielversprechenden Thesen unterfüttern die Initianten durch ein suggestives, mitunter hochwissenschaftlich klingendes Vokabular, dessen eigentliche Substanz oft alles andere als offensichtlich ist. Mit ihm wird unserer Meinung nach in manchen Fällen mehr vernebelt als erklärt. Das gilt besonders für die fiskalischen Sirenengesänge, mit denen die Initianten Bund, Kantonen und Privaten eine «schuldenfreie Verteilung von Geld» in Aussicht stellen.

So werden die Anhänger der Vollgeldinitiative nicht müde zu betonen, dass im Vollgeldsystem Geld unabhängig von irgendwelcher Kreditgewährung «schuldfrei» in Umlauf gebracht würde, «als Wert an sich», welcher dem Staat oder der Bürgerschaft ohne Entgelt «als Realbesitz» zur Verfügung gestellt werden könne. Das aus den Verpflichtungen der Geschäftsbanken ausgelagerte Sichtguthaben werde damit «aktivisch» (Joseph Huber), «Aktivgeld» (Thomas Mayer). Die bisher üblichen Sichtguthaben hingegen seien «passivischer Natur», weil sie bloss eine Forderung gegen eine Bank und für diese somit eine Schuld (ein Passivum) darstellen (so der deutsche Spiritus Rector der Vollgeldinitiative, Joseph Huber). Nach dieser Logik wären somit auch Obligationen, Terminguthaben, Handelskredite oder Konsumkredite für ihre Gläubiger ebenfalls passivisch (oder vielleicht «passivische Aktiven»?), weil nur einen schuldrechtlichen Anspruch und nicht einen «Realbesitz» des Berechtigten darstellend. Wer Mühe hat, dieses verwirrende Vokabular zu verstehen, braucht sich nicht lange zu entschuldigen.

Die Meinung, hier liege ein noch nicht gehobener Schatz vergraben, entbehrt der ökonomischen Basis.

Gewiss, das unter Vollgeld aus der Bankbilanz «expatriierte» Guthaben in dem Vollgeldgefäss ist nominell sicherer, als es selbst ein in der Bankbilanz geführtes, zu 100% gedecktes Sichtkonto wäre. Besitzer von Vollgelddepots müssten ihre hundertprozentige Cash-Deckung im Insolvenzfall der Geschäftsbank nie mit anderen Gläubigern (nicht einmal mit Bankmitarbeitern oder dem Fiskus) teilen. Aber wäre ein Vollgeldkonto noch mehr als genau dies? Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Rhetorik von Eigentum, Besitz und «Realwert an sich» das Bemühen ausdrückt, den neuartigen Buchgeldeintrag als etwas Quasi-Materielles darzustellen, etwas, das physische Herrschaft erlaubt, oder zumindest als einen direkten, unvermittelten Anspruch auf die realen Güter und Dienstleistungen der Volkswirtschaft – was es alles definitiv nicht ist. Niemand muss einem anderen etwas Reales gegen Vollgeld – und schon gar nicht zu einem stabilen Preis – verkaufen. Diesbezüglich gäbe es auch unter Vollgeld nichts Neues unter der Sonne.

«Transfergeld» ohne Mehrwert

Mit ihrer Semantik erwecken die Vollgeld-Initianten den Eindruck, die Ausgabe ihres «aktivischen» Vollgelds schaffe für die Bürger einen Wert, der bei traditionellen Formen der Geldschaffung nicht entstehe. Das ist jedoch ein Fehlschluss. Neugeschaffenes Zentralbankgeld stellt einen volkswirtschaftlichen Wert dar, solange es von seinen Nutzern positiv bewertet wird und diese bereit sind, im Austausch dafür etwas hinzugeben. Für den Realwert des Geldes ist dabei irrelevant, ob es durch Schenkung oder im Tausch gegen Vermögenswerte in Umlauf gebracht wurde. Schafft die Zentralbank Geld über den Kauf von Vermögen oder die Vergabe von Krediten und überweist den Anlageertrag periodisch als Zentralbankgewinne an die Öffentlichkeit, so sind letztlich genau dieselben Transfers realisierbar, wie wenn das neue Geld bei seiner Schaffung direkt als Geschenk verteilt wird. Die Obsession der Vollgeldreformer mit der «schuldfreien» Geldschaffung ist fehl am Platz. Es gibt keinen «Mehrwert von Transfergeld».

