Deutsche Universitäten stehen in internationalen Vergleichen gut, aber nicht sehr gut da. Müsste man nicht alles daran setzen, ein deutsches Harvard zu kreieren? In der jüngsten Ausgabe des Times Higher Education Ranking schaffen es neun deutsche Universitäten unter die ersten hundert Hochschulen weltweit. Ein durchaus achtbares Ergebnis, das von einer deutlichen Verbesserung zeugt, während andere Länder (wie Frankreich oder Italien) an Boden verloren haben. Gelobt werden in dem Begleittext zu dem Ranking die Investitionen im Rahmen der Exzellenzinitiative, die sich auch in der verbesserten Forschungsreputation deutscher Universitäten niederschlagen würden. Allerdings ist anzumerken, dass es keine deutsche Universität unter die ersten fünfundzwanzig Hochschulen weltweit schafft, was angesichts der großen Forschungstradition und der ökonomischen Bedeutung Deutschlands kaum befriedigen kann. Felix Weinhardt hat dies in einem jüngst erschienen Beitrag folgendermaßen kommentiert: "Wir spielen nur die zweite Geige – und keiner regt sich auf (Weinhardt 2016: S. 976)." Aber braucht ein Land wie Deutschland überhaupt eigene universitäre Spitzenforschung, oder wäre es nicht effizienter, sich an die Forschungsleistungen anderer (insbesondere der USA) anzuhängen? Dieser Frage wird in dem vorliegenden Beitrag nachgegangen.
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Deutsche Universitäten stehen in internationalen Vergleichen gut, aber nicht sehr gut da. Müsste man nicht alles daran setzen, ein deutsches Harvard zu kreieren?
In der jüngsten Ausgabe des Times Higher Education Ranking schaffen es neun deutsche Universitäten unter die ersten hundert Hochschulen weltweit. Ein durchaus achtbares Ergebnis, das von einer deutlichen Verbesserung zeugt, während andere Länder (wie Frankreich oder Italien) an Boden verloren haben. Gelobt werden in dem Begleittext zu dem Ranking die Investitionen im Rahmen der Exzellenzinitiative, die sich auch in der verbesserten Forschungsreputation deutscher Universitäten niederschlagen würden. Allerdings ist anzumerken, dass es keine deutsche Universität unter die ersten fünfundzwanzig Hochschulen weltweit schafft, was angesichts der großen Forschungstradition und der ökonomischen Bedeutung Deutschlands kaum befriedigen kann. Felix Weinhardt hat dies in einem jüngst erschienen Beitrag folgendermaßen kommentiert: “Wir spielen nur die zweite Geige – und keiner regt sich auf (Weinhardt 2016: S. 976).” Aber braucht ein Land wie Deutschland überhaupt eigene universitäre Spitzenforschung, oder wäre es nicht effizienter, sich an die Forschungsleistungen anderer (insbesondere der USA) anzuhängen? Dieser Frage wird in dem vorliegenden Beitrag nachgegangen.
Warum nicht Trittbrett fahren?
Aktuell beobachten wir im Bereich der Wissenschaften, wie in allen anderen Bereichen auch, eine Zunahme des internationalen Wettbewerbs. Universitäten konkurrieren weltweit um die besten Köpfe, um im Wettbewerb um die besten Forschungsleistungen zu bestehen. Natürlich haben die forschungsstärksten Universitäten hierbei einen Vorteil, der nur schwer aufzuholen ist. Dem komparativen Nachteil deutscher Universitäten im Bereich der Spitzenforschung steht jedoch ein komparativer Vorteil in der Leistungsfähigkeit der durchschnittlichen Universität gegenüber. Das gilt sowohl für deren Forschungsleistung als auch für die Qualität der Lehre, jedenfalls im Vergleich zu den USA. Wäre es vor diesem Hintergrund überhaupt sinnvoll, in den offensichtlichen komparativen Nachteil bei der Spitzenforschung zu investieren? Wäre es nicht sinnvoller, sich auf angewandte Forschung und Ausbildung zu konzentrieren? Da Forschungsergebnisse ohnehin publiziert werden, könnte man so nicht von den v.a. in den USA generierten Ergebnissen der Grundlagenforschung profitieren, indem man sie in exzellenter angewandter Forschung nutzt, um neue weltmarktfähige Produkte zu entwickeln?
