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Silber für Europa?

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US-Präsident Trump hat mit seinem Wahlkampfslogan "America First!" und seinen holprigen ersten Umsetzungsschritten in aller Welt eine Welle von satirischen Reaktionen ausgelöst, in denen sich einzelne Länder und Regionen als Anwärter auf den zweiten Rang anbieten. Angesichts der nationalistischen Drohungen aus den USA kann sich Europa als Ganzes nicht mit einer "Silbermedaille" zufrieden geben. Was kann die Welt von Europa lernen? Das herausragende Kennzeichen des (regionalen) Globalisierungsmodells der EU ist die schrittweise Errichtung eines Binnenmarktes mit weitgehender Freizügigkeit für Personen, Waren, Dienstleistungen und Finanztransaktionen, ergänzt um die Vergemeinschaftung einzelner wirtschaftspo­litischer Entscheidungsbereiche (insbesondere der Handelspolitik, der Wettbewerbspolitik und grundsätzlich auch der Geldpolitik). In der Euphorie über die Anfangserfolge kam es allerdings zu überschießenden Erwartungen, wie rasch die wirtschaftliche und kulturelle Integration von Ländern mit historisch gewachsenen Unterschieden im Selbstverständnis und teilweise verschiedenen Sprachen zu verwirklichen wäre. Paradebeispiele für solche unerfüllten Erwartungen sind die Währungsunion, die Osterweiterung und die Flüchtlingskrise.

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US-Präsident Trump hat mit seinem Wahlkampfslogan "America First!" und seinen holprigen ersten Umsetzungsschritten in aller Welt eine Welle von satirischen Reaktionen ausgelöst, in denen sich einzelne Länder und Regionen als Anwärter auf den zweiten Rang anbieten. Angesichts der nationalistischen Drohungen aus den USA kann sich Europa als Ganzes nicht mit einer "Silbermedaille" zufrieden geben.

Was kann die Welt von Europa lernen?

Das herausragende Kennzeichen des (regionalen) Globalisierungsmodells der EU ist die schrittweise Errichtung eines Binnenmarktes mit weitgehender Freizügigkeit für Personen, Waren, Dienstleistungen und Finanztransaktionen, ergänzt um die Vergemeinschaftung einzelner wirtschaftspo­litischer Entscheidungsbereiche (insbesondere der Handelspolitik, der Wettbewerbspolitik und grundsätzlich auch der Geldpolitik). In der Euphorie über die Anfangserfolge kam es allerdings zu überschießenden Erwartungen, wie rasch die wirtschaftliche und kulturelle Integration von Ländern mit historisch gewachsenen Unterschieden im Selbstverständnis und teilweise verschiedenen Sprachen zu verwirklichen wäre. Paradebeispiele für solche unerfüllten Erwartungen sind die Währungsunion, die Osterweiterung und die Flüchtlingskrise.

  • Aus Ungeduld über den schleichenden Integrationsprozess wurde nicht die Standardvariante einer Währungsunion (zuerst alle übrigen Integrationsschritte erledigen und zuletzt die Einheitswährung als Krönung) verwirklicht, sondern eine endogene Währungsunion (die vorweg eingeführte Einheitswährung würde schon die Integration insgesamt vorantreiben) angepeilt. Angesichts unzureichender Fortschritte in der wirtschaftlichen und sozialen Konvergenz ist dieser Weg im Ansatz stecken geblieben, und das Festhalten an seinen Zielen erweist sich für alle Mitgliedsländer als äußerst kostspielig.
  • Die aus politischen Gründen forcierte Osterweiterung der EU ist wirtschaftlich erst in Teilen gelungen (mit Bulgarien und Rumänien als eklatanten Nachzüglern) und hat zudem im Hinblick auf die in der EU hochgehaltenen Grundwerte einer liberalen Demokratie herbe Rückschläge erlitten (vgl. Ungarn, Polen).
  • Die Flüchtlings- und Migrationskrise hat in der EU zu verbreiteter Unsicherheit über die wirtschaftliche Zukunft und die Bewahrung der kulturellen Identität geführt. Die Union hat sich als unfähig erwiesen, darauf solidarische Antworten zu finden, und die Diskussion über gemeinschaftliche Lösungen droht fatalerweise bereits erreichte Integrationsschritte in Frage zu stellen.

