BuchbesprechungDiane Coyle: “The Measure of Progress” – Counting What Really Matters, Princeton University Press, April 01, 2025, UK, London.Die modernen Wunder, die die Innovation (z.B. in Sachen Technologie, Medizin, Künstliche Intelligenz usw.) hervorbringt, deuten heute ohne Zweifel auf die Möglichkeit einer neuen Ära des menschlichen Fortschritts hin. Doch Innovation hat oft transformative Effekte, die in der ...
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Buchbesprechung
Diane Coyle: “The Measure of Progress” – Counting What Really Matters, Princeton University Press, April 01, 2025, UK, London.
Die modernen Wunder, die die Innovation (z.B. in Sachen Technologie, Medizin, Künstliche Intelligenz usw.) hervorbringt, deuten heute ohne Zweifel auf die Möglichkeit einer neuen Ära des menschlichen Fortschritts hin.
Doch Innovation hat oft transformative Effekte, die in der Wirtschaftsstatistik schwer zu kristallisieren sind.
Es ist zudem keine neue Erkenntnis, darauf hinzuweisen, dass die Entwicklung des Wohlstands nicht allen zu Gute kommt. Die wachsende Ungleichheit z.B. lastet auf dem Wohlbefinden vieler Menschen auch in fortentwickelten Volkswirtschaften.
Diane Coyle beschäftigt sich vor diesem Hintergrund mit der Suche nach einer angemessenen Alternative (und oder Ergänzung) für das Bruttoinlandsprodukt (BIP), welches seit den 1940er Jahren als die wichtigste Metrik herangezogen wird, um die Wohlfahrt einer Volkswirtschaft zu messen. Die Autorin zieht es vor, für ihre Forschung als Basis das SNA («System of National Accounts») zu verwenden.
Darüber hinaus ist Nachhaltigkeit für die Autorin ein wichtiges Anliegen: Die Natur hat schliesslich einen Einfluss auf die menschliche Gesundheit und das Wohlbefinden. Und das individuelle Humankapital ist mit dem kollektiven Sozialkapital eng verbunden.
«Der Nullpreis für die Natur, während die Wirtschaft seit den 1950er Jahren gewachsen ist, hat zu einer existenziell bedrohlichen Überausnutzung natürlicher Ressourcen geführt.»
Die Tatsache, dass die Wirtschaft die Natur frei nutzt, hat ein schnelleres BIP- und Einkommenswachstum ermöglicht, als es sonst möglich gewesen wäre.
Irgendwann wird aber die Erschöpfung erneuerbarer Ressourcen unterhalb des Niveaus, auf dem sie sich erneuern können, in Zukunft zu einem geringeren Wachstum führen.
Doch es ist irgendwie paradox, zu erkennen, dass die Kombination von «Substitutionen und technische Innovation» heute dazu beiträgt, diesen Moment weiter hinaus zu verschieben.
Es gibt laut der Autorin verschiedene Möglichkeiten, die Vermögenswerte («assets) zu klassifizieren, die erforderlich sind, um eine nachhaltige wirtschaftliche Produktion und einen nachhaltigen Verbrauch zu gewährleisten.
Diane Coyle: “The Measure of Progress” – Counting What Really Matters, Princeton University Press, April 01, 2025, UK, London. |
Das Forschungsprogramm der Weltbank beispielsweise kategorisiert die nationale Bilanz in produziertes (oder physisches), Natur-, Humankapital und Nettofinanzkapital.
Diane Coyles Forschungsteam indes verwendet den "Six Capitals": physisches oder produziertes Kapital und menschliches, natürliches, soziales, institutionelles und immaterielles Kapital.
Es ist unbestritten, dass aussagekräftige Wirtschaftsstatistiken für Staaten erforderlich sind, um Richtlinien zu entwerfen, z.B. die sozialen Beziehungen in der Gesellschaft effektiv zu verwalten. Schließlich leitet sich das Wort Statistik vom Staat ab.
