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Makroökonomische Modelle jenseits der Realität

Summary:
Helfen die gängigen makroökonomische Modelle dabei, die Wirklichkeit zu erklären? Dieser Beitrag äussert Zweifel. Stellen Sie sich vor, dass ein Fluss zu gewissen Zeiten Hochwasser hat, welches sich jeweils nach starken Regenfällen beobachten lässt. Also, so würde man dem gesunden Menschenverstand nach annehmen, ist der Regen eine wichtige Erklärungsursache für das Hochwasser.  Doch angesehene Wissenschaftler, die sich mit diesem Phänomen beschäftigen, behaupten etwas ganz Anderes. Das Hochwasser, so lautet ihre Botschaft, werde durch zufällige Schocks verursacht, die etwa auf plötzlich auftretende Sonnenflecken oder Meteoriteneinschläge zurückzuführen seien. Ein Modell, welches mit diesen Annahmen arbeite, liefere nämlich eine gute Beschreibung der Realität, während der Regen als Ursache vernachlässigt werden könne. Die eben beschriebene wissenschaftliche Erklärung erscheint absurd, lässt sich aber in analoger Weise in der ökonomischen Wissenschaft beobachten. Ersetzen wir nämlich das Wasser des Flusses durch das Bruttoinlandprodukt, die Regenfälle durch geldpolitische Änderungen und nehmen an, dass es sich bei den Wissenschaftlern um Ökonomen handelt, dann haben wir eine ziemlich adäquate Beschreibung eines wesentlichen Teils der heute in Forschung und Lehre vertretenen Makroökonomie und dies insbesondere auch bei Zentralbanken (siehe z.B. Linde et al. 2016).

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Helfen die gängigen makroökonomische Modelle dabei, die Wirklichkeit zu erklären? Dieser Beitrag äussert Zweifel.

Stellen Sie sich vor, dass ein Fluss zu gewissen Zeiten Hochwasser hat, welches sich jeweils nach starken Regenfällen beobachten lässt. Also, so würde man dem gesunden Menschenverstand nach annehmen, ist der Regen eine wichtige Erklärungsursache für das Hochwasser.  Doch angesehene Wissenschaftler, die sich mit diesem Phänomen beschäftigen, behaupten etwas ganz Anderes. Das Hochwasser, so lautet ihre Botschaft, werde durch zufällige Schocks verursacht, die etwa auf plötzlich auftretende Sonnenflecken oder Meteoriteneinschläge zurückzuführen seien. Ein Modell, welches mit diesen Annahmen arbeite, liefere nämlich eine gute Beschreibung der Realität, während der Regen als Ursache vernachlässigt werden könne.

Die eben beschriebene wissenschaftliche Erklärung erscheint absurd, lässt sich aber in analoger Weise in der ökonomischen Wissenschaft beobachten. Ersetzen wir nämlich das Wasser des Flusses durch das Bruttoinlandprodukt, die Regenfälle durch geldpolitische Änderungen und nehmen an, dass es sich bei den Wissenschaftlern um Ökonomen handelt, dann haben wir eine ziemlich adäquate Beschreibung eines wesentlichen Teils der heute in Forschung und Lehre vertretenen Makroökonomie und dies insbesondere auch bei Zentralbanken (siehe z.B. Linde et al. 2016). Dort dominieren "post-reale Modelle", wie der für die neue Wachstumstheorie bekannte Wirtschaftsprofessor und neue Weltbank-Chefökonom, Paul Romer (2016), in einem vor kurzem erschienenen Aufsatz unter dem Titel "The Trouble with Macroeconomics" eindringlich aufzeigt.

Die Romer-Kritik

Paul Romers massive Kritik trifft den Nagel auf den Kopf. Die heute von Makroökonomen in grossem Stil verwendeten dynamisch stochastischen allgemeinen Gleichgewichtsmodelle (sogenannte DSGE-Modelle) sind zwar mathematisch hochkomplex, aber wenig hilfreich, um die Realität einer heutigen Geldwirtschaft zu beschreiben. Also müssen Konjunkturschwankungen mit zufälligen Schocks erklärt werden, deren Ursachen letztlich im Dunkeln bleiben. Romer karikiert diese Tatsache, indem er von Gremlins oder Trollen spricht, die auf geheimnisvolle Weise diese Schocks verursachen. Welche Ursachen die Schwankungen hervorrufen ist letztlich egal, Wichtig ist nur, dass sie zufällig erfolgen und damit nicht vorhersehbar sind.

Gemäss Romer degenerierte die Makroökonomie vor allem in den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als mittlerweile mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Ökonomen wie Robert Lucas, Thomas Sargent oder Ed Prescott der bisher Keynesianisch dominierten Makroökonomie mit Hilfe der Annahme von rationalen Erwartungen und sogenannten Real Business Cycle-Modellen die Realität endgültig aus der Makroökonomie zu vertreiben begannen.