Solange die nationalen Wirtschaften ausreichend wuchsen, um durch interne Umverteilung alle sozialen Gruppen am Erfolg zu beteiligen, wurden diese Enttäuschungen nur latent wahrgenommen. Erst mit der Finanzkrise von 2008/09 und der darauf folgenden Wachstumsschwäche im Westen hat sich die Unzufriedenheit benachteiligter Gruppen merklich erhöht. Populistische Strömungen nützen dies, um einer neuen Kleinstaaterei verbrämt mit autoritären Führungsmustern das Wort zu reden. Ein Rückfall in einen europäischen Nationalismus würde aber manche der bereits überwunden geglaubten Spannungen zwischen den Ländern wieder aufleben lassen. Die wirtschaftlichen Vorteile des Binnenmarktes würden in einem wiederum zersplitterten Europa verloren gehen, von europäischer Identität wäre keine Rede mehr.

Findet Europa allerdings ein Rezept, die genannten Probleme gemeinschaftlich zu lösen, kann es – nach einer dem Kommissionspräsidenten Juncker zugeschriebenen Äußerung – in der Welt eine wichtige Rolle als "letzte Bastion freiheitlich-demokratischer Werte" einnehmen (Eder, 2017). Die von Donald Trump angestoßene Protektionismuswelle und die Abkehr vom US-Interesse an Stabilität in Europa (mit wohlwollender Unterstützung aus Russland) sollten zur Entwicklung eines neuen europäischen Selbstbewusstseins genützt werden. Charakteristisch hierfür wären das Festhalten an den Grundsätzen eines freien Welthandels, die Vertiefung der ökosozialen Marktwirtschaft, die Wiederherstellung von Zukunftsperspektiven für benachteiligte Gruppen, eine solidarische Vorgangsweise in der Flüchtlingsfrage, ein gemeinschaftliches Verständnis über die Kanalisierung der Wirtschaftsmigration sowie eine Vernetzung und Stärkung der externen und internen Sicherheitseinrichtungen. Bei den Brexit-Verhandlungen könnte Einigkeit der verbleibenden Mitgliedstaaten demonstriert werden, dennoch sollte – auch zum Vorteil der Rest-EU – mit Großbritannien ein faires Wirtschaftsabkommen angepeilt werden.

Es erscheint paradox, dass die gegenwärtige Antiglobalisierungswelle von Kritikern der Verteilungsfolgen getragen wird, da sich die Globalisierung doch als einer der wichtigsten Kanäle herausgestellt hat, über den es (langfristig) zu einer Annäherung der Lebensbedingungen in der Welt gekommen ist. Je mehr die heute armen Weltregionen im Rahmen ihrer Wertvorstellungen die technologische Entwicklung nützen können, umso eher wird der Druck von alternativen Ventilen für den globalen Einkommensausgleich genommen werden. Denn sowohl die armen als auch die reichen Regionen wären Verlierer von ausgedehnter Wirtschaftsmigration (Destabilisierung der Sozialsysteme auf der einen und Brain Drain auf der anderen Seite) oder gar von kriegerischen Verteilungskämpfen und den folgenden Flüchtlingsströmen.

Wie kann Europa der Globalisierungskrise begegnen?

Angesichts der genannten Erfolge der Globalisierung europäischer Prägung wäre es kontraproduktiv, ihre unerwünschten Folgen mit einer generellen Rücknahme von Integrationsschritten kurieren zu wollen. Als Antithese zur gegenwärtigen US-Administration mit ihren Elementen einer "illiberalen Demokratie" muss Europa eine vorwärts gerichtete Anpassungsstrategie entwickeln, die das im Grunde bewährte System mit den geänderten Voraussetzungen in Einklang bringt:

