Während der Corona-Krise verschlechterte sich die Wirtschaftslage in atemberaubender Geschwindigkeit. Die normalerweise verwendeten Daten zur Konjunkturbeobachtung können mit diesem Tempo nicht mithalten. Das kürzlich gestartete Projekt trendEcon nutzt deshalb Google-Daten, um die Auswirkungen der Krise quasi in Echtzeit zu zeigen. Wie Tilman Eichstädt kürzlich aufgezeigt hat[ a ], hinkt die Konjunkturbeobachtung in Krisen wie dieser der Realität (zu) weit hinterher: Die wichtigsten Wirtschaftsstatistiken wie das BIP, die Industrieproduktion oder die Arbeitslosenzahlen werden in der Regel monatlich oder vierteljährlich gemessen und können nur mit Verzögerung berechnet werden. So erscheint die erste amtliche Publikation des Schweizer BIP rund 60 Tage nach Ende des betreffenden
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Ronald Indergand, Isabel Z. Martínez considers the following as important:
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Während der Corona-Krise verschlechterte sich die Wirtschaftslage in atemberaubender Geschwindigkeit. Die normalerweise verwendeten Daten zur Konjunkturbeobachtung können mit diesem Tempo nicht mithalten. Das kürzlich gestartete Projekt trendEcon nutzt deshalb Google-Daten, um die Auswirkungen der Krise quasi in Echtzeit zu zeigen.
Wie Tilman Eichstädt kürzlich aufgezeigt hat[ a ], hinkt die Konjunkturbeobachtung in Krisen wie dieser der Realität (zu) weit hinterher: Die wichtigsten Wirtschaftsstatistiken wie das BIP, die Industrieproduktion oder die Arbeitslosenzahlen werden in der Regel monatlich oder vierteljährlich gemessen und können nur mit Verzögerung berechnet werden. So erscheint die erste amtliche Publikation des Schweizer BIP rund 60 Tage nach Ende des betreffenden Quartals. Erst Ende Mai / Anfang Juni wird also klar, wie sich die Wirtschaft von Januar bis März entwickelt hat. In vielen Ländern wird immerhin mit sogenannten "Schnellschätzungen" gearbeitet, das sind provisorische Vorabveröffentlichungen, womit die erste Publikation um einige Wochen vorverlagert werden kann.
In Krisenzeiten reicht diese Erhebungsfrequenz aber nicht aus und die notwendigen Daten stehen kaum rechtzeitig – etwa für eine möglichst effektive Wirtschaftspolitik – zur Verfügung. Dieses Handicap wird mit dem Ausbruch des Coronavirus und den ergriffenen Massnahmen überdeutlich. Die Wirtschaftslage verschlechterte sich in einem atemberaubenden Tempo: Reisebüros, Gastro-Betriebe und ein Grossteil der Läden mussten plötzlich schliessen. Die für gewöhnlich verwendeten Daten zur Konjunkturbeobachtung können mit diesem von der Krise vorgegebenen Tempo nicht mithalten. Gleichzeitig ist die Politik in einer solchen Krisensituation viel stärker als sonst auf verlässliche Beurteilungen der konjunkturellen Situation angewiesen.
Wer die Konjunktur analysieren und prognostizieren will, ist daher gezwungen, auf tägliche oder wöchentliche Datenquellen auszuweichen. Tägliche Passagierzahlen können etwas über den Tourismus und die Wertschöpfung im Transportgewerbe aussagen, Frachtdaten sind ein Indiz für die Entwicklung des internationalen Handels. Mit solchen Daten kann man die Schärfe und Geschwindigkeit des Einbruchs immerhin teilweise abschätzen.
trendEcon: Ein Kind der Corona-Krise mit vielen Eltern
Eine weitere alternative Datenquelle bieten Google-Suchanfragen. Wer bei Google etwas eingibt, verrät einiges über sich selbst. So suchen Leute meist dann nach “Zalando”, “H&M” oder “Zara”, wenn sie sich neu einkleiden möchten. Wenn sie ausgehen wollen, suchen sie nach „Kino“, „Theater“ oder „Konzerttickets“. Aber auch über wirtschaftliche Sorgen verraten Google-Suchen einiges: In einer Rezession steigt die Suche nach Wörtern wie „arbeitslos“, „Insolvenz“ oder „Wirtschaftskrise“ deutlich an.[1]Einen Grossteil der Suchanfragen nach solchen Begriffen stellen die privaten Haushalte. Die Daten sollten sich daher insbesondere eignen, um Konsumentscheide sowie die Entwicklung der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes aus Sicht der privaten Haushalte abzubilden. Google-Suchtrends sind täglich verfügbar, öffentlich und ab 2004 zugänglich. Damit lässt sich auch nachverfolgen, wie Suchanfragen auf frühere Krisen reagiert haben.
Dies machen wir uns in unserem kürzlich gestarteten Projekt trendEcon[ b ] zunutze. Dort haben wir auf Basis von Google-Suchdaten eine Reihe neuer Wirtschaftsindikatoren für die Schweiz entwickelt. Mit diesen lassen sich die wirtschaftliche Stimmung und Hinweise zu Veränderungen der Nachfrage tagesaktuell verfolgen.
