Anfang der 2000er Jahre gab es einen wissenschaftlichen Disput zwischen den beiden Lagern um Daron Acemoglu und Jeffrey Sachs, ob Institutionen "die" zentrale Erklärung für internationale Divergenzen im Wirtschaftswachstum seien oder ob weitere Faktoren, wie Gesundheit und Geographie, eine gewichtigere Rolle spielen. Im Fokus der Kontroverse stand insbesondere der wirtschaftliche Effekt des Malariarisikos in bestimmten Weltregionen. Dieser Beitrag nimmt die Diskussion wieder auf. Die von der WHO eingesetzte und von Jeffrey Sachs federführend geleitete Kommission für Makroökonmik und Gesundheit verständigte sich in ihrem 2001 erschienen Abschlussbericht auf eine vielzitierte Erklärung, derzufolge die Förderung von Gesundheit in Entwicklungsländern nicht nur gesellschaftlich
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Anfang der 2000er Jahre gab es einen wissenschaftlichen Disput zwischen den beiden Lagern um Daron Acemoglu und Jeffrey Sachs, ob Institutionen "die" zentrale Erklärung für internationale Divergenzen im Wirtschaftswachstum seien oder ob weitere Faktoren, wie Gesundheit und Geographie, eine gewichtigere Rolle spielen. Im Fokus der Kontroverse stand insbesondere der wirtschaftliche Effekt des Malariarisikos in bestimmten Weltregionen. Dieser Beitrag nimmt die Diskussion wieder auf.
Die von der WHO eingesetzte und von Jeffrey Sachs federführend geleitete Kommission für Makroökonmik und Gesundheit verständigte sich in ihrem 2001 erschienen Abschlussbericht auf eine vielzitierte Erklärung, derzufolge die Förderung von Gesundheit in Entwicklungsländern nicht nur gesellschaftlich wünschenswert sei, sondern auch die wirtschaftliche Stabilität und das Wachstum dieser Länder befördere (S.1 des Berichts).[ 1 ]
Ausbeuterische Institutionen
Im selben Jahr erschien ein einflussreicher Artikel von Acemoglu, Johnson und Robinson[ 2 ] , in dem diese die enorme Bedeutung von Institutionen für das Wachstum zu zeigen versuchten. In ihrer Analyse verwendeten sie dazu eine zweistufige Regression (2SLS): In der ersten Stufe zeigten sie, dass die Qualität der Institutionen eines Landes (gemessen an einem Index, der den Schutz vor Enteignung zwischen 1985 und 1995 angibt) signifikant mit der Mortalität der früheren Siedler in europäischen Kolonien korreliert ist. Ihre Erklärung dafür ist, dass Gegenden mit hohen Sterblichkeitsraten sich wenig als neuer Wohnort für Europäer eigneten und daher vor allem der Ausbeutung von Ressourcen dienten. Das Erbe dieser Kolonialpolitik seien bis heute ausbeuterische Institutionen ("extrusive institutions"), in denen der Schutz des Eigentums und anderer Verfügungsrechte nicht oder kaum garantiert wird. Länder, die sich besser als Wohnort für die Siedler eigneten, seien dagegen mit Institutionen in europäischer Tradition ausgestattet worden ("inclusive institutions", z.B. in Australien oder in den USA).
In der zweiten Stufe ihrer Regression zeigten sie, dass die Qualität der Institutionen, geschätzt durch die frühere Siedlermortalität, hochsignifikant mit dem BIP pro Kopf in 1995 korreliert ist. Da jedoch Weltregionen mit einer hohen Siedlermortalität im 18. und 19. Jahrhundert genauso auch heute noch mit hohen Gesundheitsrisiken verbunden sein könnten, fügten die Autoren aktuelle Daten zur Malariaprävalenz, Lebenserwartung und Kindersterblichkeit als Kontrollvariablen hinzu. Der statistische Effekt der Institutionen wurde dabei nur leicht abgeschwächt und blieb hochsignifikant. Sie argumentierten, dass das heutige Gesundheitsniveau vermutlich ebenfalls mit der Qualität der Institutionen zusammenhänge. Als primäre Ursache für Wirtschaftswachstum blieben aus ihrer Sicht somit nur Institutionen bestehen.
