Photo: Breve Storia del Cinema from Flickr (CC BY 2.0) Ungeahnte Frühlingsgefühle erfüllen die frostige Zweckehe zwischen Union und Sozialdemokraten, die ihre alte Liebe zum Staat wiederentdecken. Doch diese Dreiecksbeziehung kennt nur Verlierer. Eine unheimliche Ménage-à-trois: Die Koalitionäre und der Staat Heute ist Frühlingsanfang – und am Kabinettstisch herrschen ungeahnte Frühlingsgefühle. Schuld daran ist nicht etwa eine neue Einigkeit zwischen den Koalitionspartnern, sondern die Wiederentdeckung einer verloren geglaubten gemeinsamen Liebe: Der Staat drängt sich in die immer distanziert wirkende Zweckehe Große Koalition und beschert den Volksparteien Frühlingsgefühle. Auf der einen Seite die CDU. Mit ihrer „Industriestrategie 2030“ träumt sie von nationalen und europäischen
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Ungeahnte Frühlingsgefühle erfüllen die frostige Zweckehe zwischen Union und Sozialdemokraten, die ihre alte Liebe zum Staat wiederentdecken. Doch diese Dreiecksbeziehung kennt nur Verlierer.
Eine unheimliche Ménage-à-trois: Die Koalitionäre und der Staat
Heute ist Frühlingsanfang – und am Kabinettstisch herrschen ungeahnte Frühlingsgefühle. Schuld daran ist nicht etwa eine neue Einigkeit zwischen den Koalitionspartnern, sondern die Wiederentdeckung einer verloren geglaubten gemeinsamen Liebe: Der Staat drängt sich in die immer distanziert wirkende Zweckehe Große Koalition und beschert den Volksparteien Frühlingsgefühle. Auf der einen Seite die CDU. Mit ihrer „Industriestrategie 2030“ träumt sie von nationalen und europäischen Megaunternehmen (sogenannten Champions), die den scheinbar enteilenden Konkurrenten aus China und den USA endlich die Stirn bieten können. Auf der anderen Seite die SPD, die sich mit aller Macht von Hartz IV und der Agenda-Politik loskaufen will.
Dass solche Dreiecksbeziehungen selten glücklich enden, wissen wir nicht erst seit dem Filmklassiker „Jules und Jim“. Die Frage ist nur: Wer ist der Verlierer?
Industriepolitik: Der Abschied von der Sozialen Marktwirtschaft
Ludwig Erhard würde wohl in seinem Grabe Pirouetten drehen, bekäme er die sogenannte Industriestrategie seines Nachfolgers Peter Altmaier in die Hände. Darin heißt es unter anderem:
„Deshalb liegt die Stärkung seiner industriellen Basis im gesamtstaatlichen Interesse und Auftrag. Hierzu braucht der Staat geeignete Instrumente und Mittel.“
Das steht auf groteske Art und Weise der Idee eines ordnungspolitisch neutralen Staates á la Erhard entgegen. Statt auf einen geordneten Wettbewerb zwischen den Marktteilnehmern zu setzen, der den Markt vor einer Vermachtung durch einzelne und zu große Marktteilnehmer schützt, gründet sich die Industriestrategie eben gerade auf der Schaffung künstlicher Industriegiganten. Eine solche Wirtschaftspolitik regiert vom hohen Sockel des Berliner Kabinettstisches. Hier bildet man sich offenbar ein, genau zu wissen, welche Unternehmen das Zeug zum „nationalen Champion“ haben, und vor allem welche Förderung im „gesamtstaatlichen Interesse“ liegt. Überhaupt: Es fehlen scheinbar nur die geeigneten Instrumente, dann konstruiert das Bundeswirtschaftsministerium im Alleingang ein deutsches Google oder gleich ein deutsches China National Petroleum.
Statt der gesunden Skepsis gegenüber den Instrumenten des Staates, die zum Kerngedanken der Sozialen Marktwirtschaft gehören, propagiert Altmaier die Renaissance einer merkantilistischen Staatswirtschaft. Diese bietet kaum Raum für Innovation und Entrepreneure, und sie ist in Zeiten von Digitalisierung und Globalisierung vollkommen aus der Zeit gefallen.
