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Verdient Deutschland an Griechenland?

Summary:
Kommt darauf an, lautet die korrekte Antwort. In den deutschen Zeitungen wird derzeit diskutiert, ob Deutschland durch die Zinsen auf Kredite an Griechenland einen "Gewinn" erzielt und sich somit auf Kosten Griechenlands bereichert. Sowohl in der Frage als auch den aufgezeigten Antworten stecken jedoch einige ökonomische Ungenauigkeiten, wie dieser Beitrag zeigt. Laut Süddeutsche Zeitung (Brössler 2017) beträgt der "Profit", den Deutschland aus Krediten an Griechenland und Staatsanleihekäufen bezieht, rund 1,34 Mrd. Euro. Dies wirft die Frage auf, wie diese Einnahmen verwendet werden sollen und ob sie aus moralischen Gründen an Griechenland auszuschütten sind. Dieser Beitrag argumentiert zum einen, dass es sich bei diesen Zinszahlungen nicht um Gewinne von Deutschland handelt –

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Kommt darauf an, lautet die korrekte Antwort. In den deutschen Zeitungen wird derzeit diskutiert, ob Deutschland durch die Zinsen auf Kredite an Griechenland einen "Gewinn" erzielt und sich somit auf Kosten Griechenlands bereichert. Sowohl in der Frage als auch den aufgezeigten Antworten stecken jedoch einige ökonomische Ungenauigkeiten, wie dieser Beitrag zeigt.

Laut Süddeutsche Zeitung (Brössler 2017) beträgt der "Profit", den Deutschland aus Krediten an Griechenland und Staatsanleihekäufen bezieht, rund 1,34 Mrd. Euro. Dies wirft die Frage auf, wie diese Einnahmen verwendet werden sollen und ob sie aus moralischen Gründen an Griechenland auszuschütten sind. Dieser Beitrag argumentiert zum einen, dass es sich bei diesen Zinszahlungen nicht um Gewinne von Deutschland handelt – hierauf macht auch Nienhaus (2017) in Die Zeit aufmerksam – und zum anderen, dass die Moral nicht notwendigerweise bemüht werden muss, um zu begründen, warum die Einnahmen wieder nach Griechenland fließen sollten.

Der deutsche "Gewinn" von 1,34 Mrd. Euro

Aus zwei Gründen kann bei dem durch die Zinsen generierten Geldstrom nicht von einem Gewinn gesprochen werden. Erstens handelt es sich bei Zinsen um die Entlohnung des Faktors Kapital (analog den Löhnen als Entlohnung des Faktors Arbeit), die dafür gezahlt werden, dass der Kapitalgeber bereit ist, das Kapital für die vorgesehene Verwendung zur Verfügung zu stellen. Zweitens wird sowohl im volkswirtschaftlichen als auch im betriebswirtschaftlichen Sinn der Gewinn allgemein als Differenz zwischen Umsatz und Kosten definiert. Während der betriebswirtschaftliche Gewinn nur explizite Kosten betrachtet (z.B. Wöhe 2013, S. 293), berücksichtigt der Gewinn volkswirtschaftlich gesehen zusätzlich noch die impliziten Kosten (z.B. Samuelson/Nordhaus 2005, S. 1033). Ein solcher liegt folglich vor, wenn die Zinszahlungen die tatsächlichen Kosten, etwa für die Kapitalbereitstellung (bspw. Zinszahlungen auf den am Kapitalmarkt aufgenommenen Betrag), und die Opportunitätskosten übersteigen. Bei den 1,34 Mrd. Euro müssen somit die Kosten, die Deutschland für die Kreditvergabe entstanden sind, gegengerechnet werden. In diesem Fall ist es möglich, dass der Gewinn sogar höher ausfällt, da Deutschland teilweise Negativzinsen auf seine Anleihen erhalten hat.

