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China: Konsumverzicht für den Wohnungskauf

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Die rasant wachsende Mittelschicht in China konsumiert immer mehr und immer hochwertigere Produkte. Doch Vorrang hat der Kauf einer Eigentumswohnung, und diesem Ziel wird fast alles untergeordnet. Brücke in Songjiang. Der Stadtteil Songjiang im Südwesten von Schanghai ist eine unter jungen Eltern mit Kindern sehr beliebte Wohngegend. Bild: Elisabeth Tester Meine chinesische Freundin Jing ist 34 Jahre alt. Sie lebt in Schanghai, ist verheiratet, erwartet ein Kind und arbeitet in der Kommunikationsabteilung einer Grossbank. Ihr 35-jähriger Mann Kang, ebenfalls Absolvent einer guten chinesischen Universität, ist selbstständiger Programmierer. Aber er ist für diesen Bericht nicht wirklich relevant, da Jing – wie so viele andere chinesische Ehefrauen – sämtliche Entscheidungen trifft, für welche grösseren Anschaffungen das gemeinsam verdiente Geld ausgegeben wird. Jing besitzt ein paar Luxussymbole wie eine Handtasche von Louis Vuitton, ein MacBook Air und einige wenige teure Kleidungsstücke. Das junge Ehepaar fährt ein chinesisches Hybridauto und unternimmt jedes Jahr zwei Reisen in China und ins nahe Ausland. Sie wohnen in einer kleinen aber gut ausgestatteten Vierzimmerwohnung in Songjiang University Town, einer schönen Gegend von Shanghai, wo es viele Grünflächen, gute Schulen, trendige Restaurants und Bioläden gibt.

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Die rasant wachsende Mittelschicht in China konsumiert immer mehr und immer hochwertigere Produkte. Doch Vorrang hat der Kauf einer Eigentumswohnung, und diesem Ziel wird fast alles untergeordnet.

China: Konsumverzicht für den Wohnungskauf

Brücke in Songjiang. Der Stadtteil Songjiang im Südwesten von Schanghai ist eine unter jungen Eltern mit Kindern sehr beliebte Wohngegend. Bild: Elisabeth Tester

Meine chinesische Freundin Jing ist 34 Jahre alt. Sie lebt in Schanghai, ist verheiratet, erwartet ein Kind und arbeitet in der Kommunikationsabteilung einer Grossbank. Ihr 35-jähriger Mann Kang, ebenfalls Absolvent einer guten chinesischen Universität, ist selbstständiger Programmierer. Aber er ist für diesen Bericht nicht wirklich relevant, da Jing – wie so viele andere chinesische Ehefrauen – sämtliche Entscheidungen trifft, für welche grösseren Anschaffungen das gemeinsam verdiente Geld ausgegeben wird.

Jing besitzt ein paar Luxussymbole wie eine Handtasche von Louis Vuitton, ein MacBook Air und einige wenige teure Kleidungsstücke. Das junge Ehepaar fährt ein chinesisches Hybridauto und unternimmt jedes Jahr zwei Reisen in China und ins nahe Ausland. Sie wohnen in einer kleinen aber gut ausgestatteten Vierzimmerwohnung in Songjiang University Town, einer schönen Gegend von Shanghai, wo es viele Grünflächen, gute Schulen, trendige Restaurants und Bioläden gibt. Auch wenn Songjiang etwa vierzig Metrominuten ausserhalb des Zentrums von Shanghai liegt, ist die Gegend gerade bei jungen Ehepaaren mit Kindern sehr beliebt.

Sicherheitsbedürfnis und lukrative Investition

Von einer gleichaltrigen Schweizerin unterscheidet sich Jing soweit also kaum – wenn das Thema Wohnung nicht wäre. Denn auf der Eigentumswohnung lastet keine Hypothek, sie ist vollständig abbezahlt. Und das, obwohl weder Jing noch ihr Mann finanzielle Unterstützung von den Eltern erhielten. Wie ist das möglich?

  • Zuerst muss die Bedeutung von Wohneigentum in China verstanden werden. Ein paar Fakten:
  • Wohneigentum ist in China die bei weitem wichtigste Anlageklasse.
  • Drei Viertel der gesamten Vermögenswerte chinesischer Haushalte sind in Immobilien investiert.
  • 80 Prozent der Chinesen besitzen die Wohnung, in der sie leben.
  • Viele Chinesen bringen beim Erstwohnungskauf nicht nur die gesetzlich geforderten Eigenmittel von 25 bis 30 Prozent auf, sondern bezahlen gleich den ganzen Betrag mit Eigenmitteln.
  • Weniger als 40 Prozent der Wohnungseigentümer haben überhaupt eine Hypothek.

