Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues, und Justus Lenz, Leiter Haushaltspolitik bei Die Familienunternehmer/Die Jungen Unternehmer. Der Staat sollte ausschließlich die Umsetzung solcher Regeln in Betracht ziehen, die sich per se positiv auswirken, indem sie unerwünschtes Verhalten unterdrücken, wünschenswertes Verhalten befördern und zusätzliche Kooperationsmöglichkeiten schaffen. Bürokratie: Notwendig, aber ein Übel Die Bürokratie hat keinen guten Ruf – lange Warteschlangen beim Bürgeramt, komplizierte Formulare sowie langwierige Genehmigungsverfahren sind (un-)beliebte Themen für den Smalltalk. Auch fehlt in keiner politischen Sommerrede der Hinweis
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Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues, und Justus Lenz, Leiter Haushaltspolitik bei Die Familienunternehmer/Die Jungen Unternehmer.
Der Staat sollte ausschließlich die Umsetzung solcher Regeln in Betracht ziehen, die sich per se positiv auswirken, indem sie unerwünschtes Verhalten unterdrücken, wünschenswertes Verhalten befördern und zusätzliche Kooperationsmöglichkeiten schaffen.
Bürokratie: Notwendig, aber ein Übel
Die Bürokratie hat keinen guten Ruf – lange Warteschlangen beim Bürgeramt, komplizierte Formulare sowie langwierige Genehmigungsverfahren sind (un-)beliebte Themen für den Smalltalk. Auch fehlt in keiner politischen Sommerrede der Hinweis auf die Notwendigkeit, bürokratische Belastungen zu reduzieren. Unternehmer reihen sich ein und identifizieren „Bürokratie“ regelmäßig als großes Problem. Ohne Bürokratie geht es jedoch nicht. Das Zusammenleben in unserer komplexen Gesellschaft basiert auf Regeln – staatlichen und nicht-staatlichen – und wenn sie formeller Natur sind, müssen sie bürokratisch um- und durchgesetzt werden. Allerdings sind weder alle bestehenden Regeln noch alle Maßnahmen zur Um- und Durchsetzung derselben wünschenswert. Die in den Verantwortungsbereich des Staates fallenden Regeln gehören deshalb samt ihres bürokratischen Beiwerks immer wieder auf den Prüfstand.
Zu hoher und zunehmender bürokratischer Aufwand
Auf die Frage, mit welchen Projekten die Große Koalition am besten die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen steigern könnte, antworteten jüngst 57 Prozent der vom Verband DIE FAMILIENUNTERNEHMER befragten Unternehmer mit dem Vorschlag, Bürokratie abzubauen. Damit landete das Thema an der Spitze.
Das etwas dran ist an der Wahrnehmung der Unternehmer, zeigen die Ergebnisse des seit 2011 erhobenen Erfüllungsaufwandsmonitors des Normenkontrollrats. Der jährliche bürokratische Aufwand im Zusammenhang mit Gesetzesänderungen des Bundes nahm seit 2011 um über 8 Milliarden Euro zu.
Der bürokratische Aufwand trifft Bürger nicht nur indirekt durch höhere Verwaltungskosten beim Staat und bei privaten Organisationen, sondern teilweise auch direkt: Bei der Beantragung des Personalausweises über die Kfz-Anmeldung bis hin zum Steuerrecht.
Ohne Bürokratie geht es nicht
Für das Zusammenleben von Menschen bedarf es Regeln. Sie geben uns Planungssicherheit bezüglich des Handels anderer und fördern im besten Fall kooperatives Verhalten. Das gilt für kleinere Gruppen und erst Recht für große komplexe Gesellschaften. Staatliche Regeln strukturieren Lebensbereiche wie Wohnen, Leben und Arbeiten, aber formulieren auch Abwehrrechte gegenüber dem Staat selbst – das Wort Rechtsfrieden kommt nicht von ungefähr. Eine Welt ohne Regeln wäre schrecklich. Ordnungspolitisch: Kein gutes Spiel ohne Spielregeln.
Regeln und ihre bürokratische Umsetzung: Nutzen und Kosten
Auf Märkten können Regeln die Erwartungssicherheit für Unternehmen und das Vertrauen von Kunden erhöhen. So profitieren in Deutschland alle Marktteilnehmer von Regeln, die Eigentumsrechte ordnen und die Übertragung von Eigentumsrechten durch Kauf- und Verkauf strukturieren.
Der Staat sollte ausschließlich die Umsetzung solcher Regeln in Betracht ziehen, die sich per se positiv auswirken, indem sie unerwünschtes Verhalten unterdrücken, wünschenswertes Verhalten befördern und zusätzliche Kooperationsmöglichkeiten schaffen.