Tatsächlich bietet Forschung vielfältige Möglichkeiten, Trittbrett zu fahren. Mit ihrer Publikation werden Forschungsergebnisse – insbesondere solche im Bereich der Grundlagenforschung – öffentlich bereitgestellt und sind weltweit nutzbar. Das ist gerade die Begründung für die öffentliche Finanzierung von Grundlagenforschung. Radikal neuartige Forschungsergebnisse sind die Grundlage für radikal neuartige Güter und Dienstleistungen. Der Innovationsprozess von Grundlagenforschung über angewandte Forschung und Entwicklung bis zur Markteinführung neuer Produkte ist allerdings recht langwierig, und risikobehaftet, wobei sich die ökonomischen Gewinne – wenn überhaupt – erst am Ende dieses Prozesses realisieren lassen. Würde man die eigenen Investitionen in teure und hinsichtlich ihres Ertrages unsichere Grundlagenforschung unterlassen, würden Mittel frei, um stärker in anwendungsorientierte Forschung zu investieren. So könnte man die Erträge ausländischer Forschungsinvestitionen abschöpfen, ohne an Innovationskraft zu verlieren.
Dies klingt zunächst nach einer durchaus verlockenden Strategie, die aber für eine innovationsbasierte Volkswirtschaft wie die deutsche kaum aufgehen dürfte. Sich auf anwendungsorientierte Forschung zu beschränken, würde kaum ausreichen, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu behaupten. Grundlagenforschung verschiebt beständig die Grenze des bekannten Wissens. Wer frühzeitig die Anwendungspotentiale neuartigen Wissens erkennt, und wem es auch noch gelingt, diese Potentiale durch die Entwicklung von neuartigen Gütern und Dienstleistungen zu realisieren, hat bessere Chancen im internationalen Wettbewerb. Spitzenforschung zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie radikal neuartige Erkenntnisse gewinnt. Wer selbst keine ausreichende Forschungserfahrung besitzt, dem wird es schwer fallen, die Bedeutung neuartiger Forschungsergebnisse vollständig zu erfassen, den Weg ihrer Gewinnung nachzuvollziehen und diese produktiv weiterzuentwickeln. Ohne ausreichende eigene Forschungserfahrung dürfte es daher schwer fallen, allein durch angewandte Forschung fremde Ergebnisse in Innovationen umzusetzen. Es dürfte häufig nicht einmal gelingen, die Ergebnisse zu replizieren, wenn nicht-kodifizierbares Wissen beispielsweise über Versuchsaufbauten und Methodik fehlt. Es scheint schlichtweg unmöglich, von den weltweit generierten Ergebnissen der Spitzenforschung zu profitieren, ohne eigene Grundlagenforschung an der Grenze des bekannten Wissens zu betreiben. Auch wenn deutsche Universitäten nicht in der Lage sind, die Spitzenpositionen internationaler Forschungsrankings zu stürmen, darf man deshalb doch davon ausgehen, dass sich Investition in Spitzenforschung lohnt: als Investition in die absorptive Kapazität der Volkswirtschaft und damit in die Innovationsfähigkeit des Standortes.