Die Idee, aus Google-Suchanfragen Rückschlüsse auf wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen zu ziehen, ist nicht neu[ c ]. Der Ansatz wird bisher aber in der Konjunkturanalyse nur vereinzelt verwendet und ist für die Schweiz kaum erprobt.
Wir hatten früher schon davon gesprochen, Google-Suchanfragen in die Konjunkturanalyse einfliessen zu lassen. Konkret wurde die Idee aber erst Ende März – trendEcon ist also gewissermassen ein Kind der Corona-Krise. Die AutorInnen dieses Beitrags standen beide vor der Aufgabe, gleich zu Beginn der sich abzeichnenden Krise eine Konjunkturprognose beziehungsweise eine Einschätzung zu erstellen – Ronald Indergand beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), Isabel Martinez damals noch beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB). Mit der grossen Hilfe einer Reihe weiterer Ökonominnen und Ökonomen[2] von der Konjunkturforschungsstelle KOF an der ETH, der Universität St. Gallen und der Universität Basel verfolgten wir die Idee am nationalen Hackathon VersusVirus weiter, bis schliesslich das vorliegende Projekt geboren war.
Was die Indikatoren aussagen
Unser Hauptindikator zur „wahrgenommenen wirtschaftlichen Lage“ aggregiert die Suchbegriffe „Wirtschaftskrise“, „Kurzarbeit“, „arbeitslos“ und „Insolvenz“. Der Indikator gibt somit Hinweise zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und zeigt beispielsweise die Verschlechterung der Wirtschaftslage ab Ende Februar sehr zeitnah an.
Abbildung 1: econTrend Hauptindikator zur Wirtschaftslage
Hinweis: Die Indizes sind alle so normiert, dass ihr langfristiger Mittelwert bei 0 liegt, die Standardabweichung der Reihen beträgt 1.
Wegen Corona: Online-Shopping statt Kultur und Events am Wochenende
Google-Suchtrends lassen sich äusserst vielseitig auswerten. So zeigt unser Indikator für Kleider und Schuhe, dass in der Schweiz die Internetsuchen – und somit wahrscheinlich auch die Nachfrage – nach Bekleidung bereits vor dem Lockdown Mitte März deutlich zurückgingen. Im Verlauf des April kehrte sich diese Entwicklung aber um – und Anfang Mai, kurz vor der Öffnung der Läden, scheint das Interesse an Online-Bestellungen eher über den sonst üblichen Werten zu liegen (unsere Reihen sind um saisonale und Wochentag-Effekte bereinigt). Möglicherweise gibt es einen gewissen Nachholbedarf bei der Ausstattung der Sommergarderobe.
Abbildung 2: Indikator für Kleider und Schuhe
Hinweis: Die Indizes sind alle so normiert, dass ihr langfristiger Mittelwert bei 0 liegt, die Standardabweichung der Reihen beträgt 1.
Der Index liefert auch erste Hinweise auf mögliche Verhaltensänderungen der KonsumentInnen: So ist Online-Shopping offenbar zu einer neuen Wochenendbeschäftigung geworden. Diesen Schluss legt das Tagesmuster des Index nahe: Seit dem Lockdown suchen die Leute an Sonntagen viel mehr nach Kleidern, als dies in normalen Zeiten der Fall war (eine frühere Analyse[ d ] hat gezeigt, dass Schweizerinnen und Schweizer normalerweise gerne unter der Woche[ e ] zu Bürozeiten online einkaufen).
Vor der Krise wurden an Sonntagen vermutlich mehr Ausflüge gemacht und die Zeit mit Freunden und Familie stand im Vordergrund.
So zeigt sich beim Interesse an kulturellen Veranstaltungen wie Theater oder Konzerte die Kehrseite: Dieses brach erst mit dem Lockdown schlagartig ein und die Wochentageffekte haben sich umgedreht.
Abbildung 3: Indikator für Kultur und Events
Der Rückgang fällt deshalb im Vergleich zu normalen Zeiten besonders an Wochenenden sehr stark ins Gewicht. Erholung ist diesbezüglich im wahrsten Sinne des Wortes nicht in Sicht, zumal kulturelle Veranstaltungen bis auf Weiteres kaum stattfinden können. Spannend wird sein, wie schnell und wie stark die Suchanfragen wieder steigen, sobald auch diese Massnahmen gelockert werden. Wenn Konzerthallen, Theater und Kinos ihre Tore wieder öffnen, kehren die Menschen dann zur alten Normalität zurück – oder bleiben sie wegen der Angst vor Ansteckungen zögerlich?
Anhaltende Vorsicht bei der Reiseplanung, Hochkonjunktur fürs Gärntern und Heimwerken
Die Google-Suchanfragen nach Auslandreisen können hierzu wiederum erste Indizien liefern, da Reisen mit mehr Vorlauf geplant werden als Konzert- oder Kinobesuche. Bereits ab Ende Februar begann sich die Nachfrage nach Auslandreisen zu verschlechtern. Wenig überraschend wurde im April während dem Lockdown der Tiefpunkt erreicht. Mit der Aussicht von ersten Lockerungen erwacht das Interesse an Auslandreisen allmählich wieder, von einer Rückkehr auf das alte Niveau kann aber noch keine Rede sein.
