Unsere Verachtung spielt den Feinden der offenen Gesellschaft nur in die Karten. Statt mit Hass sollten wir unseren Gegnern mit Respekt für das Individuum begegnen. Ein Plädoyer für die Wiederentdeckung der Feindesliebe. Hass nutzt nur den Spaltern Diesseits und jenseits des Atlantiks haben Menschen mit auseinander gehenden Meinungen häufig nur noch eines füreinander übrig: Hass. Damit wird der Hass zur bestimmenden Kraft in der Politik. Und der Waffenschrank der negativen Emotionen wird immer weiter geöffnet: Hohn und moralische Überheblichkeit werden zu probaten Mitteln der Auseinandersetzung; Ausgrenzung und Verachtung zum moralischen Imperativ unserer Gesellschaft. Wer nun mit einer Logik a la „Hass verdient Hass“ daherkommt, der verkennt das wahre Problem. Wenn wir hassen,
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Unsere Verachtung spielt den Feinden der offenen Gesellschaft nur in die Karten. Statt mit Hass sollten wir unseren Gegnern mit Respekt für das Individuum begegnen. Ein Plädoyer für die Wiederentdeckung der Feindesliebe.
Hass nutzt nur den Spaltern
Diesseits und jenseits des Atlantiks haben Menschen mit auseinander gehenden Meinungen häufig nur noch eines füreinander übrig: Hass. Damit wird der Hass zur bestimmenden Kraft in der Politik. Und der Waffenschrank der negativen Emotionen wird immer weiter geöffnet: Hohn und moralische Überheblichkeit werden zu probaten Mitteln der Auseinandersetzung; Ausgrenzung und Verachtung zum moralischen Imperativ unserer Gesellschaft. Wer nun mit einer Logik a la „Hass verdient Hass“ daherkommt, der verkennt das wahre Problem. Wenn wir hassen, missachten wir unser Gegenüber. Wir negieren dessen Individualität und Menschlichkeit. Der politische Feind, den wir hassen, wird zu einem namenlosen Problem. Faschismus, Rassismus, Populismus: diejenigen, die wir mit diesen Labels bedenken, verschwimmen zu einer unübersichtlichen und nicht greifbaren grauen Masse. Dabei gewinnen nur die Spalter, denen offenen Gesellschaft, Toleranz, und Respekt Andersdenkenden gegenüber ein Dorn im Auge sind.
Das Problem mit dem namenlosen Feindbild
Der Autor Hermann Hesse schildert in seiner Glossensammlung „Kurgast“, wie er mit dem Problem des Hasses konfrontiert wurde. Eigentlich in einem Kurhotel abgestiegen, um dort die dringend gesuchte Ruhe zum Schreiben zu finden, ficht er schon bald einen erbitterten Krieg mit seinem Zimmernachbarn aus. Der ist laut, strotz nur so vor Lebensenergie und hindert Hesse durch lautes Umhergehen, Gespräche und die Nutzung des Badezimmers sowohl am Schreiben als auch am Schlafen. Ohne auch nur ein persönliches Wort mit dem Zimmernachbarn gewechselt zu haben, steigert sich Hesse immer weiter in seinen erbitterten Hass hinein.
Es sind nur nicht mehr nur die Geräusche von nebenan. Es ist die pure Existenz des Feinbildes „Holländer“, die Hesse um den Verstand bringt. Fortan verbringt er die schlaflosen Nächte damit, einen Ausweg zu suchen. Dieser besteht letztlich darin, den Holländer schlicht „zu lieben“. Hessen freundet sich mit der lautstarken Lebensenergie an, empfindet Respekt für das tägliche Tun seines Nachbarn und kommt zu dem Punkt, an dem „ganz Holland Kirmes feiern“ könnte und es ihn nicht mehr stören würde. Selbstverständlich reist „der Holländer“ am Ende dieses schweren Kampfes ab und Hesse sieht sich mit der plötzlichen Stille konfrontiert.