Traditionell sparen chinesische Haushalte sehr viel. Einerseits möchten sie dadurch Unwägbarkeiten der Zukunft abfedern, wie zum Beispiel das subjektiv als am gefährlichsten wahrgenommene Risiko eines schweren Krankheitsfalls in der Familie. Anderseits wird dem Ziel, Wohneigentum zu besitzen, fast alles andere untergeordnet. Wohneigentum deckt in China ein sehr grosses Sicherheitsbedürfnis ab. Wer die Wohnung besitzt, in der er lebt, wird nicht kurzfristig vom Vermieter vor die Türe gestellt (der Mieterschutz in China ist sehr rudimentär). Er kann die Eltern, die meist im gleichen Haushalt leben, vor unangenehmen und mit hohen finanziellen und sozialen Kosten verbundenen Umzügen bewahren. Und, wahrscheinlich am wichtigsten, er muss nicht in Kauf nehmen, wegen eines Wohnungswechsels die Kinder an eine andere, vielleicht schlechtere, Schule schicken zu müssen.

Zudem verstehen Chinesen den Immobilienmarkt sehr gut, dies im Gegensatz zu Investitionen an den Finanzmärkten. Da Immobilien die mit Abstand wichtigste Anlageklasse der privaten Haushalte in China sind, wird ihre Wertigkeit von den Eigentümern sehr klar wahrgenommen. Bauten gewisser renommierter Immobilienentwickler werden bevorzugt. Hohe Preissteigerungen haben in den letzten Jahren die Attraktivität von Immobilienanlagen zusätzlich gesteigert, vor allem in Städten wie Peking, Shenzhen oder Shanghai. Fast alle jungen Ehepaare in China unternehmen also zum Teil enorme Sparanstrengungen, um sich so bald wie möglich eine Wohnung kaufen zu können.

Selektiver und restriktiver Konsum

Doch wie läuft das konkret ab? Jing und ihr Ehemann haben nach Studienabschluss beide von ihrer guten Ausbildung profitieren können. Bereits im Alter von 24 Jahren haben sie zusammen ein Einkommen von 240 000 Yuan pro Jahr verdient, was etwa 35 000 Franken entsprach. Nach Abzug von Steuern (15%), Miete (60 000 Yuan) und den Ausgaben für das tägliche Leben (72 000 Yuan), konnten sie schon damals 72 000 Yuan pro Jahr sparen. Durch rigorosen Konsumverzicht gelang es ihnen, einen Drittel des Bruttoeinkommens auf die Seite zu legen, obschon ihr Einkommen nicht hoch war. Dieses Geld verzinste ihre Bank mit 3% p.a.

Ihr gemeinsames Einkommen stieg – im Gleichschritt mit den normalen jährlichen Lohnerhöhungen in Shanghai – jedes Jahr um 10 Prozent. Multipliziert wurde dieser Effekt durch Beförderungen und zwei Stellenwechsel, die das Einkommen jeweils schlagartig um 50 Prozent erhöhten. Vor drei Jahren – also nach siebenjähriger Arbeitstätigkeit – verdienten sie zusammen bereits mehr als 800 000 Yuan (115 000 Franken). Da ihre Ausgaben sich über diese Zeit aber nur um etwa 50 Prozent erhöhten – und nicht wie das Einkommen mehr als verdreifachten – haben Jing und Kang ein Vermögen in der Höhe von 1,3 Millionen Yuan akkumulieren können. Der Kauf ihrer Eigentumswohnung, die 2,8 Millionen Yuan (400 000 Franken) kostete, war also problemlos möglich. Anfang dieses Jahres konnten sie ihre Wohnung vollständig abbezahlen.

Jing freut sich: «Seit dem Kauf vor drei Jahren hat sich der Wert unserer Wohnung schon deutlich erhöht.» Doch die letzten Jahre waren auch hart. «Wir sind praktisch nie ausgegangen, um Essensgeld zu sparen. Ich habe nach der Arbeit nie ein Taxi nach Hause genommen, auch wenn die Metrofahrt um ein Vielfaches mehr Zeit brauchte, da das Taxi  20 Yuan teurer gewesen wäre. Kleider kaufte ich nur online zu reduzierten Preisen und Esswaren auf dem lokalen Wochenmarkt.»

Doch jetzt, wo das grosse Ziel der Eigentumswohnung erreicht ist – und somit das erste Sicherheitsbedürfnis gedeckt –, will auch Jing mehr konsumieren. Sie hat sich soeben das erwähnte MacBook Air gekauft, geht regelmässig ins Kino und leistet sich jede Woche ein schönes Essen im Restaurant. Selbstverständlich überlegt sie auch schon, in zwei drei Jahren eine grössere Wohnung zu kaufen.  

Und ich freue mich sehr, dass sie und ihre Familie für den Sommer 2018 eine Ferienreise in die Schweiz planen.  

( 7 Yuan = 1 Franken)

 

Elisabeth Tester,
Ökonomin, Journalistin
Ehem. Chinakorrespondentin von «Finanz und Wirtschaft», Wirtschaftspublizistin «From facts to stories», lebt in Schanghai und Zürich. Spezialistin China, makroökonomische Themen und Rohstoffe.

Dies ist ein Gastbeitrag. Inhaltlich verantwortlich ist der jeweilige Autor, die jeweilige Autorin.

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