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Erben ist unliberal

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Die heutige Vermögenskonzentration ist stark mit der relativ tiefen Besteuerung von Erbschaften verbunden. Dieser Beitrag spricht sich deshalb für eine hundertprozentige Erbschaftssteuer aus, nicht zuletzt weil dadurch das Leistungsprinzip mehr Gewicht erhielte. Ohne Zweifel ist die Erbschaftssteuer eine der umstrittensten Steuern überhaupt. Es ist also nur verständlich, dass ein Vorschlag, der eine hundertprozentige Erbschaftssteuer und eine hohe Schenkungssteuer vorsieht, geradezu als Provokation empfunden wird. Ein solcher Vorschlag sei wachstumsfeindlich, wirklichkeitsvergessen und – was auch immer das heissen mag – "kommunistisch". Bestenfalls könne man diesen Vorschlag als utopische Spielerei wahr-, wenn auch nicht ernstnehmen. Es ist wohl mehr als eine müssige Spekulation, wenn man annimmt, dass die Leidenschaft, mit der über – und meist gegen – die Erbschaftssteuer opponiert wird, ihren Grund auch in der Angst vor dem Tode hat: Man möchte mittels der Erbschaft auch nach dem Hinscheiden am Leben der Hinterbliebenen teilnehmen, gleichsam zur Unsterblichkeit im Diesseits gelangen. Ein Erbschaftsfonds Vorab der Vorschlag in seinen Grundzügen: Es soll beim Hinscheiden des Erblassers das gesamte Erbe an einen Fonds abgeführt werden.

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Volker Grossmann, Guy Kirsch considers the following as important:

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Die heutige Vermögenskonzentration ist stark mit der relativ tiefen Besteuerung von Erbschaften verbunden. Dieser Beitrag spricht sich deshalb für eine hundertprozentige Erbschaftssteuer aus, nicht zuletzt weil dadurch das Leistungsprinzip mehr Gewicht erhielte.

Ohne Zweifel ist die Erbschaftssteuer eine der umstrittensten Steuern überhaupt. Es ist also nur verständlich, dass ein Vorschlag, der eine hundertprozentige Erbschaftssteuer und eine hohe Schenkungssteuer vorsieht, geradezu als Provokation empfunden wird. Ein solcher Vorschlag sei wachstumsfeindlich, wirklichkeitsvergessen und – was auch immer das heissen mag – "kommunistisch". Bestenfalls könne man diesen Vorschlag als utopische Spielerei wahr-, wenn auch nicht ernstnehmen. Es ist wohl mehr als eine müssige Spekulation, wenn man annimmt, dass die Leidenschaft, mit der über – und meist gegen – die Erbschaftssteuer opponiert wird, ihren Grund auch in der Angst vor dem Tode hat: Man möchte mittels der Erbschaft auch nach dem Hinscheiden am Leben der Hinterbliebenen teilnehmen, gleichsam zur Unsterblichkeit im Diesseits gelangen.

Ein Erbschaftsfonds

Vorab der Vorschlag in seinen Grundzügen: Es soll beim Hinscheiden des Erblassers das gesamte Erbe an einen Fonds abgeführt werden. Will sagen: Die Söhne und Töchter reicher Eltern werden vorerst nichts erhalten, was nicht vorher per substantiell besteuerter Schenkung übertragen worden ist. Im Weiteren aber werden sie dann – wie alle anderen Mitglieder der heranwachsenden Generation – mit einem bestimmten Betrag ausgestattet. Der Vorschlag sieht demnach nicht nur vor, dass die einen das Erbe ihrer reichen Eltern nicht antreten können, sondern auch, dass alle ein Erbe erhalten. Was diese vielen dann jeweils mit "ihrem" Erbe machen, bleibt ihnen überlassen.

Entscheidend ist nun, dass dieser Vorschlag mit kollektivistischer Gleichmacherei nichts, aber auch gar nichts zu tun hat. Im Gegenteil: Er entspringt dem Engagement für einen individualistischen Liberalismus. In der Tat: Wer nämlich den Einzelnen, jeden Einzelnen ernstnimmt, der muss es geradezu als Ärgernis empfinden, wenn die Söhne und Töchter reicher Väter im Zweifel nur deshalb besser als andere durch das Leben gehen können, weil sie sich die Mühe gemacht haben, von reichen Eltern gezeugt zu werden. Auch dann, wenn man nicht jede Ungleichheit als ungerecht empfindet, wird man darüber stolpern müssen, dass hier die einen oder anderen sich mehr als andere leisten können, ohne mehr als andere geleistet zu haben.

