Photo: Wikimedia Commons (CC 0) Die Liste an Menschen, die Risiken eingehen und von der Gemeinschaft erwarten, dass sie ihnen bei möglichen Folgen zur Seite steht, reicht von der Extremsportlerin über den Raucher bis zum Impfgegner. Genau jetzt ist ein guter Zeitpunkt, dem Vollkasko-Staat zu problematisieren. Die Rechnung zahlt die Gemeinschaft 10.200 Euro kostet ein Krankenhausaufenthalt von Corona-Patienten derzeit. Im Schnitt. Die schwersten Fälle kratzen an der 100.000-Euro-Grenze. Und da sind noch nicht die Kosten der Folgebehandlungen mit eingerechnet sowie der volkswirtschaftliche Schaden, der durch Arbeitsausfälle und Ressourcenverschiebungen ergibt. Wer sich gegen eine Impfung entscheidet, nimmt bewusst das sehr viel höhere Risiko eines schweren Erkrankungsverlaufs in Kauf und
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Die Liste an Menschen, die Risiken eingehen und von der Gemeinschaft erwarten, dass sie ihnen bei möglichen Folgen zur Seite steht, reicht von der Extremsportlerin über den Raucher bis zum Impfgegner. Genau jetzt ist ein guter Zeitpunkt, dem Vollkasko-Staat zu problematisieren.
Die Rechnung zahlt die Gemeinschaft
10.200 Euro kostet ein Krankenhausaufenthalt von Corona-Patienten derzeit. Im Schnitt. Die schwersten Fälle kratzen an der 100.000-Euro-Grenze. Und da sind noch nicht die Kosten der Folgebehandlungen mit eingerechnet sowie der volkswirtschaftliche Schaden, der durch Arbeitsausfälle und Ressourcenverschiebungen ergibt. Wer sich gegen eine Impfung entscheidet, nimmt bewusst das sehr viel höhere Risiko eines schweren Erkrankungsverlaufs in Kauf und mithin auch die dadurch entstehenden Kosten. Tragen müssen diese Kosten die Versichertengemeinschaft und natürlich zu nicht unerheblichen Teilen die Steuerzahler. Die Freiheit, sich gegen die Impfung zu entscheiden, nimmt man sich gerne – eine möglicherweise daraus resultierende Rechnung reicht man aber weiter.
Das Prinzip, die Folgen des eigenen Handelns auf die Gemeinschaft abzuwälzen, ist freilich nicht nur im Fall der Seuchenprävention üblich. Viele Risikosportarten etwa können betrieben werden, ohne dass das finanzielle Risiko eines möglichen Unfalls auf die Sportlerin zurückfällt. Wer raucht oder sich ernährungstechnisch in hohem Maße ungesund verhält, kann sich dennoch darauf verlassen, dass die Folgekosten seiner COPD, Krebserkrankung und Herz-Kreislauf-Probleme jederzeit von der sogenannten Solidargemeinschaft der Krankenversicherten getragen werden. Und die Schuldenvergemeinschaftung vom kommunalen Finanzausgleich bis zum ESM funktioniert im Grunde genommen auch nach demselben Schema, wenngleich es sich hier nicht um individuelle Entscheidungsträger, sondern institutionelle Akteure handelt.
Der Wohlfahrtsstaat beschäftigt sich nur nebenbei mit Armut
Dass wir mit solchen Problemen konfrontiert sind, liegt wesentlich an der Entwicklung des Wohlfahrtsstaates im Laufe der letzten 150 Jahre. Dabei muss man sich zunächst vergegenwärtigen, dass der Wohlfahrtsstaat nicht das ist, was er vorgibt zu sein. Vor unserem inneren Auge erscheint eine sechsköpfige Familie in einem sozialen Wohnungsbau; eine traurige ältere Frau beim Flaschensammeln; mittelalte Männer an einem Kiosk in einem mecklenburgischen Kleinstädtchen. Dies sind die klassischen Fälle für den Sozialstaat. Es besteht ein ziemlich weitreichender Konsens in unserer Gesellschaft, dass wir (aus pragmatischen wie aus moralischen Gründen) den anderen Menschen in unserem Land gewisse Garantien für ein menschenwürdiges Leben geben möchten. Keiner soll Hunger leiden oder auf der Straße landen müssen. Doch dieser Sozialstaat ist mitnichten der größte Teil des Wohlfahrtsstaates und beansprucht auch bei Weitem nicht die meisten Ressourcen.