Nur nebenbei sei bemerkt: Während klar ist, dass neues Basisgeld der Zentralbank unter dem Vollgeldregime das Licht der Welt als Geschenk «schuldfrei» erblicken soll, ist unklar, wie die Basisgeldmenge allenfalls wieder reduziert werden sollte, was sich in einer turbulenten Welt und bei den nur unsicher voraussehbaren Wirkungen auch einer Vollgeld-Geldpolitik immer wieder aufdrängen könnte. Das logische Gegenstück zum schuldfreien Geschenk wäre die entschädigungslose Konfiskation, eine Art Steuer nicht zur Alimentierung der Staatskasse, sondern mit dem expliziten Zweck der Enteignung von Geldbeständen des Publikums. Eine solche Massnahme dürfte kaum auf breites Verständnis stossen. Es ist deshalb anzunehmen (und wird von den Initianten gelegentlich auch so in Aussicht gestellt), dass dann doch wieder auf gegenseitige Markttransaktionen zurückgegriffen würde. Schuldfreie Schaffung, aber «schuldhafte», voll entschädigte Vernichtung von Basisgeld also.

Seigniorage für das Volk?

Ein zentraler Punkt im Vollgeld-Narrativ lautet, dass sich die Banken durch ihre Geldschöpfung unter dem heutigen System eine ökonomisch ungerechtfertigte und sozial ungerechte Rente in vielfacher Milliardenhöhe aneignen. Diese würde durch das Vollgeldsystem ausgemerzt und deren einstiger Gegenwert der Allgemeinheit geschenkt. Auch hier führt die Vollgeldrhetorik in illusorische Gewässer. Sie verspricht etwas, was die Vollgeldreform nicht wirklich liefern kann. Bei gründlicher Betrachtung wird klar, dass es auch unter Vollgeld im Geldschöpfungsprozess letztlich kaum mehr zu verteilen gäbe als heute mit den Nationalbankgewinnen.

Was geschieht, wenn heute eine Bank einen Kredit gewährt, den Kreditbetrag als Aktivum ausweist und diesen gleichzeitig als Passivum dem Girokonto ihres Kunden gutschreibt? Geld- und Kreditschöpfung hin oder her, durch diesen Schöpfungsakt ist weder die Bank noch der Kunde reicher (oder ärmer) geworden. Beide haben zunächst einmal einfach längere Bilanzen mit mehr Aktiven und mehr Schulden, nicht mehr Nettovermögen. Doch was geschieht danach? Die Bank profitiert vom durch den gewährten Kredit generierten Zinsertrag, das ist richtig. Ihren Buchgeld-Gläubigern bezahlt sie typischerweise einen deutlich niedrigeren Zins und verlangt häufig von ihnen sogar noch gewisse Gebühren, auch das trifft zu. Aber das ist nicht alles. Solange die Kredite und Einlagen bestehen, erbringt die Bank für ihre Kunden eine komplexe, werthaltige Dienstleistung in Form von Kontoführung, umfangreicher digitaler Infrastruktur, dem Angebot von Transfers, Monitoring der Aktiven, Betrieb von Bargeldautomaten usw. Der Wert des Giralgeldes für die Einleger wird durch diese Dienstleistungen mitgeprägt. Ohne diese wären die Einleger an solchen Verträgen kaum interessiert.

Je besser der Wettbewerb im Markt für Sichteinlagen und Bankdienstleistungen spielt, desto geringer fällt die Rente aus, die aus diesen Geschäften in Form überhöhter Gewinne bei den Banken verbleibt. Der Wettbewerb zwingt die Banken, die Vorteile, die sie aus diesen Geschäften erzielen, an ihre Kunden weiterzugeben. In der Realität dürften solche Renten in den stark umworbenen Märkten kaum sehr gross sein. Dann gibt es aber auch nicht viel umzuverteilen.

Nichts hindert Vollgeldvertreter daran, ein Vollgeldgefäss samt Dienstleistungen anzubieten.