Bleibt die Frage, wie sich deutsche Universitäten im internationalen Wettbewerb positionieren sollten, um weiterhin die wichtigste Ressource für den Innovationsprozess bereitstellen zu können: neues Wissen. Da die eigene Ressourcenausstattung häufig unzureichend ist, um Spitzenforschung auf Weltniveau zu betrieben, kann die Lösung nur in einer Intensivierung der internationalen Kooperationen, beispielsweise mit den USA, liegen. Auch in solche Kooperationen muss man aber zunächst investieren, insbesondere muss man dem Kooperationspartner etwas anzubieten haben. Hierbei geht es gar nicht so sehr um umfangreiche Projektmittel, die ja ohnehin häufig schon beim Partner vorhanden sind. Vielmehr geht es um das Bereitstellen zeitgemäßer Forschungsinfrastruktur – und der zugehörigen Rahmenbedingungen. Bürokratischer Aufwand, starre Regeln, und angestaubte Organisationsstrukturen wirken abschreckend auf internationale Partner und erschweren wissenschaftliches Arbeiten. Vor allem aber fällt der Austausch von Forschungspersonal meist recht einseitig aus, da die Karrieremöglichkeiten in Deutschland eher überschaubar und wenig flexibel sind. Strukturelle Reformen in diesen Bereichen würden mehr für die Zukunft des Forschungs- und Wissenschaftsstandortes tun, als großzügige Investitionen in einzelne Forschungsprojekte. Um sich ökonomisch zu verzinsen sollten solche Reformen begleitet werden von Maßnahmen zur Verbesserung des Wissenstransfers von Grundlagenforschung über angewandte Forschung und Entwicklung hin zur Innovation durch privatwirtschaftliche Unternehmen.
Brauchen wir ein deutsches Harvard?
An der Spitze internationaler Forschungsrankings finden sich, wie eingangs erwähnt, überwiegend amerikanische Universitäten. Sie generieren nicht nur qualitativ den meisten Output, sondern ziehen auch den meisten Input an: Sowohl in Form von Forschungsgeldern als auch in Form akademischen Talents. Da Forschung die Grundlage von Innovation ist, und da Hochlohnländer nur dann im globalen Wettbewerb bestehen können, wenn sie innovieren, spräche manches dafür, Ressourcen zu bündeln und zumindest einzelne deutsche Hochschulen wettbewerbsfähig mit den amerikanischen Spitzenuniversitäten zu machen. Das spräche für sehr massive Investitionen an einigen ausgewählten Hochschulen, allein, um die Lücke in den Forschungsbudgets zwischen beispielsweise der LMU, der besten deutschen Universität im Times Higher Education Ranking, und den ebenda aktuell zehntplatzierten Hochschulen (UC Berkeley und University of Chicago) zu schließen. Selbst wenn wir ein deutsches Harvard bräuchten, wäre vor diesem Hintergrund wohl kaum jemand bereit, es zu finanzieren. Selbst wenn es, wie in den USA, gelänge, private Investoren in sehr viel stärkerem Maße in die Investition universitärer Forschung einzubinden, ist es schlichtweg unrealistisch, auch nur eine einzige deutsche Universität mit nur annähernd denselben Ressourcen auszustatten, über die eine amerikanische Ivy-League Universität verfügt.
Natürlich greift ein Vergleich der deutschen und amerikanischen Spitzenuniversitäten ohnehin zu kurz. Vergliche man die durchschnittlichen Universitäten, sähe das Bild ganz anderes aus. Das amerikanische Hochschulsystem zeichnet sich hinsichtlich der Forschung- und Lehrqualität durch eine sehr viel höhere Varianz als das deutsche Hochschulsystem aus. Während in Deutschland an nahezu allen Universitäten nach wie vor viel Wert auf die Einheit von Forschung und Lehre gelegt wird, findet sich diese in den USA nur an den besseren Hochschulen. In den USA findet aber nicht nur eine vertikale Differenzierung zwischen Forschungs- und Lehruniversitäten statt, auch innerhalb der Lehruniversitäten gibt es gewaltige Qualitätsunterschiede. Anders als im deutschen Hochschulsystem kann von einer Vergleichbarkeit der Abschlüsse kaum gesprochen werden. Die Unterschiede in den Bildungssystemen spiegeln unterschiedliche föderale Traditionen wieder, aber auch unterschiedliche Kulturen im Umgang mit Ungleichheit und Chancengerechtigkeit, so dass eine Konzentration auf diejenigen Universitäten am “oberen” Ende der Verteilung leicht zu Fehlurteilen verleitet. Zu einem gewissen Grade ist Harvard deshalb so erfolgreich, weil viele andere Colleges so schlecht sind. Offenbar gibt es einen Trade-off zwischen der Forschungsstärke der besten Universität und der Forschungsstärke der durchschnittlichen Universität. Es ist daher schwer vorstellbar, ein “deutsches Harvard” ohne substantielle Systemanpassungen und ohne gravierende Kosten für die anderen deutschen Universitäten aufzubauen.