Auf Doktor Faustus‘ Spuren: Der Teufelspakt mit dem Sozialstaat
Und das Sozialstaatskonzept der SPD? In beängstigender Geschwindigkeit kommen derzeit die Reformwünsche aus dem Willy-Brandt-Haus geschossen. Grundrente, Verlängerung des Arbeitslosengeld I, Weiterbildungsinitiative, SPD-Bürgergeld … Die Nahles-SPD setzt auf den endgültigen Bruch mit der Agenda-Politik, die einst Staatsleistungen massiv einschränkte, und will ein neues Verhältnis zwischen Staat und Bürger. So heißt es:
„Die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen einen Partner-Staat, der den Bürgerinnen und Bürgern auf Augenhöhe begegnet.“
Unabhängig davon dass die tatsächliche Wirkung der SPD-Forderungen bezweifelt werden kann, offenbart dieser Satz ein gruseliges Staatsverständnis. Der Partner-Staat auf Augenhöhe ist ein künstliches Gebilde, dem Selbstverantwortung fremd ist. Er erhält seine Existenzberechtigung dadurch, dass Menschen von ihm abhängig sind. Ja, der Partner-Staat gleicht dem Mephisto, der den Doktor Faustus zu seinem Knecht und Diener macht.
In einem demokratischen Rechtsstaat sollte der Staat weder Partner noch Gegner und schon gar nicht auf Augenhöhe sein. Im besten Fall ist er lediglich Ausdruck der kollektiven Willensbildung. Der Staat ist das Vehikel, um gemeinsame Regeln festzusetzen und durchzusetzen, kein eigenständiger Akteur mit eigenen Zielen und Interessen. Tatsächlich ist es ein Problem, wenn aktuell über sechs Millionen Menschen Hartz-IV-Leistungen empfangen. Doch die Antwort darauf ist kein Partner-Staat, sondern ein Sozialstaat, der sich selbst überflüssig macht. Anstatt Arbeit unattraktiv (für den Arbeitnehmer) und teuer (für den Arbeitgeber) zu machen, müssen wir Hürden abbauen und auf eine selbstverantwortliche Beziehung auf Augenhöhe zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber setzen. Gerade letzteres kommt dem Gründungsethos der SPD, deren Vorgänger-Organisationen im 19. Jahrhundert vor allem für Selbstverwaltung und Genossenschaftslösungen eintraten, viel näher als ein Sozialstaat, der die Arbeiter in die gleiche Abhängigkeit versetzt wie einst der ein oder andere Fabrikbesitzer.
Diese Dreiecksbeziehung kennt nur Verlierer
Der Film „Jules und Jim“ endet mit dem tragischen Tod Catherines und Jims. Und geht man nach den Umfragen, ist wohl auch die Zeit des Duopols der beiden Volksparteien zu Ende. Das mag zu verschmerzen sein, viel schwerer wiegen aber die Auswirkungen der neu entflammten Staatsliebe auf den außenstehenden Bürger. Statt auf geordneten Wettbewerb und Selbstverantwortung zu setzen, überhöht die Bundesregierung, blind vor Liebe, den Staat zum allwissenden- und mächtigen Leviathan. Wie weggeblasen scheint die heilsame Staatsskepsis, die zu Beginn des neuen Jahrtausends SPD und Union gleichermaßen zu großen Reformanstrengungen antrieb. Alles wäre so einfach, würden Politik und Wähler doch nur einmal mit der gleichen Skepsis dem Staat begegnen, die sie sonst großen Konzernen entgegenbringen. Bis dahin bleibt nur, auf einen kalten Frühling zu hoffen, der die liebestollen Gemüter am Kabinettstisch zumindest ein wenig abkühlt.
Head of Strategy & Development
Florian A. Hartjen, geboren 1990, hat Staatswissenschaften in Erfurt und Political Economy in London studiert und einen LL.M. an der University of Aberdeen gemacht. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf der Erforschung informeller und krimineller Märkte und insbesondere des Menschenschmuggels und der irregulären Migration.