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Aus dem ESM soll ein Euro-Finanzministerium werden: Kritische Anmerkungen aus politisch-ökonomischer Sicht

Summary:
Es gibt Diskussionen, dass aus dem Geschäftsführenden Direktor des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) ein Euro-Finanzminister werden soll. Dieser Beitrag kritisiert den Vorschlag, u.a. weil der ESM keine Anreize hätte, Geldbussen einzutreiben. Im März nächsten Jahres will die EU-Kommission Vorschläge machen, wie die "Governance" der Euro-Zone ausgebaut werden kann und sollte. Die deutsche Verhandlungsposition ist bereits erkennbar. Finanzminister Schäuble hat erklärt: "Wir müssen Europa unterhalb der Schwelle von EU-Vertragsänderungen handlungsfähiger machen. … Das Primärrecht müssten wir dafür nicht ändern. Das könnten wir in der Euro-Zone auch mit einer Änderung des ESM-Vertrages hinbekommen" (Interview, Stuttgarter Zeitung, 15.10.16). Was will er "hinbekommen"? Schäuble will einen "Euro-Finanzminister". Er will diesen Superminister sogar mit einem eigenen Haushalt ausstatten, der aus der Mehrwert- und Einkommensteuer gespeist werden soll[ a ]. Lässt sich das mit einer Änderung des ESM-Vertrages bewerkstelligen? Soll der Geschäftsführende Direktor des Europäischen Stabilitätsmechanismus – ein Deutscher namens Klaus Regling – Euro-Finanzminister werden? Bislang erhält der ESM keine laufenden Zahlungen aus Steuermitteln. Er hat drei Einnahmequellen.

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Es gibt Diskussionen, dass aus dem Geschäftsführenden Direktor des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) ein Euro-Finanzminister werden soll. Dieser Beitrag kritisiert den Vorschlag, u.a. weil der ESM keine Anreize hätte, Geldbussen einzutreiben.

Im März nächsten Jahres will die EU-Kommission Vorschläge machen, wie die "Governance" der Euro-Zone ausgebaut werden kann und sollte. Die deutsche Verhandlungsposition ist bereits erkennbar.

Finanzminister Schäuble hat erklärt: "Wir müssen Europa unterhalb der Schwelle von EU-Vertragsänderungen handlungsfähiger machen. … Das Primärrecht müssten wir dafür nicht ändern. Das könnten wir in der Euro-Zone auch mit einer Änderung des ESM-Vertrages hinbekommen" (Interview, Stuttgarter Zeitung, 15.10.16). Was will er "hinbekommen"?

Schäuble will einen "Euro-Finanzminister". Er will diesen Superminister sogar mit einem eigenen Haushalt ausstatten, der aus der Mehrwert- und Einkommensteuer gespeist werden soll[ a ]. Lässt sich das mit einer Änderung des ESM-Vertrages bewerkstelligen? Soll der Geschäftsführende Direktor des Europäischen Stabilitätsmechanismus – ein Deutscher namens Klaus Regling – Euro-Finanzminister werden?

Bislang erhält der ESM keine laufenden Zahlungen aus Steuermitteln. Er hat drei Einnahmequellen.

Erstens hat er Zinseinkünfte aus den Krediten, die er an überschuldete Euro-Staaten vergeben hat, und aus den Anleihen dieser Staaten, die er im Rahmen seiner Programme gekauft hat. Diese Zinsen sind etwas höher als die Zinsen, die er auf seine von den Mitgliedstaaten verbürgten Anleihen zahlt: "Bei der Gewährung von Stabilitätshilfe strebt der ESM die volle Deckung seiner Finanzierungs- und Betriebskosten an und kalkuliert eine angemessene Marge ein" (Art. 20 Abs. 1 des ESM-Vertrags).