Selbstverständlich: Man mag an dieser Stelle einwenden wollen, dass es zwischen den Eltern und den Kindern Beziehungen gibt, die sich nicht in Heller und Pfennig in Testamenten niederschlagen, sondern dass die Väter etwa aus Liebe zu ihren Kindern diesen etwas hinterlassen wollen. Das ist – hoffentlich – in vielen, den meisten Familien der Fall. Es trifft nun gewiss zu, dass hohe Erbschafts- und Schenkungssteuern verhindern, dass sich die Zuneigung der Eltern für ihre Kinder in einer grossen Vermögenshinterlassenschaft ausdrückt. Die Frage ist, ob es nicht auch andere Wege gibt, die Verbindung der Generationen untereinander auszuleben.

Graf bleibt Graf

Wenn dies allerdings nicht der Fall sein sollte, man also um der intergenerationellen Verbundenheit willen glaubt, auf hohe Erbschafts- und Schenkungssteuern verzichten zu sollen, so sollte man vor sich und anderen ehrlich genug sein zu bekennen, dass man das liberal-individualistische Engagement wenigstens zum Teil verrät und feudal-tribalem Denken anhängt: Wie ehedem der Sohn im Zweifel nur deshalb ein Graf war, weil der Herr Vater ein Graf war, so soll dann der Sohn ohne weiteres bemittelt sein, weil der Vater bemittelt war. Man denkt an Beaumarchais Komödie, wo Figaro einem arroganten Grafen entgegenhält, "er habe sich die Mühe gemacht, geboren zu werden".

In der Tat ist gegenwärtig die Vermögenskonzentration wieder frappierend und ihre Tendenz steigend. In den Industrienationen besitzen die reichsten 10% mindestens 60% des Vermögens, in den USA sind es sogar 75% (Piketty und Zucman, 2015). Es wird oft argumentiert, dass Ungleichheit dieser Art Leistungsanreize gibt. Allerdings ist dies überwiegend nicht der Fall. Das Vermögen wurde beispielsweise in Deutschland im Jahr 2010 zur Hälfte ererbt und nicht von ihren Besitzern erarbeitet, 1970 betrug der Anteil nur 20%. Während 1970 Erbschaften und Schenkungen in Höhe von nicht einmal 4% des Nationaleinkommens getätigt wurden, waren es 2010 bereits 11%. Die Vermögenskonzentration wächst also gerade aufgrund von Erbschaften und Schenkungen weiter an. Daraus erwächst dringender Handlungsbedarf. Nicht nur, dass eigener Reichtum oftmals nicht erarbeitet wurde. Auch das selber gebildete Vermögen ist oft auf bessere Startchancen der Kinder aus reichen Familien zurückzuführen. Die Akzeptanz einer marktwirtschaftlichen Ordnung setzt jedoch Chancengleichheit voraus, welche ein urliberales Anliegen ist. Eine Vermögensverteilung, die nicht als gerecht empfunden wird, unterminiert das Funktionieren von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik ungemein. Dies hat bereits der liberale Ökonom John Stuart Mill erkannt, der genau aus diesem Grunde ein starker Befürworter einer progressiven Erbschaftssteuer war.

Man mag den Vorschlag einer hundertprozentigen Erbschaftssteuer als Utopie bezeichnen. Das mindert seinen Wert nicht, ermöglicht er doch, in die richtige Richtung zu denken, die richtigen Fragen zu stellen. Doch wer, bei allem liberalen Engagement für den Einzelnen, nicht nur Utopist sein will, muss – wenn er für eine hundertprozentige Erbschaftssteuer plädiert – jene Argumente ernsthaft prüfen, die gegen ihre Einführung ins Feld geführt werden.

