Photo: Alex Plesovskich from Unsplash (CC 0) Neobroker leisten einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der Aktienkultur. Die Politik sollte ihr Misstrauen ihnen gegenüber überdenken. Millionär werden ist einfach Über Nacht zum Millionär – das geht für die meisten nur mit extrem viel Glück oder unvernünftig hoher Risikobereitschaft. Aber über das Arbeitsleben zum Millionär? Das war in der Vergangenheit nahezu lächerlich einfach – für jene Menschen, die Zugang zum Aktienmarkt hatten. Wer im Jahr 1970 einmalig 10.000 Euro in den breit gestreuten globalen Aktienindex MSCI World investiert hätte, der würde 50 Jahre später, im Jahr 2020, über ein Anlagevermögen von 956.000 Euro verfügen können. Das entspricht einer Rendite von 9460 Prozent. Anders als Sparbücher oder scheinbar sichere
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Neobroker leisten einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der Aktienkultur. Die Politik sollte ihr Misstrauen ihnen gegenüber überdenken.
Millionär werden ist einfach
Über Nacht zum Millionär – das geht für die meisten nur mit extrem viel Glück oder unvernünftig hoher Risikobereitschaft. Aber über das Arbeitsleben zum Millionär? Das war in der Vergangenheit nahezu lächerlich einfach – für jene Menschen, die Zugang zum Aktienmarkt hatten. Wer im Jahr 1970 einmalig 10.000 Euro in den breit gestreuten globalen Aktienindex MSCI World investiert hätte, der würde 50 Jahre später, im Jahr 2020, über ein Anlagevermögen von 956.000 Euro verfügen können. Das entspricht einer Rendite von 9460 Prozent. Anders als Sparbücher oder scheinbar sichere Staatsanleihen ermöglicht der Aktienmarkt, am globalen Fortschritt und Wachstum direkt zu partizipieren. Für langfristige und breit gestreute Anleger bedeutet der Aktienmarkt die Umsetzung des Ludwig Erhard’schen Versprechens vom „Wohlstand für alle“. Doch bis in die 2000er hinein, war der Aktienmarkt in erster Linie jenen vorbehalten, die bereits über Vermögen verfügten. Dass nun immer mehr Menschen in Aktien investieren, ist nicht zuletzt sogenannten Neobrokern zu verdanken. Doch diese sind etablierten Börsen, Banken und so manchem Politiker ein Dorn im Auge.
Die Revolution des Aktienmarktes
12,4 Millionen Menschen in Deutschland besitzen Aktienprodukte. Das sind 17,5 Prozent der über 14-jährigen. Das bedeutet allerdings auch, dass über 80 Prozent noch nicht am Aktienmarkt partizipieren. Wenn überhaupt, dann bauen sie Wohlstand über Sparen, Lohnsteigerungen oder Immobilien auf. Erstaunlicherweise besitzen damit im Jahr 2021 eine halbe Million Deutsche weniger Aktienprodukte als noch im Jahr 2001. Allerdings fiel die Anzahl der Aktiensparer von 2001 bis 2014 beständig auf knapp 8,5 Millionen und steigt seitdem rasant an. Vor allem junge Menschen, desillusioniert hinsichtlich des Sicherheitsversprechens der staatlichen Rentenversicherung und sich des Vorteils langfristiger diversifizierte Anlagen bewusst, entdecken den Aktienmarkt für sich. Dabei greifen sie vielfach auf sogenannte Neobroker zurück. Anders als klassische Filialbanken, ermöglichen Anbieter wie „Trade Republic“ oder „Scalable Capital“ auch Kleinstanlegern und Aktienanfängern einen intuitiven und unkomplizierten Zugang zu den Finanzmärkten
Dabei profitiert die neue Generation der Aktiensparer vor allem von niedrigen Kosten. Wo früher ein beträchtlicher Teil der Rendite direkt in die Gebühren für Handelsplätze und Finanzprodukte floss, haben ETFs (also passiv gemanagte Indexfonds) und Neobroker den Markt revolutioniert. Es braucht heute keine großen Summen mehr, um die Ertragsschwelle zu erreichen. Anstatt mit den großen und etablierten Handelsplätzen wie der Frankfurter Börse arbeiten Neobroker heute vielfach mit sogenannten „Market Makern“ (außerbörslichen Handelsplätzen) zusammen. Diese zahlen den Brokern sogar eine Gebühr dafür, die Transaktionen der Kunden durchführen zu dürfen. Das bedeutet, dass Neobroker für jede Transaktion, die sie generieren, Geld erhalten, anstatt dafür zu zahlen. Und im harten Wettbewerb wird dieser Preisvorteil in der Regel direkt an den Neobroker-Kunden weitergegeben. Die für Finanzmarkt-Regulierung zuständige EU-Kommissarin McGuinness würde diese als „Payment for Order Flow“ (PFOF) bezeichnete Praktik am liebsten verbieten. Dahinter steht auch ein grundsätzliches Misstrauen der Politik den Neobrokern gegenüber.
