Photo: StateofIsrael from Flickr (CC BY-SA 2.0 DEED) Von Anthea Wendland, Research Fellow bei Prometheus von November bis Dezember 2023. Anthea hat an der IU Internationale Hochschule ihre Bachelorarbeit verfasst über „Rechtspopulismus auf TikTok und seine Einflüsse auf die Medienpräsenz der Bauernproteste 2023/24“. Seinem Zorn – ob online oder in Person – freien Lauf zu lassen und im Zweifelsfall alles auf die bösen Journalisten zu schieben, ist in den letzten Jahren zu einem Trend oder gar einem „weird kink“ geworden. Trotz aller berechtigter Kritik ist guter Journalismus keine Selbstverständlichkeit. Verständnis sowohl für die veränderte Medien- und Konsumsituation als auch für die Situation der dämonisierten Journalisten könnte helfen. Heute Journalist zu sein, ist nur bedingt
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Von Anthea Wendland, Research Fellow bei Prometheus von November bis Dezember 2023. Anthea hat an der IU Internationale Hochschule ihre Bachelorarbeit verfasst über „Rechtspopulismus auf TikTok und seine Einflüsse auf die Medienpräsenz der Bauernproteste 2023/24“.
Seinem Zorn – ob online oder in Person – freien Lauf zu lassen und im Zweifelsfall alles auf die bösen Journalisten zu schieben, ist in den letzten Jahren zu einem Trend oder gar einem „weird kink“ geworden. Trotz aller berechtigter Kritik ist guter Journalismus keine Selbstverständlichkeit. Verständnis sowohl für die veränderte Medien- und Konsumsituation als auch für die Situation der dämonisierten Journalisten könnte helfen.
Heute Journalist zu sein, ist nur bedingt beneidenswert. So charmant der Gedanke ist, zu einer aufgeklärten Zivilgesellschaft beizutragen und die Ungerechtigkeit aufzudecken, die jeden Tag Realität ist, so erdrückend ist die Tatsache, dass Angriffe auf Journalisten in vielen Teilen der Welt Alltag sind und zunehmen. Auch Deutschland und eines seiner höchsten Güter, die Pressefreiheit, sind vor dieser wachsenden Bedrohung nicht sicher. Ganz zu schweigen von der enormen Komplexität mit der sich Journalismus in den letzten Jahren konfrontiert sieht: Angefangen bei zahlreichen Krisen mit sehr unterschiedlicher Meinungs- und Informationslage bis hin zu Deep Fakes und sonstiger Form der Manipulation. Maria Ressa, eine philippinisch-amerikanische Investigativjournalistin, die ich kürzlich kennenlernen durfte, hat mir das besonders vor Augen geführt. Sie arbeitete fast 20 Jahre für CNN und gründete das philippinische Online Medium Rappler, das unter anderem Korruptionsfälle in der philippinischen Regierung aufdeckte. Sie erhielt 2021 den Friedensnobelpreis und engagiert sich heute bei „Reporter ohne Grenzen” für Demokratieerhaltung und Informationsfreiheit.
In den „jungen Jahren“ des Journalismus waren Journalisten die Gatekeeper der allermeisten Informationen, die die Menschen da draußen erreichten. Soziale Medien haben das verändert. Neue Plattformen wie TikTok (und Instagram, YouTube etc., die dem mit ihren Short Video Formaten nacheifern) haben allerdings das ursprüngliche Ziel von Social Media, nämlich Vernetzung, größtenteils beiseite geschoben, und den Konsum von Inhalt und Information in den Vordergrund gestellt. Social Media bedeutet Quantität: „For You Page“, anschauen und weiter swipen – und zwar so lang und oft wie möglich. Diese Dynamik, diese Schnelligkeit ist zur Sucht geworden. Es werden immer schnellere Antworten gefordert, immer schnellere Berichterstattung – wenn dann aber die Qualität leidet, ist das Geschrei groß.
Das Verlockende: Soziale Medien liefern die Antwort zuerst. Wie wir uns heutzutage informieren und aus welcher Quelle, bestimmt in den sozialen Medien heute nicht mehr nur der Nutzer selbst, sondern ein Algorithmus. Die Entwicklung weg von der Neugier und der Wissbegierde, hin zum Sich-Berieseln-Lassen zeigt: wir hängen unsere Informationsfreiheit ein Stück weit selbst an den Nagel. Was für Konsumenten gilt, gilt aber auch für Journalisten. Die Wahrheit mit all seinen Facetten kommt nicht immer vom zuständigen Ministerium – manchmal erweckt der ÖRR eher den Anschein, der „verlängerte Arm“ der Politik zu werden, anstatt seine Zuschauer mit eigenen qualitativen Recherchen zu versorgen.
