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Not macht erfinderisch

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Viele Innovationen basieren auf der Initiative unzufriedener Nutzer. Die Messung und Modellierung dieser sogenannten User Innovation steckt allerdings noch in den Kinderschuhen, wie dieser Beitrag zeigt. Innovationen entstehen in den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen großer Unternehmen oder in Start-ups. Etwas vereinfacht dargestellt, bestimmt dieses Verständnis bis heute das ökonomische, gesellschaftliche und politische Nachdenken darüber, wie unsere Volkswirtschaft innovativer, wachstumsstärker und wohlhabender werden kann.  Komplementär zu diesem Verständnis etabliert sich zunehmend ein neues Paradigma, das jeden einzelnen Bürger als mögliche Quelle von Innovationen in den Fokus stellt. Das Forschungsfeld der User Innovation hat u.a. drei stilisierte Fakten zu Tage

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Christina Raasch considers the following as important:

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Viele Innovationen basieren auf der Initiative unzufriedener Nutzer. Die Messung und Modellierung dieser sogenannten User Innovation steckt allerdings noch in den Kinderschuhen, wie dieser Beitrag zeigt.

Innovationen entstehen in den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen großer Unternehmen oder in Start-ups. Etwas vereinfacht dargestellt, bestimmt dieses Verständnis bis heute das ökonomische, gesellschaftliche und politische Nachdenken darüber, wie unsere Volkswirtschaft innovativer, wachstumsstärker und wohlhabender werden kann. 

Komplementär zu diesem Verständnis etabliert sich zunehmend ein neues Paradigma, das jeden einzelnen Bürger als mögliche Quelle von Innovationen in den Fokus stellt. Das Forschungsfeld der User Innovation hat u.a. drei stilisierte Fakten zu Tage gefördert:

  1. Viele Innovationen, insbesondere auch disruptive Innovationen, stammen ursprünglich von User Innovatoren im Haushaltssektor, also von Individuen, die eine Lösung für ein Problem suchen, kein passendes Produkt am Markt finden und daher selbst aktiv werden. So geschehen im Fall der Spülmaschine, die von Josephine Cochrane ursprünglich mit dem Ziel entwickelt wurde, den Bruch beim Spülen ihres Porzellans zu reduzieren. Weitere Beispiele sind Sportartikel wie das Mountainbike und das Snowboard, zahlreiche medizinische Lösungen und nicht zuletzt Open Source Software-Lösungen, die sich heute großer Verbreitung erfreuen.
  2. Viele Einzelpersonen sind User Innovatoren, d.h. sie verbringen ihre Freizeit damit, bestehende Produkte zu verbessern oder neue Produkte zu entwickeln. Repräsentative Studien in 6 Ländern (UK, US, Japan, Finnland, China, UAE) zeigen, dass zwischen 3.7% und 6.1% oder Bevölkerung User Innovatoren sind (bspw. von Hippel et al. 2012). Diese Zahlen berücksichtigen nur Nutzer, die selbst funktionale Prototypen umgesetzt haben; innovative Produktideen reichen nicht.
  3. Viele User Innovatoren machen ihre Entwicklungen frei verfügbar, d.h. sie teilen Informationen darüber mit anderen Nutzern oder mit Unternehmen. Bspw. zeigen die erwähnten repräsentativen Studien, dass im Vereinigten Königreich mind. 17% der User Innovationen in dieser Weise diffundieren, in Finnland 19%. Die daraus resultierenden positiven externen Effekte sind wesentlich für den gesellschaftlichen Wert dieses Phänomens.

In einer aktuellen Studie untersuchen Gambardella et al. 2017 die Auswirkungen von Nutzerinnovationen modelltheoretisch. Es ergibt sich folgendes Bild: Übersteigt der Anteil der innovativen Nutzer in einem Markt einen bestimmten Schwellenwert, ist es die gewinnmaximierende Strategie für Unternehmen, in die Zusammenarbeit mit diesen Nutzerinnovatoren zu investieren. Somit erhalten sie Zugang zu Nutzerinnovationen und können diese kommerzialisieren. D.h., die Unternehmen setzen auf die Komplementarität zwischen hausinternen F&E-Anstrengungen und den innovativen Aktivitäten ihrer Kunden – eine neue Form der Arbeitsteilung in der F&E. Allerdings kommt dieser Strategiewechsel häufig „zu spät“. Wohlfahrtmaximierend wäre es, bereits zu einem früheren Zeitpunkt, trotz noch geringerer Verbreitung der User Innovatoren, auf die Zusammenarbeit zu setzen. Weiterhin zeigen Gambardella et al. 2017, dass Politikmaßnahmen, die die Produktivität von User Innovatoren erhöhen, die Wohlfahrt steigern. Klassische Politikmaßnahmen, die die F&E-Produktivität der Unternehmen erhöhen, können hingegen durchaus wohlfahrtsmindernd wirken, indem sie den Wechsel hin zu einem offenen Innovationsmodell verzögern oder umkehren.