  • Die Integration muss unverzüglich in jenen Bereichen vertieft werden, in denen die einzelnen Mitgliedstaaten ohnehin nicht wirksam agieren können, also etwa in Fragen der internationalen Migration und des Klimaschutzes. Die verbreitete Frustration über "die EU" rührt ja auch daher, dass einzelne Mitgliedstaaten oft aus innenpolitischen Interessen unionsweite Aufgaben torpedieren.
  • Wo die Integration die Mitgliedstaaten schon bisher überfordert hat, empfiehlt es sich, das Integrationstempo wenigstens temporär zu verlangsamen oder auszusetzen. Dieses Modell wird ohnehin bereits bei der schrittweisen Verwirklichung der Währungsunion und bei der flexiblen Anwendung des Schengen-Abkommens angewendet. Es könnte zur Erleichterung der Krisenbewältigung etwa auch jenen Mitgliedern der Eurozone unter Auflagen zu Gute kommen, in welchen die Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspaktes innenpolitische Umstürze auslösen würden. Die in Euro-Krisenländern unumgängliche "interne Abwertung", die erfahrungsgemäß einer sehr langen Anlaufzeit bedarf, muss durch auflagengebundene langfristige Moratorien unterstützt werden.
  • Die EU benötigt eine neue langfristige Vision, die – in Fortsetzung des ursprünglichen Friedensprojektes – eine umfassende Mitgliedschaft ermöglicht. Sie muss daher sowohl jenen Mitgliedstaaten gerecht werden, die eine vertiefte Integration bis hin zum europäischen Bundesstaat anstreben, als auch jenen, die nur einen losen Staatenbund eingehen wollen. Dies läuft – wie jüngst auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel propagiert (siehe FAZ vom 3.2.2017) – auf ein Modell von wenigsten "zwei Geschwindigkeiten" hinaus: einer "Kern-EU" mit homogenen Mitgliedstaaten, die die Voraussetzungen einer optimalen Währungszone erfüllen, und einer "Umgebungs-EU", deren Mitglieder jedenfalls durch die Regeln des Binnenmarktes verbunden sind.
  • Kurz- bis mittelfristig sind flankierende Maßnahmen auf nationaler und EU-weiter Ebene in jenen Bereichen zu setzen, in denen die Globalisierung zu einer systematischen Benachteiligung einzelner Bevölkerungsgruppen geführt hat, und zwar sowohl wirtschaftlichen als auch im Hinblick auf kulturelle oder geografische Identitäten.

Solche flankierenden Maßnahmen müssten sich auf die umfassenden Zielsetzungen besinnen, die schon früher mit den Lissabon-Zielen und mit Europa 2020 formuliert worden sind, wobei man gerne auf den ursprünglichen Fokus, möglichst bald die USA einzuholen, verzichten könnte. Es bedürfte nur der Umsetzung der Ziele durch eine Reihe von Maßnahmen, die aus ökonomischer Sicht jedenfalls die folgenden Bereiche zu enthalten hätten:

