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Passen die Steuerreform und die AHV-Reform letztlich doch zueinander?

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Marius Brülhart In einer ersten Überschlagsrechnung zur Unternehmenssteuer-plus-AHV-Reform kam ich kürzlich zum Schluss, dass diese Vorlage signifikant zu Lasten von Haushalten in den unteren 90 Einkommensperzentilen („Untere-90“) an die oberen 10 Prozent („Top-10“) umverteilen würde. Angesichts der politischer Brisanz einer solchen Diagnose sollte meine holzschnittartige Analyse daraufhin geprüft werden, ob sie auch bei einem etwas feineren Ansatz zum gleichen Schluss führt. Insbesondere gilt es, dynamische Wirkungen der Steuerreform zu berücksichtigen, denn die betroffenen Firmen werden zweifelsohne auf Steuersatzänderungen reagieren. Zudem sollte man dem Anteil ausländischer Anteilseigner an Schweizer Unternehmen Rechnung tragen, denn ein beträchtlicher Teil der von Schweizer

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Marius Brülhart

In einer ersten Überschlagsrechnung zur Unternehmenssteuer-plus-AHV-Reform kam ich kürzlich zum Schluss, dass diese Vorlage signifikant zu Lasten von Haushalten in den unteren 90 Einkommensperzentilen („Untere-90“) an die oberen 10 Prozent („Top-10“) umverteilen würde.

Angesichts der politischer Brisanz einer solchen Diagnose sollte meine holzschnittartige Analyse daraufhin geprüft werden, ob sie auch bei einem etwas feineren Ansatz zum gleichen Schluss führt.

Insbesondere gilt es, dynamische Wirkungen der Steuerreform zu berücksichtigen, denn die betroffenen Firmen werden zweifelsohne auf Steuersatzänderungen reagieren. Zudem sollte man dem Anteil ausländischer Anteilseigner an Schweizer Unternehmen Rechnung tragen, denn ein beträchtlicher Teil der von Schweizer Unternehmenssteuern direkt Betroffenen ist gar nicht in der Schweiz ansässig.

Zu den dynamischen Wirkungen hat die Eidgenössische Steuerverwaltung eine detaillierte Studie publiziert. (Volle Offenlegung: David Staubli, einer der beiden Autoren, ist ein ehemaliger Mitarbeiter meiner Abteilung an der Universität Lausanne.) Diese Studie bringt willkommenes Licht ins Dunkel der Unternehmenssteuerreform, und schafft somit Vertrauen in die Arbeit unserer Regierung und Verwaltung. Die Studie deckt eine Vielzahl von Szenarien ab, je nach angenommener Steuerempfindlichkeit der ausgewiesenen Firmengewinne, Entwicklung der Steuersätze in den Kantonen und in anderen Ländern, und diverser anderer Annahmen, über welche grosse Unsicherheit besteht.

Im Parlament arbeitet man zur Zeit mit einem geschätzten steuerreformbedingten Einnahmenausfall von 2.1 Milliarden Franken. Dieser Wert entspricht ungefähr der statischen Schätzung der ESTV-Studie. Aber handelt es sich dabei auch um die relevanteste Zahl?

Gemäss dem zentralen dynamischen Szenario der ESTV-Studie zöge die Steuerreform für bereits heute ordentlich besteuerte Unternehmen mittelfristig eine Steuerersparnis von 3.4 Milliarden Franken nach sich – ein geraumer Mitnahmeeffekt für die Aktionäre normaler Schweizer Unternehmen. Die aktuellen Statusfirmen hingegen würden gegen 2.7 Franken zusätzlich in die Staatskasse einzahlen, denn ihre Steuerbelastung würde ansteigen. Der mittelfristige Unternehmenssteuerausfall würde somit rund 0.7 Milliarden Franken betragen, das heisst ein Drittel der meist zitierten 2.1 Milliarden. Ich nehme hier einmal an, dass die Folgen solcher Einnahmeausfälle alle Einkommensgruppen ungefähr gleich belasten, was gerundet -0.6 Milliarden ergibt für die Unteren-90 und -0.1 Milliarden für die Top-10.