Abbildung 4: Indikator für Auslandreisen
Schliesslich zeigt unser Indikator für Heimwerken und Gärtnern, dass wir auch in der Schweiz einen ähnlichen Boom bei Hobbygärtnern und Heimwerkerinnen wie in anderen Ländern[ f ] erleben.
Abbildung 5: Indikator für Garten und Heimwerk
Anleitung zum Selberbasteln
Google Trends[ g ] sind kostenlos und frei verfügbar – im Prinzip kann also jede und jeder die Trends für beliebige Suchbegriffe abfragen. Allerdings sind die Google-Zeitreihendaten mit gewissen Herausforderungen behaftet:
- Stichproben: Die Ergebnisse, welche Google Trends zeigt, basieren jeweils auf Zufallsstichproben aus allen Suchen. Für kleine Länder wie die Schweiz können diese Ergebnisse daher von Stichprobe zu Stichprobe sehr stark variieren. Die folgende Abbildung zeigt beispielsweise die Ergebnisse für den Begriff "Insolvenz" für den Zeitraum 25.4. bis 4.5. und die Ergebnisse für den Zeitraum 26.4. bis 4.5.
Abbildung 6: Zufallsstichproben auf Google Trends
Hinweis: Die Google-Suchtrends werden von Google jeweils relativ zum Zeitpunkt mit den meisten Suchen nach dem entsprechenden Begriff auf einer Skala von 0 bis 100 dargestellt.
Wir kommen diesem Problem bei, indem wir für jeden Suchbegriff viele Stichproben auf Google Trends ziehen. Dabei definieren wir leicht versetzte Zeitfenster und zwingen Google so, für jede Anfrage eine neue Stichprobe zu ziehen. Dadurch werden die Ergebnisse viel stabiler.
- Zeiträume: Für lange Zeiträume gibt Google Trends keine Tages- oder Wochen- sondern nur Monatsdaten zurück. Wir ziehen daher Samples für viele kürzere Zeiträume und kombinieren die Daten zu einer einzigen Tagesreihe. Um die Konsistenz mit Monats- und Wochendaten herzustellen, welche Google Trends zur Verfügung stellt, verwenden wir Standardansätze zur temporalen Desaggregation[ h ]. So können wir lange tägliche Zeitreihen ab 2006 bereitstellen und beispielsweise die aktuellen Werte mit jenen der letzten grossen Krise 2008/2009 vergleichen.
- Saisonbereinigung und Aggregation zu einem Index: Die so erstellten Tagesreihen bereinigen wir um wöchentliche, monatliche, und jährliche Saisoneffekte sowie um unregelmässige Feiertage wie Ostern. In einem letzten Schritt aggregieren wir die Reihen verschiedener Suchbegriffe wie „arbeitslos“, „Insolvenz“, „Wirtschaftskrise“ und „Kurzarbeit“ mittels Hauptkomponentenanalyse zu einem Indikator.
Unser Hauptindikator zur wahrgenommenen wirtschaftlichen Situation erfasst makroökonomische Fluktuationen. Die anderen Indikatoren erfassen Online-Suchen nach unterschiedlichen Konsumsparten. Da Google aus Datenschutzgründen nicht die absolute Zahl an Suchen, sondern lediglich Veränderungen im Suchvolumen veröffentlicht, zeigen unsere Indikatoren die relative Veränderung in Google-Suchen über die Zeit.
Noch nicht der Weisheit letzter Schluss
So populär alternative Datenquellen gerade in einer Krise sind, so wichtig ist es, auch deren Grenzen zu erkennen – in einer Krise geborene Indikatoren sind noch kaum erprobt. Es ist also noch nicht klar, was genau wir damit in Bezug auf die Wirtschaftsaktivität messen: Handelt es sich um Konsumabsichten oder einfach nur um allgemeines Interesse? Entspricht das Such- und Konsumverhalten im Internet jenem eines durchschnittlichen Haushaltes? Wie beeinflusst die Medienberichterstattung die Suchanfragen nach Wörtern wie "arbeitslos"? Und wie stark spielt der Zufall mit?
Wir arbeiten daran, diese Fragen zu beantworten. Wie nützlich unsere Indikatoren für die Konjunkturanalyse tatsächlich sind, wird sich noch zeigen. So oder so zeigt das Projekt trendEcon: Spannende und vielversprechende Daten finden sich im Internetzeitalter überall. Dabei lässt sich unsere Methode, Google-Suchdaten zu extrahieren und zu aggregieren, prinzipiell auf eine Vielzahl von Fragestellungen anwenden – auch ausserhalb der Wirtschaftswissenschaften.
Dieser Beitrag ist in leicht abgeänderter Form bereits auf Makronom[ i ] erschienen.
©KOF ETH Zürich, 5. Jun. 2020