Nicht der sprichwörtliche Schaum vor dem Mund entlarvt die Feinde der offenen Gesellschaft
Es ist wahrlich nicht schwer, die Parallelen zwischen dem massigen, schwulstigen und ungehörig lauten Holländer bei Hesse und den politischen Todfeinden vieler unserer Zeitgenossen zu sehen. Hesse findet erst durch die Feindesliebe den inneren Seelenfrieden. Das bedeutet in unserer Situation nicht, dass wir keine politischen Gegner haben sollten. Klare und offen kommunizierte Standpunkte sind das Fundament einer offenen Gesellschaft. Es bedeutet aber, dass wir anderen gegenüber nicht in blinden Hass verfallen sollten, nur weil wir ihre Ansichten nicht teilen. Martin Luther King, der alltäglich mit Hass und Verachtung konfrontiert war, drückte dies folgendermaßen aus: “Man beginnt einfach, jemanden zu hassen, und man beginnt, irrationale Dinge zu tun. Man kann nicht mehr klar sehen, wenn man hasst. Man kann nicht geradeaus gehen, wenn man hasst. Man kannt nicht aufrecht stehen. Die Sicht ist verzerrt. Es gibt nichts Tragischeres, als ein Individuum zu sehen, dessen Herz von Hass erfüllt ist.“
Tatsächlich bringt der Hass all jene Gefühle in uns zutage, die für eine offene Gesellschaft schädlich sind. Wer daran glaubt, dass unsere Gesellschaft auf dem Zusammenwirken selbstverantwortlicher Individuen fußen sollte, der kann nicht im gleichen Atemzug seinen Feinden mit Hohn und moralischer Überheblichkeit entgegentreten. Wir müssen uns nicht damit abfinden, dass andere Menschen Ziele verfolgen, die wir für grundfalsch halten. Wir müssen wahrlich auch nicht das gleiche fühlen. Aber wir müssen versuchen, zu verstehen, was unser Gegenüber bewegt. Das bedeutet, zu lernen, fremde Gedanken, seien sie auch noch so absurd und gegen alle unsere Überzeugungen, zu ertragen. Nicht der sprichwörtliche Schaum vor dem Mund entlarvt die Feinde der offenen Gesellschaft, sondern die Achtung des Individuums und manchmal auch einfach nur ein unbeteiligtes Achselzucken.
Es fehlt nicht an Meinungsfreiheit, sondern an Streitkultur
So lange wir die Spirale des Hasses nur weiter antreiben, spielen wir den Feinden der offenen Gesellschaft in die Hände. Schlägt ihnen bei jeder Äußerung, bei jedem Auftritt ungezügelter Hass entgegen, können sie glaubhaft verkünden, die Meinungsfreiheit sei in Gefahr. Und auf kaum eine gefühlte Grundrechtseinschränkung reagiert unsere Gesellschaft so sensibel. Der Erfolg der Feinde der offenen Gesellschaft fußt auf dem Märchen des entkoppelten politischen Systems, das gesteuert wird von Eliten, die „die Wahrheit“ unterdrücken wollen, um ihre eigene Macht zu sichern. Dabei war es dank Social Media und Co. wohl noch nie so einfach, seine eigene Meinung in die weite Welt zu posaunen. Und die Gerichte setzten einer Einschränkung der Meinungsfreiheit nach wie vor hohe Schranken entgegen.
Es fehlt uns also wahrlich nicht an Meinungsfreiheit, sondern an einer ordentlichen Streitkultur. Sei es auch noch so unerträglich und schwierig – zu einem Streit gehört, die Meinung der Gegenseite zu ertragen. Und das hat nichts damit zu tun, den „falschen“ Meinungen ein Forum zu bieten. Denn öffentliches Ignorieren stärkt nur noch das Narrativ unserer politischen Feinde. Stattdessen sollten wir unsere Feinde auch einmal ausreden lassen und ergründen, welche nachvollziehbaren Bedürfnisse und Interessen hinter den uns manchmal verstörenden Positionen stehen. Denn diese sind oftmals gar nicht so weit entfernt von den unseren. Das mag zwar die Galionsfiguren unserer Gegner nicht von ihrem Weg abbringen. Aber es gibt jedem Wähler und Unterstützer die Chance, sich und seine Position zu hinterfragen. Und das ohne von unserem Hass in eine Ecke getrieben zu sein, sondern als selbstverantwortlicher Teil unserer offenen Gesellschaft.