Ausbeuterische Malaria
Als Replik untersuchte Sachs den Effekt von Malaria anhand eines neu entwickelten Index namens "Malaria Ecology".[ 3 ] Dieser ergibt sich nicht aus der Malariaprävalenz eines Landes, sondern stattdessen aus begünstigenden geographischen Faktoren wie dem Klima oder dem Vorkommen bestimmter Mosquitoarten. Sachs folgerte, dass unter Verwendung dieses Index sowohl Institutionen als auch Malaria einen starken und signifikanten Effekt auf das Pro-Kopf-Einkommen aufweisen. In einer Fußnote ihres Artikels schreiben Acemoglu, Johnson und Robinson (S. 1387) zudem selbst, dass ihre Regression nicht mehr signifikant ist, wenn sie nur afrikanische Länder betrachten. Gerade diese sind aber bis heute besonders stark von Malaria betroffen.[ 4 ]
Malaria erzeugt Fieber und kann tödlich enden. Dabei tragen das größte Mortalitätsrisiko Kinder, Schwangere und Erwachsene mit einer Erstinfektion. Nájera, Liese und Hammer schreiben,[ 5 ] dass Malaria selbst bei Personen, die eine Immunität erworben haben, chronische Effekte durch Blutarmut (Anämie) hervorrufen kann. Die Eisenmangelanämie[ a ], als häufigstes Erscheinungsbild der Blutarmut, führt dazu, dass der Körper weniger rote Blutkörperchen produziert. In der Folge sind betroffene Personen leichter erschöpft, müde und leiden unter Konzentrationsstörungen. Ein negativer Effekt auf die Arbeitsproduktivität ist somit denkbar.
Darüber hinaus zeigen zahlreiche Studien in afrikanischen Staaten, dass Malaria bei Kindern und Jugendlichen zu vermehrten Schulausfällen, kognitiven und sprachlichen Defiziten sowie schlechteren Schulleistungen führt.[ 6 ] Durch gesundheitliche Defizite von Kindern kann die Entwicklung des Humankapitals einer Volkswirtschaft somit beeinträchtigt und Wachstum gehemmt werden. Diese Vermutung wird empirisch durch zwei Studien von Bleakley untermauert.[ 7 ] In diesen untersucht der Autor einmal den Effekt von Kampagnen gegen Malaria in den USA, Mexiko, Brasilien und Kolumbien Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts sowie zum anderen den Effekt von Kampagnen gegen Hakenwurminfektionen in den Südstaaten der USA in den 1920er Jahren, von denen etwa 40 % der Kinder vor Beginn der Kampagne betroffen waren. Er nahm die Prävalenz der jeweiligen Erkrankung vor Beginn der Kampagne als Grundlage und konnte zeigen, dass diese jeweils dann einen negativen Effekt auf das Einkommen und die Alphabetisierungsrate von Individuen hatte, wenn diese eine gewisse Zeit vor Kampagnenbeginn geboren waren. Je mehr ein Individuum hingegen in den Genuss der Kampagne kam, desto geringer war der statistische Einfluss der Krankheitsprävalenz vor Beginn der Kampagne auf sein Einkommen und seinen Alphabetisierungsgrad. Im Falle von Malaria kommt der Autor in allen untersuchten Ländern zu dem Ergebnis, dass infizierte Individuen eine Einkommenseinbuße um etwa 50 % gegenüber nicht-infizierten Personen erfuhren (der Autor berechnet dies aus dem Einkommenseffekt der Kampagne, gerechnet auf die Gesamtpopulation, geteilt durch die Malariaprävalenz vor Beginn der Kampagne, siehe S. 51).