Fazit
Wissenschaftliche Erkenntnisse haben einen Eigenwert, der nicht begründungsbedürftig ist. Aber auch aus volkswirtschaftlicher Sicht spricht viel dafür, eigene Spitzenforschung am eigenen Standort zu betreiben. Zum einen erhöht universitäre Spitzenforschung das Renommee und die absorptive Kapazität des Innovationsstandortes Deutschland. Zum anderen ermöglicht universitäre Forschung den Spillover von Wissen aus dem universitären in den privatwirtschaftlichen Bereich und trägt damit zur Innovations- und Wachstumsdynamik im privaten Wirtschafssektor bei, so dass sich öffentlich geförderte Spitzenforschung nicht nur, aber auch am Standort Deutschland verzinst.
Forschungsförderung als Teil der Innovationsförderung braucht allerdings einen langen Atem, liegt doch zwischen Grundlagenforschung und daraus entstehenden Innovationen oft eine Zeitspanne von mehreren Jahrzehnten. Mit der Exzellenzinitiative haben Bund und Länder ein Förderinstrument geschaffen, das darauf abzielt, universitäre Spitzenforschung am Standort Deutschland zu fördern und eine bessere Profilbildung deutscher Hochschulen zu ermöglichen. Es spricht vieles dafür, dass die Exzellenzinitiative an den richtigen Hebeln ansetzt, denn jüngere Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass eine effektive Förderung von Spitzenforschung am besten funktioniert, wenn Universitäten über Freiheitsgrade in der Ressourcenplanung verfügen und wettbewerbliche Anreize vorhanden sind (Aghion et al. 2009). Der Beschluss der Bundesregierung und der Regierungen der Länder, die Exzellenzinitiative zu reformieren und als “Exzellenzstrategie” nunmehr unbefristet fortzuführen, ist daher zu begrüßen, auch wenn man sich in einigen Detailfragen der Reform andere Lösungen als die jetzt beschlossenen hätte vorstellen können (siehe Bickenbach et al. 2016: S. 18 ff.). Allerdings ist die Exzellenzinitiative von ihrem Gesamtvolumen her zu klein und in ihren strukturellen Wirkungsmöglichkeiten zu sehr beschränkt, um deutsche Universitäten in die Spitzengruppe der weltbesten Forschungseinrichtungen zu tragen. Sie kann kein Ersatz sein für die notwendige Verbesserung der Grundausstattung der Universitäten und eine Modernisierung der Hochschulgesetze des Bundes und der Länder. Ein deutsches Harvard wird es daher auf absehbare Zeit nicht geben.
Literatur
Aghion, P., Dewatripont, M, Hoxby, C., Mas-Colell, A., Sapir, A. (2009). The Governance and Performance of Research Universities: Evidence from Europe and the U.S. NBER Working Paper 14851. Boston, MA.
Bickenbach, F., Dohse, D. Gold, R Liu, W. (2016). Wirtschaftliche Bedeutung universitärer Spitzenforschung. Herausgegeben von der Konrad-Adenauer-Stiftung. Sankt Augustin/Berlin 2016.
Weinhardt, F. (2016). Wir spielen nur die zweite Geige – und keiner regt sich auf. In: DIW Wochenbericht Nr. 40/2016 vom 06.10.2016: S. 976.
©KOF ETH Zürich, 14. Nov. 2016