Doch, die statistische Linse, durch die wir alle versuchen, die Wirtschaft zu verstehen, verschwimmt in einer Zeit, in der sich die Wirtschaft erheblich und schnell verändert, argumentiert die an der University of Cambridge forschende Wirtschaftsprofessorin.
«Information und Energie - sind die grundlegenden "Allzwecktechnologien", die die Struktur der Wirtschaft in jeder Epoche entscheidend prägen.»
Die Botschaft des Buches lautet vor diesem Hintergrund, dass die neue Ära einen neuen statistischen Rahmen benötigt. Im Mittelpunkt der Überlegungen der Autorin steht daher die Frage, die in den letzten Jahrzehnten von vielen Menschen angesprochen wurde: wie man den wirtschaftlichen Fortschritt für die Gesellschaft als Ganzes messen kann.
Die Beantwortung grundlegender Fragen wie dieser erfordert eine Ansicht darüber, was als Wertschöpfung gezählt werden sollte. Das aktuelle Konzept der Wertschöpfung, das heute zur Erstellung von BIP-Zahlen verwendet wird, entspricht beispielsweise nicht den Ansichten vieler Menschen über den gesellschaftlichen Wert.
In ihrer Arbeit, die sich sowohl auf die digitale Wirtschaft als auch auf die Naturwirtschaft konzentriert, befürwortet Diane Coyle einen «umfassenden Wohlstands- oder Kapitalrahmen».
Es geht unter anderem um eine verbesserte Messung immaterieller Kapitalanlagen, da sie bei der Schaffung von zusätzlichem wirtschaftlichem Wert immer wichtiger werden.
Ein umfassender Wohlstandsansatz («wealth framework») würde z.B. mitberücksichtigen, wie Investitionen für den zukünftigen Konsum immer verschiedene Arten von Vermögenswerten in Kombination umfassen.
Das bedeutet, dass es wichtig sein wird, nicht nur die Bestände an verschiedenen Vermögenswerten zu berücksichtigen - ob Maschinen, Patente oder städtische Bäume (die z.B. die Umgebungstemperatur kühlen) - sondern auch das Ausmaß, in dem die von ihnen erbrachten Dienstleistungen «Ersatz oder Ergänzungen» füreinander darstellen.
«Das nicht vermarktete Kapital ist z.B., wie die Organisation eines Unternehmens oder das interne Wissen, eine weitere wesentliche Ergänzung, um über Vermögenswerte umfassend nachzudenken.»
Die Umweltkrisen reflektieren auch ein aufkommendes Gefühl des kollektiven Interesses, das im Widerspruch zu den Marktergebnissen steht, was wiederum das Argument für den Einbezug von Sozialkapital oder organisatorischem Kapital in einen umfassenden Wohlstandsrahmen unterstützt.
Das derzeitige System der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (SNA), einschließlich der wichtigsten Zahl für das BIP, stammt aus den 1940er Jahren:
Damals, in der Nachkriegszeit, wurde physisches Kapital als «die verbindliche Einschränkung für das Wachstum» wahrgenommen.
Die Ressourcen schienen frei zu sein.
Die drängende wirtschaftspolitische Herausforderung wurde folglich als effektives Nachfragemanagement angesehen, damit nie wieder eine Weltwirtschaftskrise auftreten konnte.
Diane Coyle: “The Measure of Progress” – Counting What Really Matters, Princeton University Press, April 01, 2025, UK, London. |
Die wichtigste wirtschaftspolitische Herausforderung hingegen liegt jetzt auf der Angebotsseite, so die Autorin, wenn es darum geht, den Lebensstandard zu verbessern, in einer Zeit, in der es Gegenwinde wie Klimaschocks, Konflikte und alternde Gesellschaftsbeziehungen gibt.
Dazu gehört auch der Faktor Arbeit. Wenn Arbeitsleistungen als Fluss betrachtet werden, der aus dem Bestand an Humankapital resultiert, sollten die Ausgaben für Gesundheit und Bildung eher eine Form der Investition darstellen als des Konsums, so die Autorin.
