Photo: Wikimedia Commons (CC 0) Strukturelle Probleme in der EU sollen wieder mit Geld zugeschüttet werden bis sie verschwinden. Diese Taktik aus der mittelalterlichen Alchemie bringt aber nichts. Wer den Menschen vor Ort wirklich helfen will, muss auf andere Mittel zurückgreifen. Dafür gibt es gute Beispiele. Die Schwäbische Hausfrau und ihre Tochter 1,1 Billion Euro. Das ist die ungefähre Höhe des EU-Budgets für 2021 bis 2027, über die gerade verhandelt wird. Die Zahl klingt vollkommen unvorstellbar. Auch wenn sie etwas an Dramatik verliert, wenn man herunterbricht, was das für jeden EU-Bürger pro Tag bedeutet: nämlich einen Euro. Die Antagonisten im Kampf haben sich freilich tief eingebuddelt in ihre Verteidigungslinien. Dänemark, Niederlande, Österreich und Schweden stemmen sich mit
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Strukturelle Probleme in der EU sollen wieder mit Geld zugeschüttet werden bis sie verschwinden. Diese Taktik aus der mittelalterlichen Alchemie bringt aber nichts. Wer den Menschen vor Ort wirklich helfen will, muss auf andere Mittel zurückgreifen. Dafür gibt es gute Beispiele.
Die Schwäbische Hausfrau und ihre Tochter
1,1 Billion Euro. Das ist die ungefähre Höhe des EU-Budgets für 2021 bis 2027, über die gerade verhandelt wird. Die Zahl klingt vollkommen unvorstellbar. Auch wenn sie etwas an Dramatik verliert, wenn man herunterbricht, was das für jeden EU-Bürger pro Tag bedeutet: nämlich einen Euro. Die Antagonisten im Kampf haben sich freilich tief eingebuddelt in ihre Verteidigungslinien. Dänemark, Niederlande, Österreich und Schweden stemmen sich mit aller Macht gegen eine Ausweitung. Die Gruppe der Netto-Empfänger, die sich den blumigen Namen „Freunde des Zusammenhalts“ gegeben haben und etwa ein Drittel der EU-Bevölkerung repräsentieren, ziehen auf der anderen Seite: Flankiert von Frankreich und Italien wollen sie „kein Konzept der Sparsamkeit für die Zukunft Europas“, wie es Giuseppe Conte formulierte. Man fühlt sich zurückversetzt in die Debatten, die vor zehn Jahren in der Europäischen Union geführt wurden, als es um die Bewältigung der Schuldenkrise ging.
Die Vorstellung, dass das Zurückhalten von Geld, also Sparen, gleichbedeutend sei mit geringerem Wohlstand dürfte zumindest die Schwäbische Hausfrau schon einmal nicht überzeugen. – „Man wird nicht reich vom Geldausgeben!“ – Freilich, man muss auch Geld in die Hand nehmen, wenn man mehr Wohlstand generieren will. Im Sparstrumpf besagter Hausfrau findet sich nämlich sehr viel weniger als auf dem Konto ihrer Tochter, die seit 17 Jahren in ETFs anlegt. Konsumverzicht und kluge, aber auch mutige Investitionsentscheidungen sind zwei wesentliche Säulen, um finanzielle Sicherheit und künftigen Konsum zu ermöglichen.
Geld ist nicht die Lösung
Nun funktionieren diese Weisheiten des Privathaushalts auf die staatliche Ebene übertragen aber auch nur sehr eingeschränkt. Schließlich handelt es sich nicht um das eigene Geld, mit dem da hantiert wird, sondern um einen riesigen Pool von Geld aus verschiedensten Quellen. Verzichtet man auf eine Reise oder einen Restaurantbesuch, dann fällt einem das mitunter leicht im Blick auf die Wohnung, die man in ein paar Jahren kauft oder das neue Mountainbike. Der Verzicht, den ein ganzer Staat leistet, ist sehr viel abstrakter, unpersönlicher. Ganz abgesehen davon, dass man davon ausgehen darf: Wenn wir im Bereich A sparen, werden die Lobbyisten von Bereich B das Geld ganz schnell für ihre Zwecke einfordern. Darum sind Projekte wie die Schwarze Null oder die Schuldenbremse so schlaue Instrumente: sie erfordern keine explizite Verzichtsentscheidung, sondern funktionieren wie ein Notbremsassistent.