Chancen für die ökonomische Forschung

Für die ökonomische Forschung war Innovation durch Konsumenten bis vor Kurzem so etwas wie in der Physik die dunkle Materie. Sie wurde nicht direkt beobachtet oder gemessen und machte sich höchstens indirekt durch ihre Wirkung auf andere Größen bemerkbar.

Neue Chancen ergeben sich sowohl in der Messung als auch in der Modellierung von User Innovationen, insbesondere als Inputs für Forschung und Entwicklung in Unternehmen. Nutzer entwickeln Produktverbesserungen und grundlegende Neuerungen, teilen diese – in der Regel unkompensiert – mit Unternehmen und erhöhen damit deren F&E-Effizienz. User entwickeln aber auch Komplemente zu unternehmenseigenen Produkten, die den Nutzen dieser Produkte für den Kunden steigern. Sie passen bspw. bestehende Produkte an Kundenbedürfnisse an, programmieren Software Add-ins oder schaffen ganze Nutzungssysteme um ein Herstellerprodukt herum. Manchmal entwickeln Nutzer allerdings auch Substitute für von Unternehmen angebotene Produkte, insbesondere, aber nicht ausschließlich im Bereich digitaler Güter wie Open Source Software oder enzyklopädischem Wissen (Wikipedia).

Während sich das Thema User Innovation in der Management-Literatur als Forschungsfeld etabliert hat, lässt sich das für die Ökonomie nicht in gleichem Maße sagen, so dass die gesamtwirtschaftlichen Wirkungen von User Innovationen bisher kaum analysiert wurden. 

Implikationen für die Politik

Viel spricht dafür, dass User Innovation – gemeinsam mit verwandten Phänomenen wie Crowdsourcing, Open Content, Digital Commons etc. – im digitalen Zeitalter an Verbreitung zunehmen wird. Die Digitalisierung erleichtert für User den Zugang zu Expertenwissen, die Kooperation in Online Communities und die Produktion und massenhafte Verbreitung insbesondere digitaler Güter. Es lässt sich argumentieren, dass die Digitalisierung somit die komparativen Vorteile verschiedener Organisationsformen zur Produktion von Innovationen verändert – zugunsten dezentraler, „demokratisierter“ Innovationsformen.

Für die Politik ergeben sich hieraus viele Herausforderungen und Chancen. Wie lässt sich die Kreativität der Bürger eines Landes vermehrt als Innovationsquelle, vielleicht sogar als Standortvorteil erschließen? Wie lässt sich ihre Innovationskraft steigern? Wie kann die Schnittstelle zu Unternehmen effizient und fair gestaltet werden? Auf diese und viele weitere Fragen lassen sich bisher nur vorläufige Antworten formulieren.

Bisherige Evidenz deutet darauf hin, dass Bürger eher dann innovativ aktiv werden, wenn sie über technische Bildung verfügen, Zugang zu und Affinität für digitale Technologien besitzen und geeignete Tools kostengünstig zur Verfügung haben. Hierbei kann es sich um haushaltsübliches Werkzeug handeln, aber vermehrt auch um Maker Spaces, 3D-Drucker und Software Tools. Es ist daher zu vermuten, dass Maßnahmen zur Erhöhung der technischen und digitalen Teilhabe und Fähigkeiten eine doppelte Dividende abwerfen: im Arbeitsmarkt und auch in der Freizeit in Form einer höheren Innovationskraft der Bevölkerung.

Gambardella, Raasch, von Hippel (2017), The user innovation paradigm: impacts on markets and welfare. Management Science 63(5), 1450-1468.

von Hippel, de Jong, Flowers (2012), Comparing business and household sector innovation in consumer products: Findings from a representative study in the United Kingdom. Management Science 58(9), 1669-1681.

©KOF ETH Zürich, 28. Nov. 2017

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