Nienhaus (2017) führt an, dass erst dann von einem "Gewinn" gesprochen werden kann, wenn die Summe aller während der Kreditlaufzeit zugeflossenen Geldströme den Kreditbetrag übersteigt. Daher muss zusätzlich zu den Zinszahlungen auch die Tilgung des Kredits erfolgen, d.h. der Kapitalgeber muss neben der Entlohnung seines Kapitals auch das zur Verfügung gestellte Kapital zurückerhalten. Wird der Kredit nicht getilgt, werden die geleisteten Zinszahlungen kaum ausreichen, um die abgeflossenen Geldströme auszugleichen. Es liegt dann statt eines "Gewinns" ein Verlust vor. Dies halten im Fall Griechenlands neben Nienhaus (2017) auch Institutionen wie der IWF für sehr wahrscheinlich. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass sich dieses Risiko bereits in der Höhe der Zinsen widerspiegelt: Je höher die Wahrscheinlichkeit, dass der Kredit vollständig zurückgezahlt wird, desto geringer der Risikoaufschlag und damit die Zinsen auf den Kredit. Bei einer sicheren Rückzahlung entsprechen die Zinsen den Opportunitätskosten des Kapitalgebers. Der Risikoaufschlag ist zudem von der Risikoeinstellung des Kapitalgebers abhängig: Je größer seine Risikoaversion, desto höher der von ihm geforderte Zinsaufschlag. Hohe Zinsen kompensieren daher ein hohes Ausfallrisiko.

Investition in Griechenland als ökonomisches Gebot

Nach Brössler (2017) ist es moralisch geboten, die Zinseinnahmen an Athen auszuschütten. Für Zinszahlungen aus dem Securities Markets Programme der EZB wurde eine solche Rücküberweisung bereits im November 2012 von der Euro-Gruppe beschlossen. Die im Jahr 2013 bei der Deutschen Bundesbank hieraus resultierenden Zinseinnahmen (599 Mio. Euro) wurden von Deutschland direkt an Griechenland gezahlt. In den Jahren 2014 und 2015 wurden insgesamt 944 Mio. Euro an den ESM anstelle Griechenlands überwiesen, da es vereinbarte Reformen nicht umgesetzt hatte (Kullas et al. 2016, S. 137).

Da es rein ökonomische Gründe für einen Rückfluss des "Gewinns" an Griechenland gibt, wie auch Nienhaus (2017) aufzeigt, müssen weder politische Absprachen noch moralische Argumente herangezogen werden. Um nur einige Stichworte zu nennen: Gewährleistung der Stabilität von EU und Eurozone, Sicherstellung nachhaltiger Handelsbeziehungen, ausreichende Wirtschaftskraft zur Versorgung von Flüchtlingen. Investitionen in Griechenland können letztlich dazu beitragen, dass Deutschland trotz aller Risiken am Ende "gewinnt".

Wie aber kann Deutschland an Griechenland verdienen? Wenn es die Zinseinkommen wirklich an Griechenland zurückfließen lässt und das Land dabei unterstützt, seine Wirtschaft zu fördern, anstatt sie durch Einsparungen zu belasten, können in der Tat deutsche Gewinne realisiert werden, etwa im Außenhandel: Seit Ausbruch der Staatsschuldenkrise 2010 ist der deutsche Export nach Griechenland um knapp 15% eingebrochen – dies ist deckungsgleich mit dem Einbruch der Gesamteinfuhr Griechenlands um 15% und dem Rückgang des realen BIP pro Kopf um knapp 16% (destatis, Eurostat). Ein Wirtschaftswachstum in Griechenland wird die Nachfrage nach deutschen Exporte erhöhen und der hiesigen Exportindustrie echte Gewinne bescheren.

Natürlich fließen durch die diversen Kredite an Griechenland nicht nur Zinseinnahmen an Deutschland, sondern auch an andere EU- bzw. Eurozonen-Mitglieder, die entweder bilateral oder im Rahmen der europäischen Finanzhilfeinstitutionen Kredite vergeben haben – darunter auch Griechenland: Es wird an Gewinnausschüttungen der EZB gemäß des jeweils gültigen Kapitalschlüssels beteiligt und nimmt bei der Kreditvergabe über den EFSM sogar selbst eine Nettogläubigerposition über die gesamte Laufzeit ein (Kullas et al. 2016).