Zweitens erzielt der ESM Zinserträge, indem er das bei ihm eingezahlte Kapital (80 Mrd. Euro) im Kapitalmarkt investiert – zum Beispiel, indem er Staatsanleihen oder wie im Juli 2015 Anleihen des EU-Hilfsfonds EFSM erwirbt. (Der EFSM leitete das Geld an Griechenland weiter, dessen ESM-Programm abgelaufen war.) Der ESM "hat das Recht, einen Teil des Ertrags aus seinem Anlageportfolio zur Deckung seiner Betriebs- und Verwaltungskosten zu verwenden" (Art. 22 Abs. 1). Nicht benötigte Anlageerträge können an die Mitgliedstaaten ausgeschüttet werden. Sie müssten sogar in voller Höhe ausgeschüttet werden, wenn der ESM einmal keine Finanzhilfen mehr gewähren würde (Art. 23).

Drittens kann der ESM Einnahmen aus finanziellen Sanktionen gegen seine Mitglieder erhalten (Art. 24 Abs.2). Dabei handelt es sich um Geldbußen in Rahmen des sogenannten "Sixpack" von 2011, insbesondere die Verordnungen 1174 und 1176 über die Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte und die Verordnung 1177 bei übermäßigen Defiziten.

Wenn die Verwaltungskosten – so wie es Schäuble vorschlägt – aus den Mehrwert- und Einkommensteuereinnahmen der Euro-Staaten finanziert würden, wäre der ESM nicht mehr ein "Kreditinstitut" der Euro-Staaten, sondern eine Euro-Finanzbehörde, und an ihrer Spitze stünde ein "Finanzminister".

Weshalb will Schäuble den ESM-Vertrag und nicht den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ändern? Er sagt: weil das einfacher ist. Das ist wahr. Eine Änderung des AEUV müsste nicht nur von den Euro-Staaten, sondern auch von den anderen EU-Staaten – zum Beispiel Polen, Tschechien und vorerst auch Großbritannien – ratifiziert werden. Das könnte Schwierigkeiten bereiten und würde die Verhandlungsmacht dieser Länder stärken. Außerdem müssten – zum Beispiel in Irland – Mehrheiten in Volksabstimmungen gefunden werden.

Aber mindestens genau so wichtig ist, dass die Entscheidungen im ESM nur einstimmig getroffen werden können. Deutschland könnte den Vertrag sogar kündigen. Im Rat der EU dagegen genügt eine qualifizierte Mehrheit, und Schäuble könnte überstimmt werden. Außerdem redet in der EU das Europa-Parlament ein Wörtchen mit, im ESM hat das Europa-Parlament nichts zu sagen. Schäuble wird auch gefallen, dass die Letztentscheidung im ESM beim Gouverneursrat, d.h. bei den Finanzministern, liegt. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch durchgesetzt, dass Schäuble bei Entscheidungen, die "die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages betreffen", die Zustimmung des Bundestages braucht.

Schäuble will verhindern, dass der ESM – sein Werk – eines Tages vielleicht wieder abgeschafft wird oder zu wenig Einnahmen hat, wenn einmal keine Kreditforderungen mehr ausstehen. Deshalb versucht er, den ESM zu stärken, ihm zusätzliche Kompetenzen und Einnahmen zu verschaffen. Der ESM soll ein für alle mal unentbehrlich werden.

Der Beitrag der Bundesbank

Wohin die Reise gehen soll, zeigen auch die Verlautbarungen der Deutschen Bundesbank. Schon im Februar haben sich Jens Weidmann und sein französischer Amtskollege Francois Villeroy de Galhau in einem gemeinsamen Zeitungsartikel ebenfalls für einen Finanzminister der Euro-Zone ausgesprochen (Süddeutsche Zeitung, 08.02.16). Die Bundesbank schreibt zu diesem Thema in ihrem Monatsbericht vom Juli 2016:

"Es könnte in diesem Zusammenhang daran gedacht werden, die Rolle des ESM grundsätzlich zu stärken. Mit dem Antrag eines Mitgliedstaates auf Finanzhilfen beim ESM wird die Einschätzung zur weiteren Wirtschaftsentwicklung, zur Schuldentragfähigkeit und zum Finanzbedarf derzeit durch die Europäische Kommission im Benehmen mit der EZB erstellt, und dies ist auch für die Überwachung der wirtschaftspolitischen Auflagen vorgesehen. Diese Aufgaben könnten künftig auf den ESM übertragen werden" (S. 57).