In diesem Bereich, wenn nirgendwo anders, ist es unerlässlich, Statistiken zu entwickeln, die Schätzungen von «Schattenpreisen» beinhalten. Aber es geht nicht nur um Umweltkontexte: kulturelle und erbliche Vermögenswerte, soziale Vermögenswerte, digitale Vermögenswerte, die kostenlos zu sein scheinen, einschließlich Daten, die für das Training generativer KI verwendet werden, erfordern alle die Verwendung von Schattenpreisschätzungen.
Diane Coyles Ansatz
(«der umfassende Wohlfahtsrahmen», der eine breite Perspektive auf die Bestandteile des wirtschaftlichen Wohlergehens bietet, bezieht die Nachhaltigkeit ein und ermöglicht Integration von Nicht-Marktwerten)
hat wichtige Vorteile gegenüber dem aktuellen SNA.
Eine davon ist eine «breit definierte Bilanz der Ökonomie» und mit den damit verbundenen Dienstleistungsströmen für die Vermögenswerte, die zu Schattenpreisen bewertet werden, die die gesellschaftlichen Werte wieder spiegeln und nicht die der Märkte.
Zweitens hilft «die breit definierte Bilanz der Ökonomie», zu verstehen, wie diese Vermögenswerte als Portfolio funktionieren, z.B. als Ergänzung zueinander.
Im Übrigen sind Schattenpreise die Preise, die gesellschaftliche Werte und nicht die Börsenwerte widerspiegeln.
Die Autorin glaubt nicht, dass wir auch nur annähernd einen Konsens darüber haben, was das SNA anpassen oder ersetzen könnte. Die SNA-Revision im Jahr 2025 dürfte zwar eine weitere Reihe von geringfügigen Änderungen hervorbringen. Es sind aber keine grundsätzlichen Änderungen zu erwarten.
Da sich die Struktur so vieler Branchen erheblich verändert hat, vertritt Diane Coyle die Meinung, dass politische Entscheidungen, die jetzt getroffen werden, das Leben der Menschen für die kommenden Jahrzehnte erheblich beeinflussen werden. Es ist vor diesem Hintergrund kein Wunder, dass die Industriepolitik unter den politischen Entscheidungsträgern gegenwärtig wieder in Mode ist.
Schlussfolgerungen der Autorin sind klar. Maßnahmen, die die Nachhaltigkeit, natürlich und gesellschaftlich, berücksichtigen, sind eindeutig unerlässlich; der umfassende Wohlfahrtsrahmen («wealth framework») tut dies und kann möglicherweise ein breites Gerüst bieten, das andere nutzen können, um «Dashboards» zuzuschneiden, die bestimmten Zwecken dienen.
Eine zweite Schlussfolgerung ist, dass Ideen zwar immer zu Innovation und Fortschritt führen, ihre Rolle bei der Wertschöpfung aber noch zentraler ist, da der Anteil des immateriellen Wertes an der Wirtschaft zunimmt.
Wenn der Gesamtvermögensbestand einer Volkswirtschaft - angemessen definiert und gemessen - steigt, wird das wirtschaftliche Wohlergehen voranschreiten.
In der Literatur wird seit langem die normative Äquivalenz zwischen dem realen Volkseinkommen und dem sozialen Wohlstand hervorgehoben, vorausgesetzt, dass es sich bei den zur Schätzung des realen Volkseinkommens verwendeten Gewichten für Waren und Dienstleistungen um Schattenpreise und nicht um Marktpreise handelt.
Ein anspruchsvolles Werk, welches aufzeigt, warum zeitgemässe Wirtschaftsstatistiken wichtig sind, um die Unzulänglichkeiten bei der herkömmlichen Betrachtung des Wachstums des Lebensstandards zu überwinden und dazu beizutragen, die Wohlfahrt einer Volkswirtschaft gebührend zu ermitteln, und gesellschaftspolitische Entscheidungen dementsprechend zu gestalten.