Einzelwirtschaftliche Schlussfolgerungen und gesamtwirtschaftlicher Trugschluss

Zudem muss bei der Diskussion bedacht werden, dass es nicht das Ziel eines Landes ist, Überschüsse zu erwirtschaften. Ein Land verhält sich eben nicht wie ein gewinnmaximierendes Unternehmen. Jedoch scheint es eine weit verbreitete Denkweise zu sein, aus der einzelwirtschaftlichen Betrachtung auf die gesamtwirtschaftliche Ebene zu schließen. Besonders ist dies beim Umgang mit der europäischen Staatsschuldenkrise und der damit einhergehenden Verordnung einer Austeritätspolitik für die betroffenen Länder zu beobachten: Es darf nicht mehr ausgegeben werden, als eingenommen wird. Auf einzelwirtschaftlicher Ebene geht diese Rechnung auf, aber gesamtwirtschaftlich wird es komplizierter, da ökonomische Entscheidungen nicht nur den Entscheider selbst betreffen: Reduziert Lieschen Müller ihre Ausgaben für Milch, wird die Milchindustrie dies kaum bemerken. Reduziert die Molkerei Alois Müller ihre Ausgaben, gefährdet sie damit die Existenz vieler Milchbauern. Reduziert ein Staat seine Ausgaben, sind damit vielleicht nicht alle, aber doch viele seiner Bürger betroffen, die – einzelwirtschaftlich rational – ihren Konsum einschränken müssen. Dies betrifft unmittelbar die Unternehmen, die mindestens Gewinneinbußen wenn nicht sogar Verluste realisieren und aus dem Markt austreten müssen. Arbeitnehmer werden entlassen und die Abwärtsspirale setzt sich fort.[ 1 ]

Zumindest kurzfristig sinkt die Wirtschaftsleistung des Landes und damit gehen auch die Einnahmen des Staates zurück, der dann wiederum seine Ausgaben reduzieren muss. Die Verschuldung wird sich in Folge eher erhöhen als abnehmen und die Schuldenstandsquote entsprechend durch das gesunkene BIP steigen. Die einfache Rechnung, die für jeden (ökonomisch kleinen) Haushalt rational ist, geht auf makroökonomischer Ebene kurzfristig nicht auf.[ 2 ] Das gilt übrigens für viele scheinbar sinnvolle Vorschläge: Oft wird etwa geraten, die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen und mehr zu exportieren.[ 3 ] Wettbewerbsfähigkeit ist aber ein relatives Konzept. Wird Land A in einem bestimmten Sektor wettbewerbsfähiger, sinkt die Wettbewerbsfähigkeit anderer Länder in diesem Sektor. Erhöhen diese Länder als Reaktion ihre Wettbewerbsfähigkeit wiederum in diesem Sektor, so wird die Wettbewerbsfähigkeit von Land A folglich leiden. Wenn also alle diesen Sektor stärken, verändern sich die Terms-of-Trade nicht.

Der deutsche "Gewinn" – anders als man denkt

Die scheinbar einfache Frage, ob Deutschland an Griechenland verdient, ist ökonomisch weder einfach noch präzise zu beantworten. Eine reine Betrachtung der Zinseinnahmen als Gewinn ist jedenfalls falsch. Für eine gesamtwirtschaftliche Beantwortung dürfen nicht ausschließlich finanzielle Ströme berücksichtigt werden, wie von Nienhaus (2017) angesprochen. Die Investitionen der Zinseinnahmen in Griechenland sind langfristig ökonomisch sinnvoll und müssen nicht, wie Brössler (2017) argumentiert, moralisch begründet werden. Dies hängt damit zusammen, dass einzelwirtschaftliche Konzepte, wie der Gewinn, nicht direkt auf die Gesamtwirtschaft angewandt werden können. Unter diesem erweiterten Blickwinkel kann Deutschland tatsächlich gewinnen, aber eben anders als man denkt.

Brössler, D. (2017): Deutschland macht mit Hilfen für Griechenland Milliardengewinn[ a ], Süddeutsche Zeitung vom 11. Juli 2017.

Kullas, M./Dauner, M./Pötzsch, U./Hohmann, I. (2016): Umverteilung zwischen den EU-Mitgliedstaaten – Gewinner und Verlierer der europäischen Transfers[ b ], cepStudie, Centrum für Europäische Politik

Nienhaus, L. (2017): Verdienen wir an Griechenland?[ c ] Die Zeit vom 20. Juli 2017, Nr. 30, S. 27.

Samuelson, P. A./Nordhaus, W. D. (2005): Volkswirtschaftslehre – Das internationale Standardwerk der Makro- und Mikroökonomie, Landsberg am Lech: mi-Fachverlag.

Wöhe, G. (2013): Einführung in die allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 25. Auflage, München: Vahlen.


©KOF ETH Zürich, 3. Aug. 2017

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