Um zu beurteilen, ob eine Regel erstrebenswert ist, müssen jedoch auch ihre Umsetzungs- und Durchsetzungskosten berücksichtigt werden – die notwendige Bürokratie beim Staat, privaten Organisationen und den Bürgern direkt. Übersteigen diese bei staatlichen Einheiten und privaten Akteuren anfallenden Transaktionskosten den Nutzen der Regel, sollte sie nicht angestrebt werden.
Ideale Regulierung?
Nutzen und Kosten von Regeln und ihrer Anwendung abzuschätzen, ist ein heikles Unterfangen. Wie resultierende Nutzen und Kosten gewichtet werden, entscheidet mit darüber, ob eine zur Diskussion stehende Regel für erstrebenswert erachtet wird. Verschiedene Gutachter werden regelmäßig zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen. Und dennoch lässt sich basierend auf der analytischen Trennung zwischen Regeln auf der einen Seite und ihrer Durchsetzung sowie Umsetzung auf der anderen Seite festhalten, dass Regeln gesetzt werden sollten, die nicht nur per se wünschenswert, sondern auch einfach um- und durchsetzbar sind.
Einige Beispiele: Bei Umweltregulierungen ist es besser, Ziele vorzugeben, als detaillierte Vorgaben zu machen, wie Ziele erreicht werden sollen. Im Bereich des Steuer- und Sozialrechts, sind häufig großzügige Pauschalen dem Versuch vorzuziehen, Einzelfallgerechtigkeit bis auf Centbeträge herzustellen.
Es versteht sich von selbst, dass es Aufgabe des Staates ist, die günstigste mögliche Alternative der Um- und Durchsetzung seiner Regeln zu gewährleisten, beziehungsweise zu ermöglichen. Leider verfehlt der deutsche Staat dieses Ideal regelmäßig. So kam der Normenkontrollrat in einem Gutachten 2015 zum Schluss, dass sich 30 Prozent der staatlichen Verwaltungskosten durch eine konsequente Umsetzung von E-Government-Lösungen einsparen ließen. Seitdem hat sich nicht viel getan. Die Einsparungen durch eine konsequentere Umsetzung von E-Government wären gewiss auch auf Seiten privater Akteure erheblich.
Tendenz zu übermäßiger Regulierung
In Demokratien werden nicht nur staatliche Regeln eingeführt, die auch ein unparteiischer Beobachter für eine große Mehrheit der Gesellschaft für wünschenswert erachtet. Politiker können sich durch die Einführung neuer Regeln profilieren und Interessengruppen mit eng abgegrenzten Partikularinteressen können Regeln zu ihrem Vorteil beeinflussen. In beiden Fällen kann der parlamentarische Prozess neue Regelungen mit negativem gesellschaftlichen Nettonutzen zutage fördern.
Zudem haben Mitarbeiter staatlicher Organisationen, die mit der Um- und Durchsetzung von Regeln betraut sind, ein Interesse an ihrer fortwährenden (ressourcenintensiven) Umsetzung, um ihre Existenz rechtfertigen zu können – auch wenn die Regeln aus gesellschaftlicher Perspektive nicht (mehr) angewandt werden sollten. Das trifft auf Bundes- und Landesverwaltungen ebenso wie auf Verwaltungen auf EU-Ebene zu.
Eine über die Zeit zunehmende Regelungsdichte und ein mit ihr steigender Erfüllungsaufwand überraschen also nicht. Sie sind aus politökonomischen Gründen zu erwarten. Vieles spricht dafür, dass die Vertragsfreiheit durch staatliche Regeln heute zu sehr eingeschränkt und der verursachte bürokratische Aufwand zu hoch ist.
Institutionelle Sklerose vermeiden
Umso mehr sollten nicht direkt am politischen Prozess Beteiligte darauf pochen, Regeln per se Prüfungen zu unterziehen und Kosteneinsparpotentiale bei ihrer Umsetzung beispielsweise durch den Einsatz von E-Government-Lösungen konsequent zu nutzen, um eine institutionelle Sklerose zu vermeiden.
Dass Aufmerksamkeit und öffentlicher Druck dazu beitragen können, das politökonomische Kalkül zu verändern, zeigt sich am Beispiel der EU-Kommission: Als Reaktion auf die Kritik, die EU würde zu viele und zu detailverliebte Regeln setzen, wurde in der aktuellen Kommission der erste Vizepräsident und Stellvertreter vom Kommissionspräsidenten, Frans Timmermanns, mit der Aufgabe betreut, die Regeldichte einzudämmen – ein kleiner Schritt, aber immerhin in die richtige Richtung.