Damit soll nicht gesagt werden, dass die zuvor populären Keynesianischen Modelle, die Weisheit mit Löffeln gefressen hatten und Kritik an ihnen war durchaus berechtigt. Aber sie hatten einen wesentlichen Vorteil. Geld und Geldpolitik spielten in diesen Modellen analog zur Realität eine wichtige Rolle für den Gang der Wirtschaft. Es gab noch nicht den fatalen Zwang zu einer verfehlten Mikrofundierung aller makroökonomischen Modelle, der letztlich für den bedauernswerten Zustand der heutigen Makroökonomie verantwortlich ist. Denn Mikrofundierung bedeutet, dass sich sämtliche makroökonomischen Veränderungen mit Optimierungskalkülen von Haushalten und Unternehmen erklären lassen müssen. Das ist an sich richtig, denn letztlich muss der Gang der Wirtschaft mit dem Verhalten der einzelnen Wirtschaftssubjekte erklärt werden können. Das Problem ist aber, dass die Optimierungskalküle innerhalb eines allgemeinen Gleichgewichtsmodells erfolgen müssen, in welchem Geld als Zahlungsmittel diesen Optimierungskalkülen nicht im Wege stehen darf (als Wertaufbewahrungsmittel kann man Geld problemlos einbauen). Also wird das allgemeine Gleichgewicht so beschrieben, also ob moderne Wirtschaften wie Tauschwirtschaften funktionieren. Doch das ist ein fundamentaler Irrtum.

Walras' Erbe

Die Idee eines allgemeinen Gleichgewichts bildet das Herzstück der modernen ökonomischen Theorie und geht vor allem auf den Ende des 19. Jahrhunderts in Lausanne wirkenden französischen Ökonomen Leon Walras zurück. In einer autobiographischen Schrift aus dem Jahre 1861 erklärt Walras (1936, S. 144), was ihn zur Entwicklung einer allgemeinen Gleichgewichtstheorie antrieb, die später zur Grundlage der ökonomischen Wissenschaft werden sollte. Er wollte gemäss seinen eigenen Worten zeigen, dass eine freie Marktwirtschaft stets zum bestmöglichen Ergebnis führt und somit allen anderen Wirtschaftsformen überlegen ist. Damals geisterten bereits Ideen für den Ersatz der Marktwirtschaft durch eine den sozialen Fortschritt fördernde Planwirtschaft herum. Ein während der Zeit von Walras populärer Verfasser solcher Ideen war der französische Philosoph und Soziologe Henri de Saint-Simon (1760-1825). Und Walras störte sich daran, dass er in einer Diskussion mit einem Anhänger von Saint-Simon die Überlegenheit der Marktwirtschaft nicht beweisen konnte. Also beschloss er, diesen Beweis mathematisch zu erbringen und sich die Physik zum Vorbild zu nehmen. "Die mathematische Ökonomie", so Walras (1954, S. 48, übersetzt durch den Autor), "wird dadurch den Status der mathematischen Wissenschaften Astronomie und Mechanik erreichen. Und an diesem Tag wird unsere Arbeit gebührend gewürdigt werden".

Im Jahre 1874, also 13 Jahre später war es dann soweit. Walras präsentierte sein mathematisch exakt formuliertes Modell einer Tauschwirtschaft, wo er den gesuchten Beweis für die stetige Überlegenheit der freien Marktwirtschaft erbrachte. Nur leider hatte sein Modell mit einer real existierenden Geldwirtschaft praktisch keine Gemeinsamkeit mehr. Exakte Beweise lassen sich in Sozialwissenschaften eben nur erbringen, wenn man die Realität vorher wegdefiniert und stattdessen eine hypothetische Idealwelt konstruiert.

Walras bewies grosses Geschick in der Konstruktion einer fiktiven Idealwelt. Um den Beweis der Optimalität des Marktes zu erbringen, erdachte er ein statisches Modell ohne Geld und Zeit, wo alles gleichzeitig geschieht. Walras unterstellte, dass man unsere heute existierende Geldwirtschaft wie eine Tauschwirtschaft beschreiben kann, wo jedes Angebot eines Gutes gleichzeitig eine Nachfrage nach einem anderen Gut zur Folge hat. Wenn ich Äpfel gegen Birnen tausche, dann bedeutet mein Angebot an Äpfeln gleichzeitig auch eine entsprechende Nachfrage meinerseits nach Birnen. In einem solchen Modell werden Angebot und Nachfrage dann gleichzeitig optimiert und dies für alle Marktteilnehmer.