Noch etwas komplizierter stellt sich die Sache im Fall des Investierens dar. Und da sind wir am entscheidenden Punkt der EU-Haushalts-Streitigkeiten. Denn leider haben die „Freunde des Zusammenhalts“ nicht vor, die zusätzlichen Einnahmen in ETFs zu investieren – oder in andere nachhaltige Formen der Geldanlage. Ihr Motto ist eher: „Man wird nur reich vom Geldausgeben.“ Es ist eine der klassischen Vorstellungen aus der Alchemie, dass sich eine Materie verwandeln lasse, wenn man nur das richtige Rezept kenne. Strukturpolitik übernimmt die Rolle des Steins der Weisen, mit dem man Gold und Silber hervorbringen kann. Doch wie in den Studierstuben mittelalterlicher Zauberer wird dieses Geld zu Verpuffungen und gescheiterten Experimenten führen.
Staatsausgaben und Wirtschaftswachstum haben nichts miteinander zu tun
Warum sind Länder wie Dänemark, die Niederlande oder Irland denn so gut dran im Vergleich zu den Ländern, die von der EU gerne den Stein der Weisen hätten? Ist es wirklich das Geld? Ja!, sagen die einen, denn Dänemark, Schweden und Österreich nehmen in der europäischen Liste der Staatsquoten Spitzenplätze ein. Der Abstand zu Griechenland oder Ungarn ist freilich nicht weit. Die Niederlande sind solides Mittelfeld. Und Irland? Irlands Staatsquote liegt bei 25 Prozent – das ist halb so viel wie Dänemark. Stellen wir doch einmal die Daten einiger EU-Staaten (alle Zahlen von 2018) einander gegenüber, um festzustellen, was für ein wildes Durcheinander da herrscht:
Land | Staatsquote | pro-Kopf-Einkommen* | Wirtschaftswachstum |
Frankreich | 56,4% | 32.100 € | 1,5% |
Finnland | 53,7% | 42.490 € | 2,4% |
Belgien | 52,1% | 35.700 € | 1,4% |
Italien | 48,4% | 29.500 € | 0,8% |
Griechenland | 47,3% | 21.000 € | 2,0% |
Niederlande | 42,1% | 39.900 € | 2,5% |
Tschechien | 40,7% | 28.000 € | 2,9% |
Lettland | 38,5% | 21.700 € | 4,7% |
Irland | 25,4% | 57.800 € | 6,8% |
*kaufkraftbereinigt |
Quellen: OECD (Staatsquote), Eurostat/Wikipedia (Pro-Kopf-Einkommen), IMF (Wirtschaftswachstum)
Wir brauchen „Freunde des Vertrauens“
Nochmal: Ist es wirklich das Geld? Nein! Die Idee, dass mehr Geld zu mehr Wohlstand führt, ist Unsinn. Die Tochter der Schwäbischen Hausfrau weiß: man muss sich genau überlegen, wo man das Geld anlegt. Wohlstand entsteht in Ländern wie den Niederlanden, Tschechien oder Irland nicht dadurch, dass da Strukturpolitik betrieben würde. Wohlstand entsteht durch Unternehmergeist, rechtstaatliche Institutionen, Flexibilität, finanzielle Ressourcen in privater Hand, regulatorische Zurückhaltung, politische Stabilität, gesellschaftliches Vertrauen, Bildung …
Der ökonomischen Dynamik in der Europäischen Union wäre sehr gedient, wenn sich die „Freunde des Zusammenhalts“ auflösen würden. Stattdessen könnte man die „Freunde des Vertrauens“ ins Leben rufen. Denn all die oben genannten Faktoren haben mit Vertrauen zu tun – vor allem mit Vertrauen in die Fähigkeiten der Bürger. Gerade Länder wie Irland, das Baltikum oder Portugal, die sich durch schwere Krisen hindurch gekämpft haben, können davon ein Lied singen: Geld ist nicht die Lösung. Die unternehmerischen Kräfte der Individuen freizusetzen ist die Lösung!