Die ESTV-Studie berücksichtigt zusätzlich „induzierte Effekte“ über einkommensbedingte Steuereinnahmen und kommt damit sogar auf einen positiven Nettoeffekt der Steuerreform für die Staatskasse. Angesichts der noch grösseren Unsicherheiten bei der Schätzung der induzierten Effekte und derer Verteilungswirkungen blende ich diese hier vorerst einmal aus.

Somit stellt sich noch die Frage, welcher Anteil der Gewinnsteuerersparnisse in der Schweiz bleiben würde, und welcher Anteil ausländischen Aktionären zugutekäme. Gemäss Angaben aus dem Eidgenössischen Finanzdepartement fliesst weit über die Hälfte der in der Schweiz ausgewiesenen Gewinne an ausländische Investoren. Ich nehme darauf abstützend einen Ausländeranteil von 60 Prozent bei den ordentlich besteuerten Unternehmen und von 80 Prozent bei den Statusfirmen an.

Die mittelfristigen Wirkungen der Unternehmenssteuerreform verteilen sich demgemäss folgendermassen:
• Aktionäre im Ausland: -0.1 Milliarden (= 0.8 x -2.7 Milliarden + 0.6 x 3.4 Milliarden)
• Top-10 Schweiz: +0.7 Milliarden (= 0.2 x -2.7 Milliarden + 0.4 x 3.4 Milliarden – 0.1 Milliarden)
• Untere-90 Schweiz: -0.6 Milliarden

Die Unternehmenssteuerreform erweist sich also auch in dieser Betrachtung als degressiv, aber die Umverteilung von unten nach oben ist weniger ausgeprägt als in der rein statischen Analyse.

Gemäss meiner Überschlagsrechnung kostet die AHV-Reform die Top-10 0.8 Milliarden Franken und beschert den Unteren-90 0.8 Milliarden. (Man kann das auch anders rechnen als ich es tat, indem man die 0.9 Milliarden aus der Mehrwerts- und direkten Bundessteuer als gegeben betrachtet und die Opportunitätskosten auf der Ausgabenseite aufteilt, und indem man die implizite Progressionswirkung bei den Lohnprozenten einbezieht. Das resultierende Umverteilungsergebnis bleibt dann in etwa dasselbe.)

Siehe da: Die Gewinne und Verluste der beiden Vorlagen kompensieren sich fast genau. Somit erscheint der Steuerreform-AHV-Deal nun verteilungsmässig einigermassen neutral.

Dies ist natürlich immer noch eine grobe Schätzung. Was könnte den Befund wiederum kippen?

Zum einen würde eine Berücksichtigung der induzierten Effekte der Steuerreform (via eine wachsende Lohnsumme) den Gesamteffekt noch stärker zu Gunsten der Unteren-90 ausfallen lassen.

Zum anderen hätte insbesondere eine Fehleinschätzung des internationalen steuerpolitischen Umfelds gravierende Folgen für die Analyse. Die ESTV-Studie geht davon aus, dass die Steuern für multinationale Firmen an Konkurrenzstandorten ebenfalls ansteigen werden. Wäre dem nicht so, würde aus der dem simulierten dynamischen Steuerausfall von 0.7 Milliarden ein Loch von bis zu 3.1 Milliarden (bei unveränderten Steuersätzen im Ausland), was natürlich vor allem die Unteren-90 zu spüren bekämen.

Dennoch: Unter plausiblen dynamischen Annahmen scheint sich die Intuition der ständerätlichen Kompromiss-Schmiede zu bestätigen. Auf den zweiten Blick passen die beiden Reformen zumindest in verteilungspolitischer Hinsicht gar nicht so schlecht zueinander.

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