Die Unplanbarkeit des Ablebens

Dazu folgendes. Viele Erbschaften sind der Tatsache geschuldet, dass das eigene Ableben nicht perfekt geplant werden kann. So mancher Erblasser möchte sein Vermögen gar nicht vererben, sondern hat den Zeitpunkt des Ablebens einfach falsch eingeschätzt. In diesem Fall würde kein Euro mehr gespart und produktiv in den Wirtschaftskreislauf eingebracht, wenn Erbschaften mit einem geringeren Steuersatz als 100 Prozent besteuert würden. Aus Sicht der Optimalsteuertheorie ist somit angezeigt, solche "accidental bequests" vollständig zu besteuern. Schenkungen hingegen sollten steuerlich moderater behandelt werden, um die Ersparnisbildung aufgrund des Schenkungsmotivs nicht nennenswert zu beeinträchtigen. Dem Ziel wäre durchaus gedient, wenn beispielsweise die Hälfte des Betrages der Schenkung ebenfalls in den genannten Fonds fliessen würde. Würde jemand also 1 Mio. Euro hinterlassen wollen, müsste er oder sie eben 2 Mio. ansparen und schenken. Wissenschaftliche Studien legen nahe, dass eine deutlich höhere Schenkungssteuer als derzeit die Vermögensbildung nicht signifikant reduzieren würde. Darauf basierend schlagen Piketty und Saez (2013) aus optimalsteuertheoretischer Sicht einen Steuersatz von 40-50% vor, ab einem Freibetrag von 1 Mio. Euro. Freibeträge sind in der Tat schon aus administrativen Gründen sinnvoll. Sie führen als Nebeneffekt dazu, dass die allermeisten Haushalte von Erbschafts- und Schenkungssteuern gar nicht betroffen wären – umso erstaunlicher ihre Ablehnung.

Ein weiterer, oft genannter Punkt betrifft das Erbe in Form von Familienbetrieben. In Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht die Bundesregierung aufgefordert, die weitgehende oder sogar komplette Freistellung von Erbschafts- und Schenkungssteuern bei Hinterlassenschaft eines Familienbetriebs zu ändern. Die Bevorzugung gilt selbst für Grossbetriebe, wenn der Betrieb einige Jahre weitergeführt wird und die Lohnsumme weitgehend stabil bleibt bzw. der Betrieb weniger als 20 Mitarbeiter hat. Es wird dabei nicht nur gegen den grundgesetzlichen Gleichheitsgrundsatz verstossen. Sondern es dient insgesamt auch nicht dem Erhalt von Arbeitsplätzen, wenn möglicherweise mit wenig unternehmerischem Talent ausgestattete Erben gegenüber anderen, gründungswilligen Unternehmern bevorzugt werden (Grossmann und Strulik, 2010).

Ist ein Sohn oder Tochter eines Familienunternehmens von der Zukunft des Betriebes und des eigenen Talents überzeugt, warum soll er oder sie nicht einfach einen Kredit aufnehmen wie Unternehmensgründer es auch tun müssen? Nur würde hier die Kreditaufnahme nötig zur Entrichtung der Erbschafts- oder Schenkungssteuer. Im Übrigen: nicht selten verkaufen Erben den Familienbetrieb, nachdem sie sicher sein können, keine Erbschafts- oder Schenkungssteuer mehr entrichten zu müssen. Das mag gut sein, allerdings hätte eine vorgängige Besteuerung der Allgemeinheit über den genannten Fonds mehr eingebracht. Die derzeitige Regelung in Deutschland ist vor allem mal ein Schutz von Partikularinteressen – inklusive der Möglichkeit, Privatvermögen als Unternehmensvermögen getarnt am Fiskus vorbei zu schleusen.

Es geht bei der hier propagierten, radikalen Erbschaftssteuerreform nicht nur um Gerechtigkeit, über die man immer trefflich streiten kann. Es geht auch darum, dass wir Wachstum und Wohlstandsmehrung nicht zugunsten reicher Erben opfern, indem wir das Ziel der Chancengleichheit mit Füssen treten. Konservativ-liberale politische Parteien werben vor Wahlen oft mit dem Slogan: "Leistung muss sich wieder lohnen". Es wäre Zeit, den ordnungspolitischen Rahmen stärker danach auszurichten. Denn Leistung lohnt sich immer weniger, erben dafür immer mehr. Dass das nicht immer so sein und bleiben muss, kann man wünschen, vielleicht gar erwarten. Eine gewisse Sensibilität für diese Problematik scheint vorhanden zu sein; der Ausspruch von Dale Carnegie, dass jener, der als reicher Mann stirbt, als unanständiger Mensch stirbt, muss nicht auf alle Zeiten weltfremd klingen.

Grossmann, Volker und Holger Strulik (2010). Should Continued Family Firms Face Lower Taxes Than Other Estates?, Journal of Public Economics 94, 87–101.

Piketty, Thomas und Emmanuel Saez (2013). A Theory of Optimal Inheritance Taxation, Econometrica 81, 1851-1886.

Piketty, Thomas und Gabriel Zucman (2015). Wealth and Inheritance in the Long Run, in: Atkinson, A. und F. J. Bourguignon (Eds.), Handbook of Income Distribution, Vol. 2B, Elsevier, Ch. 15, 1303-1368.

©KOF ETH Zürich, 11. Mai. 2016

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