Die Meinung, hier liege ein für die Öffentlichkeit noch nicht gehobener Schatz begraben, den sich das Bankensystem bisher «illegitim» angeeignet habe und den man mithilfe eines Verbots von Sichteinlagen bei Banken dem Bürger in Vollgeld-Cash zurückgeben könne, entbehrt einer ökonomischen Basis. Giralgeld bleibt Giralgeld, auch wenn es von der Zentralbank geschaffen wird. Die involvierten Dienstleistungen sind auch nach einer Vollgeldreform noch notwendig, und deren Kosten müssen auch unter dem nunmehr in gewöhnliche Residualbanken und Vollgeldgefässe aufgespaltenen Finanzsystem von jemandem getragen werden. Möglicherweise würden sie den Inhabern der neuen Vollgeldkonten über zusätzliche Gebühren direkt aufgebürdet, was diese kaum gross freuen dürfte. Eine zweite Möglichkeit wäre, den Banken vorzuschreiben, dass sie diese Dienstleistungen gratis anbieten müssen. Die Vollgeldkonti würden dann für die Banken zum reinen Verlustgeschäft, ihr Widerstand wäre entsprechend gross. Vorstellbar wäre drittens, dass der Staat oder die Zentralbank diese Dienstleistungen subventioniert, zum Beispiel über eine Verzinsung der Guthaben auf den Vollgeldkonten. Dann wäre es aber nicht mehr möglich, die dafür eingesetzten Mittel noch einmal als «Dividende» an die Bürger zu verteilen.

Möglicherweise beschränken im heutigen System die Kosten des Wechsels von Kundenbeziehungen (von einer Bank zur andern) in begrenztem Ausmass den Wettbewerb. Wenig wahrscheinlich ist aber, dass die Einführung von Vollgeld dieses Problem mildern würde. Im Gegenteil: Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass unter einem Vollgeldregime politischer Druck die Banken dazu nötigen würde, Transaktionskonten günstig und zu möglichst einheitlichen Bedingungen anzubieten. Der Zahlungsverkehr würde bald einmal von Regulierung und Bürokratie überwuchert, und der Wettbewerb bliebe auf der Strecke. Die zunehmende Anwendung moderner Informationstechnologien dürfte umgekehrt auch unter dem heutigen Regime den Wechsel zwischen Anbietern erleichtern und für mehr Wettbewerb sorgen.

Wettbewerb von Geld

Schliesslich sind Zentralbankgeld und Bankengeld nicht einfach homogenes Geld. Sie sind vielmehr differenzierte Gelder im Verein der Schweizerfranken-«Gelderfamilie». Innerhalb dieser stellen das Nationalbankgeld, also die Basisgeldmenge, und die Bankengirokonten ein Surrogatgeld dar. Surrogatgelder und Basisgeld sind zwar Substitute, aber eben nur imperfekte. Alle stehen untereinander «innerfamiliär» in einem unvollkommenen Wettbewerb. Und als Schweizerfranken-Gelderfamilie stehen sie mit allen anderen Gelderfamilien der realen und virtuellen Welt in Konkurrenz.

Die Banken bieten mit ihren Sichteinlagenkontrakten und den damit verbundenen Dienstleistungen ein in Franken denominiertes Produkt an, das durch ein spezifisches Bündel an Eigenschaften gekennzeichnet ist. Je nach Verwendungszweck kann dieses gegenüber dem Zentralbankgeld Vorteile oder auch Nachteile aufweisen. In diesem Bereich herrscht heute intensiver Wettbewerb. Niemand ist gezwungen, das Produkt «Schweizerfranken-Buchgeld» – das man auch von einer Kantonalbank mit Staatsgarantie oder von Postfinance erwerben kann – von einer bestimmten börsenkotierten privaten Geschäftsbank zu kaufen und zu halten.

Es wäre den Banken notabene auch nicht verboten, zu 100% mit Zentralbankgeld gedeckte Sichtkonten anzubieten, auch ausserhalb und rechtlich getrennt von ihrer normalen Bilanz, wenn ein solches Produkt wirklich ein echtes Bedürfnis befriedigen würde. Nichts hindert zudem unternehmerisch denkende Vollgeldvertreter daran, einem durch sie beworbenen Publikum zu den günstigst möglichen Bedingungen ein Vollgeldgefäss samt entsprechenden Dienstleistungen anzubieten.

Ernst Baltensperger
Ernst Baltensperger is professor emeritus of macroeconomics at the University of Berne and advisor at the Study Center Gerzensee, where he served as director from 2007 to 2009. He studied economics at the University of Zurich and received his Ph.D. in economics from Johns Hopkins University. He held previous positions as professor of economics at Ohio State University, the University of Heidelberg, and the University of St. Gallen. He was a visiting professor in numerous academic institutions, including the University of Konstanz, the University of Zurich, the University of California at Los Angeles, the Free University in Berlin, Humboldt University at Berlin, and the research department of the Swiss National Bank, and served as an advisor to the Swiss National Bank.

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