Darüber hinaus hat sich gerade in den vergangenen sieben Jahrzehnten bei uns und in der größeren westlichen Welt die Idee durchgesetzt, dass neben den, die Armut gewissermaßen nur verwaltenden, Sozialstaat auch noch ein Befähigungsstaat treten müsse. In dieser Vorstellung hat der Staat auch eine wichtige Rolle bei der Bereitstellung von Ressourcen, um so vielen Menschen wie möglich Wege zur Weiterentwicklung zu eröffnen. Ein zentraler Bestandteil dieses Feldes ist natürlich die Bildungspolitik. Wenig überraschend entdecken Politiker im Befähigungsstaat mancherlei Chancen, sich einzelne Bevölkerungsgruppen gewogen zu machen: Die einen halten die infrastrukturelle Anbindung des ländlichen Raumes für eine zentrale Aufgabe, die anderen zählen gesetzliche Quotenregelungen dazu. Pendlerpauschale, Mütterrente, Inklusionsunterricht, Subventionen der Bio-Landwirtschaft oder wahlweise der Braunkohleförderung … die Liste politischer Maßnahmen, die in den letzten Jahrzehnten eingeführt wurden mit dem Anspruch, damit Menschen Teilhabe zu ermöglichen, lässt sich beliebig fortführen. Aus einer ursprünglich nachvollziehbaren Idee wurde ein sperrangelweit geöffnetes Einfallstor für Sonderinteressen und Stimmenfang.
Haftung und Verantwortung wieder zusammenbringen
Diesem Befähigungsstaat hat sich geradezu organisch ein immer stärker wachsender Versorgungsstaat beigesellt, der die Wandlung von einem an bedürftigen Menschen ausgerichteten Sozialstaat zum die ganze Bevölkerung beglückenden Wohlfahrtsstaat vollendet. Die Leistungen, die dieser Staat zur Verfügung stellt, sind nicht mehr daran ausgerichtet, Not zu lindern oder unverschuldete Nachteile auszugleichen. Sein Zweck besteht nun vorwiegend darin, Unannehmlichkeiten aus dem Weg zu räumen und Bedürfnisse zu befriedigen, insbesondere durch Risikominimierung. Ein Teil der Risiken wird zu diesem Zweck vom Individuum auf eine diffuse Großgemeinschaft abgewälzt. So etwa geschehen in Fortführung und Ausbau des ursprünglich aus der Nachkriegsnot geborenen umlagefinanzierten Rentensystems. Die von den Sozialdemokraten gewünschte Bürgerversicherung wäre auch ein solches Projekt. Die Politik verordnet Vollkasko. Der andere Teil der Risikominimierung, wo es nichts umzuverteilen gibt, erfolgt dann über Regulierung und Gängelung.
Ein erheblicher Teil des Landes ist derzeit genervt bis entrüstet über die Bürde, die massenhafte Impfverweigerung uns auferlegt: von möglichen Lockdowns bis zu überfüllten Krankenhäusern. Das ist doch ein guter Zeitpunkt, um sich grundsätzlichere Gedanken darüber zu machen, wo die Grenzen des Staates sind und wo persönliche Verantwortung zu greifen hat. Es gibt ja zum Glück noch Bereiche, die nicht vom staatlichen Vollkaskozwang gedeckt sind. Wer etwa fahrlässig die Wohnungstür offenlässt, wird von der Versicherung keine Erstattung bekommen. Und wer durch einen Rausch das Unfallrisiko erhöht, muss mit dem Arm des Gesetzes rechnen. Diese Kombination aus Haftung und Verantwortung muss wieder in mehr Bereichen unseres Miteinanders eingeführt werden. Einerseits, weil die anderen Steuerzahlerinnen nicht in Mithaftung genommen werden sollten. Aber andererseits auch, weil so Menschen ihr Handeln stärker reflektieren werden, als wenn immer der Staat wie ein Helikopter-Vater sein weiches Fangnetz aufspannt. Der Wohlfahrtsstaat hat eine zunehmende Infantilisierung zur Folge. Wir müssen wieder für Erwachsenwerden werben.