  • Weitere Verringerung der Armutsschwelle: Die Zielsetzung von Europe 2020, die Zahl der von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohten Personen um 20 Millionen zu senken, ist bei weitem nicht erreicht und ist in den letzten Jahren sogar rückläufig gewesen (Eurostat, 2017).
  • Migration vs. Flüchtlingsströme: Unabhängig von den kriegsbedingten Flüchtlingsströmen hat die Globalisierung (insbesondere über technologische Neuerungen) dazu beigetragen, dass die (Wirtschafts-) Migration aus armen Ländern in die reiche EU angeschwollen ist. Langfristig trägt diese zwar zum (erwünschten) globalen Einkommensausgleich bei, kurzfristig bedeutet sie aber für die Herkunftsländer einen unerwünschten Kompetenzverlust und für die Zielländer eine enorme Herausforderung für die Integrationspolitik. Für eine gewisse Entspannung könnte die Unterscheidung zwischen legaler und illegaler Immigration sorgen, wenn gleichzeitig die Möglichkeiten für legale Migration vereinfacht und transparenter gestaltet werden. Letztlich geht es um das Ersetzen von Migration aus den Herkunftsländern durch Kapitalexporte dorthin, wobei allerdings die Möglichkeiten und Wirkungen von Maßnahmen in diesen Ländern noch völlig offen sind: Wie sehr können Sach- und Bildungsinvestitionen aus der EU die Migration eindämmen? Wie kann vermieden werden, dass solche Hilfsmaßnahmen als neuer Kolonialismus missverstanden werden?
  • Jedenfalls bedarf es auch in den EU-Ländern zusätzlicher Bildungsanstrengungen auf allen Ebenen (einschließlich Vorschulalter), um die Chancengleichheit zu unterstützen und die Qualität bis hin zur akademischen Bildung und Forschung anzuheben. Die Integration von perspektivlosen Jugendlichen, insbesondere die gezielte Ausbildung von Flüchtlings- und Migrantenkindern, soll verhindern, dass die Zahl der jungen Menschen, die sich als "verlorene Generation" empfinden, weiter steigt.
  • Defizite in der Regulierung der Finanzmärkte tragen offensichtlich zur Krisenanfälligkeit der Weltwirtschaft bei. Um diesen Mangel zu beheben, hat die EU mit dem Einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM), dem Einheitlichen Abwicklungsmechanismus (SRM) und dem harmonisierte Einlagensicherungssystem (DGS) die Rechtsbasis für eine Bankenunion geschaffen. Die Bail-in-Regeln des SRM stellen im Krisenfall sicher, dass Bankenverluste nicht von der Allgemeinheit, sondern von den Anteilseignern und den Gläubigern getragen werden (Navaretti et al., 2016).
  • Weiterhin äußerst kontrovers ist der Gedanke, Elemente der Fiskalpolitik und der Finanzierung öffentlicher Schulden, die bisher in die Kompetenz der Mitgliedstaaten fällt, auf die Gemeinschaftsebene zu heben. Zwar käme eine Fiskalunion mit neuen Budgetregeln und unionsweiten automatischen Stabilisatoren (etwa gefordert von Stiglitz, 2016, ch.9) einer solidarischen Stabilisierung der Arbeitsmärkte zugute, doch ist eine solche Entwicklung angesichts der erwähnten Überforderung mancher Mitgliedstaaten mit den bisherigen Integrationsschritten derzeit keine politische Option.
  • Einen wesentlichen Beitrag zum Zusammenhalt der Europäischen Union könnte eine Ausweitung der eigenen Steuereinnahmen bringen. Dies würde die nationalen Budget von direkten Beiträgen zum EU-Budget entlasten und der EU mehr Spielraum für eigene Ausgabenprogramme verleihen. Als Beispiel wird oft eine allgemeine Finanztransaktionssteuer ins Spiel gebracht, für die sich derzeit allerdings nur eine Minderheit der Mitgliedstaaten begeistern kann.
  • Um die reale Konvergenz zwischen den Mitgliedstaaten zu unterstützen, müssten Investitionen, die von einer neu kapitalisierten Europäischen Investitionsbank (EIB) mitfinanziert werden, zu einem Ausgleich von Produktivitätsunterschieden beitragen.
  • Die EU wirkt an globalen Lösungen von Umweltproblemen mit, wie sie zuletzt im Pariser Klimaschutz-Abkommen vom Dezember 2015 vereinbart wurden. Als Leitfaden dient der EU derzeit das 7. Umweltaktionsprogramm, das bis 2020 umzusetzen ist und einen Fokus bis zum Jahr 2050 bietet. Bis dahin soll die maximale Klimaerwärmung auf 2°C beschränkt und der Ausstoß von Treibhausgasen um 80-95% reduziert werden. Der von Präsident Trump angekündigte Ausstieg der USA aus dem bereits ratifizierten Pariser Abkommen sollte die EU nicht hindern, den bisher eingeschlagenen Weg fortsetzen und damit auch seine weltweit führende Rolle in der Entwicklung von Umwelttechnologien ausbauen.
  • Die von den USA losgetretene Protektionismuswelle ist aus europäischer Sicht nur zu bedauern. Die neue amerikanische Handelspolitik kann aber durchaus als Chance genutzt werden, die traditionell sehr einseitigen transatlantischen Beziehungen der meisten EU-Staaten zu ergänzen und den vernachlässigten Beziehungen zu China und den ASEAN-Länder mehr Gewicht zu verleihen. WTO-widrige US-Maßnahmen sollten allenfalls punktuell erwidert werden, um den multilateralen Freihandel nicht durch ungezielte Retorsionen weiter zu beschädigen.

Die hier angedeuteten Handlungsfelder sind bei weitem kein vollständiges Konzept für die künftige Behauptung der europäischen Idee in einem zunehmend von illiberalen Strömungen beeinflussten Umfeld – also um das Erringen der Goldmedaille vor den USA. Es handelt sich um einige wichtige Bereiche, die jedenfalls zu beachten sind, will Europa sein bewährtes Wirtschafts- und Sozialmodell auch in Zukunft bewahren und weiterentwickeln können.

Eder, Florian (2017), "Morgen Europa[ a ]", POLITICO, 23. Jänner.

Eurostat (2017), "Europa 2020 im Überblick[ b ]", abgerufen am 12.2.2017.

Navaretti, Giorgio Barba, Giacomo Calzolari, Alberto Pozzolo (2016), "Bail-in: Limits and work in progress[ c ]", VoxEU.org, 12 December.

Stiglitz, Joseph E. (2016), "The euro and its threat to the future of Europe", Penguin Random House, Allen Lane.

©KOF ETH Zürich, 20. Feb. 2017

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