Diskussionswürdig ist an dieser Stelle, ob man in der Praxis vom Arbeitseinkommen auf die tatsächliche Arbeitsproduktivität schließen kann, wie es in der Theorie geschieht, und somit auf das Humankapital. Bei einer entsprechend hohen Prävalenz einer Krankheit und mit dieser Krankheit korrelierenden Einkommensunterschieden von bis zu 50 % innerhalb derselben Volkswirtschaft liegt es aber zumindest nahe, dass das betroffene Land nicht sein volles Produktionspotential ausschöpfen kann. In ähnlicher Weise gibt es auch verschiedene Studien, die einen negativen Effekt von Mangelernährung in der Kindheit oder Schwangerschaft auf das Einkommen und auf Bildungsergebnisse aufweisen. Eine relativ aktuelle Übersicht zu diesen Studien bieten die Autoren Currie und Vogel.[ 8 ]
Schließlich sei auf eine weitere einflussreiche Studie von Acemoglu und Johnson aus dem Jahr 2007 verwiesen, die für ein großes wissenschaftliches Echo sorgte.[ 9 ] In dieser Studie untersuchten die Autoren den Wachstumseffekt der sogenannten "Epidemiological Transition" ab den 1940er Jahren, einem Prozess bei dem durch weltweit verfügbare medizinische Innovationen auch in ärmeren Ländern die Lebenserwartung deutlich angestiegen ist. Die Autoren ermittelten, wie sich die gestiegene Lebenserwartung auf die Produktivität, die Humankapitalinvestitionen und das Bevölkerungswachstum und damit schließlich auf das Pro-Kopf-Einkommen ausgewirkt hat. Sie kommen dabei zu dem Ergebnis, dass durch die gestiegene Lebenserwartung die Bevölkerung schneller gewachsen ist, da die Sterberaten sanken. Damit seien mögliche positive Produktivitätseffekte zunichte gemacht worden, sodass der Gesamteffekt auf das Pro-Kopf-Einkommen ihrer Schätzung nach negativ ausfiel. Darüber hinaus waren die Produktivitäts- und Humankapitaleffekte der gestiegenen Lebenserwartung, je nach betrachtetem Zeitraum, in der Studie entweder positiv, aber nicht signifikant, oder sogar negativ.
Auf die Studie folgte eine Reihe wissenschaftlicher Arbeiten, die sich kritisch mit den Ergebnissen auseinandersetzten. Cervellati und Sunde veröffentlichen 2011 ein Papier, in dem sie zeigten, dass man die betrachteten Länder in zwei Gruppen unterteilen kann: Einmal in solche, in denen das Bevölkerungswachstum aufgrund der sinkenden Sterberaten zunimmt und zum anderen in solche, in denen die Geburtenrate als Reaktion auf die steigende Lebenserwartung abnimmt und damit, wie in Industrienationen weltweit zu beobachten, auch das Bevölkerungswachstum zurückgeht. Unter ansonsten gleichen Bedingungen wie im Modell von Acemoglu und Johnson stellten sie dann in ihrer Regression fest, dass der Effekt der Lebenserwartung auf das Pro-Kopf-Einkommen nur in der Gruppe mit steigendem Bevölkerungswachstum negativ ist. In der anderen Gruppe ging eine einprozentige Erhöhung der Lebenserwartung dagegen mit einem Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens um 2,29 % einher (mit p ≤ 0,01, wobei jedoch nur 22 Länder in diese Gruppe fielen). Sie nehmen daher an, dass der Effekt der Lebenserwartung auf das Pro-Kopf-Einkommen nicht monoton ist und spätestens bei einem abnehmenden Bevölkerungswachstum positiv wird.
Keine Monokausale Erklärung
Über das Internet setzten Acemoglu und Robinson indes ihren Disput mit Jeffrey Sachs fort. Dort schrieben [ b ]die beiden: "We think, and perhaps Sachs disagrees, a framework that says there are 17 factors, each of them hugely important is no framework at all. The power of a framework comes from its ability to focus on the most important elements at the exclusion of the rest (...)". Eine monokausale Erklärung für Wachstum wäre ohne Frage schön und hilfreich, aber sie muss deswegen noch lange nicht für alle Länder zutreffen. Vielleicht sollte Wachstum eher als mehrstufiger Prozess betrachtet werden, dem in manchen Ländern unter anderem noch bestimmte epidemische Krankheiten im Wege stehen und in anderen wiederum fehlende Institutionen.
©KOF ETH Zürich, 28. Jun. 2017