Sind Order-Provisionen wirklich ein Problem?
Ihrer Ansicht nach führe PFOF zu Interessenkonflikten auf Seiten der Neobroker. So würden diese dem Anreiz unterliegen, Aktienprodukte im Auftrag des Sparers nicht zum besten Preis zu handeln, sondern mit dem Partner, der die höchste PFOF Provision zahle. Anstelle einer transparenten Transaktionsgebühr würden Neobroker-Kunden dementsprechend verschleierte Gebühren bedingt durch schlechtere Kurse zahlen. Das erscheint erst einmal recht intuitiv, schließlich müssen ja die Market Maker auch an irgendeiner Stelle Erträge erzielen. Doch die Intuition trügt hier. So kam eine (wohlgemerkt von Trade Republic beauftragte) Studie der University of Southern Denmark und der WHU zum Schluss, dass die den Kunden des Auftraggebers angebotenen Kurse nur in Ausnahmefällen schlechter waren als an der zur Referenz herangezogenen Frankfurter Börse. Mehr noch: Im Durchschnitt waren die Trade Republic-Kurse sogar um 0,052 Prozent besser. Als Einschränkung muss hier allerdings angemerkt werden, dass die Untersuchung nur Transaktionen zu Handelszeiten der Referenzbörse untersucht wurden. Im vor- oder nachbörslichen Handel könnten Neobroker-Kunden dementsprechend eventuell schlechtere Kurse bekommen.
Anstatt den naiven Kleinstanleger zu prellen, arbeiten ETF-Emittenten, Market-Maker und Neobroker einfach effizienter und haben eine Marktlücke erkannt. Sie setzen Digitalisierung und Automatisierung so für sich ein, dass beide Seiten profieren: Kunde und Anbieter. Zu lange wurde der Aktienmarkt dominiert von Großbanken und Großbörsen, die wenig in Innovation und Kostensenkung investierten. Der neue Staatssekretär und ehemalige Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold bezeichnet das als „Marktversagen“. Dem alternativen und allem Anschein nach besseren – durch den Markt hervorgebrachten! – Geschäftsmodell nun aus Prinzip den Garaus machen zu wollen, wäre hingegen Staatsversagen, wie es im Buche steht. Ganz abgesehen davon, dass der Vorschlag der EU-Kommission wohl kaum in die Endfassung der Novellierung der Finanzmarktordnung „MiFID“ aufgenommen wird. Denn neben den Neobrokern profieren auch die einflussreichen Großbanken seit Jahrzehnten vom PFOF – beispielsweise im Zertifikatehandel. Wirkliche Gewinner eines PFOF-Verbots wären lediglich die etablierten Börsen, die derzeit stetig Marktanteile an Market Maker verlieren.
Wohlstands-Boost durch echte Aktienkultur
Eine Öffnung der Politik hin zu einer soliden und verbreiteten Aktienkultur könnte den Deutschen nicht nur einen wahren Wohlstandsboost ermöglichen, sie könnte auch Millionen vor der Altersarmut bewahren. Dafür bedarf es allerdings eines grundsätzlichen Umdenkens in der Politik: (1) Aktienkultur bedeutet nicht, dass der Staat Anbieter sein soll. Da sollten die Volksaktie Telekom Lehre und angebliche Vorreiter wie Schweden ein Vorbild sein. (2) Regulierer sollten dem Markt als Regulierungsinstanz mehr Gewicht geben. Viel wirkungsmächtiger als aus dem Misstrauen privaten Profiten gegenüber geborene Gesetze ist der Preiswettbewerb als Entmachtungsverfahren. Sollten etablierte Neobroker tatsächlich (irgendwann einmal) Kunden benachteiligen, würden neue Anbieter sofort mit besseren Preisen und mehr Transparenz in den Markt stoßen. Gerade in einem Markt, in dem Vertrauen so wichtig ist, werden Neobroker das Vertrauen ihrer Kunden deshalb nicht verspielen wollen. (3) Ein solide und in der Bevölkerung gelebte Aktienkultur ist die letzte Chance auch für die staatliche Rentenversicherung. Wird hier nicht zeitnah und mit aller Kraft umgelenkt, macht sich die untätige Politik mitschuldig an einem Billionen-Betrug an der nächsten Generation. Man mag der neuen Bundesregierung wünschen, dass sie dies ernst nimmt und zusammen mit privaten Akteuren eine effiziente und wirkungsvolle Aktienrente auf den Weg bringt. Und (4) müssen Regulierer und vor allem Verbraucherschützer ihre Motive hinterfragen. Denn was ist wohl größeres „Zocken“? Alles Ersparte in eine Immobilie zu stecken oder eben in tausende Unternehmen der unterschiedlichsten Branchen auf der ganzen Welt? Generation Bausparvertrag muss hier der Generation Aktiensparen mehr Vertrauen entgegenbringen.