Hass verbreitet sich in sozialen Medien sechs Mal schneller als Freude – das zeigte eine Studie zweier Forscherinnen der School of Economics and Management in Peking. Zusätzlich trübt Sensationsgier allmählich das Bewusstsein vieler Menschen für die Realität und für die Wahrheit. Die virtuelle Welt ist eine andere als die, in der wir leben. Das wissen autokratische Regime, Feinde der offenen Gesellschaft, des Liberalismus und Feinde der Demokratie längst – und versuchen, diese Schwachstellen mit gezielter Propaganda, technologischen Monopolen, Fake News und Trollfabriken gegen uns auszuspielen. Das können Journalisten nicht eigenhändig abfedern. Aber wer macht es sonst?
So seltsam ich diesen Vergleich finde: Die Serie „Don’t Fuck with Cats” ist ein Hoffnungsschimmer der Selbstorganisation und des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Es geht darum, dass anonym Videos im Netz veröffentlicht worden sind, in denen Katzenbabies auf sadistische Weise ermordet worden sind. Mit dem Kopf in einer Plastiktüte, aus der mit einem Staubsauger die Luft gesaugt wurde, bis sie schließlich elendig erstickt sind. Kurzerhand schließen sich Menschen auf der ganzen Welt zusammen und suchen gemeinsam nach demjenigen, der diese Gräueltaten zu verantworten hat. Und es klappte. Kollaboration ist nicht nur ein Gehirngespenst – wenn man gemeinsam anpackt, lässt sich tatsächlich relativ vieles erreichen.
Wollen wir für eine informierte Gesellschaft einstehen, ist Bequemlichkeit nicht die Antwort: Wir sind alle in der Verantwortung und in der Lage, kritisch zu hinterfragen. Doch diese Herausforderung müssen wir annehmen. Wir müssen anfangen, aktiv nach Fakten zu suchen – viele Fake News sind mit einer simplen, zehnsekündigen Google Suche entkräftet.
Journalisten müssen einen Schritt weiter gehen. Sie tragen die Verantwortung, auch die Fake News ausfindig zu machen, für die es mehr als zehn Sekunden Recherche benötigt. Das muss eine der Hauptaufgaben des modernen Journalisten sein. Kritisches Denken und Fact Checking gehören in der heutigen Zeit zum absoluten Grundrepertoire. Würde man den Rundfunkstaatsvertrag in die heutige Zeit übersetzen, würde da genau so etwas drinstehen. Doch anstatt nach Veränderung (… und Verbesserung) zu streben – also mehr Ressourcen für intensive Recherche einzuräumen–, entscheiden sich viele Verfechter des aktuellen Kurses des ÖRR dazu, die Unterhaltungs-Überschwemmung zu rechtfertigen.
Viele Deutsche wünschen sich Investigativjournalismus. Die ÖR haben dadurch, dass sie vom Wettbewerb mehr oder weniger ausgenommen sind, die Chance, darauf verstärkt einzugehen. Denn etwas unangenehm für die Tagesschau ist es schon, wenn das aus eigenen Kreisen oft verstoßene Blatt mit „B“ zur Quelle der eigenen Berichterstattung wird – nur weil man dort überhaupt recherchiert hat. Wer dann noch Unterhaltung will, hat längst Netflix abonniert. Da wird beim ÖRR gern auf den heiligen Rundfunkstaatsvertrag verwiesen, der ja besagt, man müsse Information, Bildung und Unterhaltung unterbringen. Zu welchen Anteilen Bildung, Information und Unterhaltung allerdings vertreten sind, entscheiden die ÖR selbst – die Vorgabe lautet nur, die Aufteilung solle „angemessen” sein. Und angemessen wäre angesichts der wachsenden Bedrohung durch antidemokratisches Gedankengut die differenzierte Berichterstattung. Oder liegt unser Fokus wirklich darauf, außerhalb des Takts klatschenden Rentnern im Fernsehgarten zuzusehen?
Damit Journalisten und insbesondere der ÖRR das leisten können, müssen unsere Erwartungen an sie jedoch wieder ins Realistische zurückkehren: Weg von der Gier nach schnellen Antworten, hin zu Antworten, hinter denen intensive Arbeit steckt und die der Komplexität der Welt gerecht werden. Diese Chance müssen wir ihnen geben. Dazu gehört, sie ganz besonders vor Angriffen zu schützen.