In einer Geldwirtschaft werden Güter oder Dienstleistungen aber zunächst einmal gegen Geld verkauft und erst zu einem späteren Zeitpunkt wird dieses Geld dann vielleicht wieder für den Kauf von Gütern oder Dienstleistungen ausgegeben. In diesem Fall entspricht aber nicht jedes Angebot eines Gutes gleichzeitig einer Nachfrage nach einem anderen Gut. Einnahmen und Ausgaben finden nicht mehr gleichzeitig statt, denn man muss zuerst Geld haben, bevor man später etwas kaufen kann. Die gleichzeitige Optimierung von Angebots- und Nachfrageplänen ist nicht mehr möglich und das allgemeinen Gleichgewicht wird zur Fiktion. Dies hielt schon Frank Hahn (1977), einer der Mitbegründer der späteren allgemeinen Gleichgewichtstheorie fest, als er unmissverständlich feststellte; "There is no role or place for money in general equilibirum models".

Trotzdem bildet das Walrasianische Tauschmodell bis heute die Grundlage der ökonomischen Theorie und damit auch der Mikrofundierung makroökonomischer Modelle. Zwar wurde das ursprüngliche Modell inzwischen durch die Integration von zufälligen Schocks auch durch Risiken angereichert, und statt Haushalten und Unternehmen gibt es jetzt repräsentative Agenten mit rationalen Erwartungen. Doch auch diese Modelle basieren auf der Annahme eines allgemeinen Gleichgewichts, welches durch Geld nicht beeinflusst wird. Dabei hilft die seit den 70er Jahren populäre Annahme der rationalen Erwartungen. Werden diese für repräsentative Agenten unterstellt, dann können sämtliche realen Auswirkungen der Geldpolitik nur auf Täuschungen der wirtschaftlichen Akteure zurückgeführt werden, da sie alle schon "wissen", dass Geld neutral ist. Also sehen die repräsentativen Agenten die durch eine Geldmengenerhöhung morgen ausgelöste Inflation bereits heute voraus und verlangen deshalb auch bereits heute höhere Preise, was jeden stimulierenden Effekt auf die reale Wirtschaft verunmöglicht. Dass eine Geldmengenerhöhung auch zur Finanzierung von Investitionen und damit zu Wachstum führen kann, oder spekulative Blasen auf Finanz- oder Immobilienmärkten ermöglicht, ist in solchen Modellen von vornherein ausgeschlossen (Binswanger, 2015, S. 162-174)

Geradezu schizophren erscheint es deshalb, dass vor allem Zentralbanken wie etwa die Deutsche Bundesbank ebenfalls mit DSGE-Gleichgewichtsmodellen arbeiten. Die Geldpolitik wird dort meist mit einer verallgemeinerten Taylor-Regel modelliert, wo die Zentralbank den Zins setzt und dann mit Zinsanpassungen reagiert, falls es zu Abweichungen vom Inflationsziel kommt (siehe Michaelis, 2013, S. 5). Damit Geldpolitik dann doch noch eine reale Wirkung entfalten kann, muss man die Modelle zusätzlich mit Friktionen und Marktunvollkommenheiten anreichern (sogenannte "New Keynesian-Aspekte"). Geldpolitische Massnahmen sind dann umso wirksamer, je weniger die Märkte funktionieren und je schlechter die Wirtschaftsakteure informiert sind! Kein Wunder, das auf solchen Modellen basierende Analysen keinen wesentlichen Beitrag zur Erklärung geschweige denn zur Lösung wirtschaftlicher Probleme liefern. Höchste Zeit also, dass sich die Makroökonomie wieder mit tatsächlich existierenden Geldwirtschaften beschäftigt, statt mit Gleichgewichtsfiktionen, in denen Geld als Zahlungsmittel nicht vorkommen darf.

Binswanger, M. (2015). Geld aus dem Nichts. Wie Banken Wachstum ermöglichen und Krisen verursachen. Wiley-Verlag, Weinheim.

Hahn, F. (1977). Keynesian Economics and General Equilibrium Theory. Reflections on Some Current Debates. In Harcourt, G. (ed.). The Microeconomic Foundations of Macroeconomics. London: Macmillan, S. 25-40.

Linde, J., Smets, F., & Wouters, R. (2016). Challenges for Central Banks’ Models, Sveriges Riksbank Research Paper Series,147.

Michaelis, J. (2013). Und dann werfen wir den Computer an – Anmerkungen zur Methodik der DSGE-Modelle. Joint Discussion Paper Series in Economics by the Universities of Aachen ? Gießen Göttingen Kassel Marburg Siegen No. 23-2013.

Romer, P. (2016). The Trouble With Macroeconomics. Erscheint in The American Economist.

Walras, L. (1936) [1861]. Esquisse d’une doctrine d´economique et sociale, in : Walras, L. Etudes d’ economie politique applicquée. Lausanne/Paris.

Walras, L. (1954) [1874]. Elements d’economie politique pure. Lausanne/Paris.

©KOF ETH Zürich, 8. Dez. 2016

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