"Im Falle einer Umschuldung … könnten Koordination und begleitende Aufgaben, wie etwa die Erfassung der bestehenden Ansprüche, auf den ESM übertragen werden, und dieser könnte auch mit der effektiven Abstimmung der Umschuldung mit einem Anpassungsprogramm und Finanzhilfen des ESM beauftragt werden. Mit Stärkung des Krisenbewältigungsmechanismus könnte darüber hinaus auch in Erwägung gezogen werden, dem ESM ergänzend die Funktion einer unabhängigen Fiskalbehörde zu übertragen. Dazu könnten ihm die bisher bei der Europäischen Kommission liegenden Aufgaben der Bewertung der Haushaltsentwicklungen und der Einhaltung der Fiskalregeln übertragen werden" (S. 64).

Betrachten wir erstens die Überwachung der wirtschaftspolitischen Auflagen. Ist es günstiger, wenn nicht Kommission und EZB über die Einhaltung der Auflagen wachen, sondern der ESM? Aus der Geschichte des Internationalen Währungsfonds (IWF) lassen sich diesbezüglich wichtige Lehren ziehen. Auch der IWF vergibt ja subventionierte Kredite an überschuldete Mitgliedstaaten und verhängt dabei wirtschaftspolitische Auflagen. Der IWF hat im Zeitraum 1991-2012 insgesamt 41 Programme wegen Nichterfüllung seiner Auflagen abgebrochen (Urbaczka, Vaubel 2013). Das ist zwar mehr, als der ESM vorweisen kann – nämlich überhaupt keine Abbrüche, aber auf 21 dieser 41 abgebrochenen IWF-Programme folgte bereits am folgenden Tag ein neues Programm. Dreissig Staaten erhielten einen Anschlusskredit innerhalb eines Jahres. Nur fünf Staaten bekamen nach dem Abbruch ihres Programms vom IWF keinen Kredit mehr.

Weshalb vergibt der IWF immer wieder neue Kredite an Staaten, die nach seiner eigenen Einschätzung die Auflagen nicht eingehalten haben? Weil auch er sich über die Marge zwischen seinem Kreditzins und dem Zins, den er seinen Gläubigern zahlt, finanziert. Wenn er – wie zum Beispiel 2007 – nicht genug Kredite vergibt, kann er seine Verwaltungskosten nicht decken und muss Personal abbauen. Die Regierungen der Schuldnerländer wissen das und nehmen daher die Auflagen nicht ernst, denn sie bekommen ja doch wieder einen neuen Kredit.

Genau so könnte es dem ESM ergehen – bei der Überwachung der Auflagen, aber auch bei der Einschätzung der Schuldentragfähigkeit und des Finanzbedarfs. Um genug Kredite vergeben zu können, würde er die Schuldentragfähigkeit zu optimistisch beurteilen und den Finanzbedarf zu großzügig kalkulieren. Weniger verzerrte Einschätzungen erhält man, wenn man nicht die Kredit gebende Institution, sondern wie bisher die EU-Kommission und die EZB fragt. Die Kommission ist besser geeignet als die EZB, weil nicht alle EU-Staaten der Währungsunion angehören. Noch neutraler wäre zum Beispiel die OECD, weil die Euro-Staaten dort in der Minderheit sind. Ungeeignet wäre dagegen der IWF (obwohl er zum Beispiel die Schuldentragfähigkeit Griechenlands realistischer einschätzt als Kommission und EZB). Denn der IWF vergibt selbst Kredite und kann daher an verzerrten Einschätzungen interessiert sein.

Kann man die Anreizprobleme des ESM dadurch beseitigen, dass man ihn aus Steuermitteln finanziert? Sicher nicht, solange er bei seinen Ausleihungen weiterhin eine Zinsmarge erwirtschaftet. Aber selbst wenn das geändert würde, wäre auf den ESM kein Verlass. Denn die Hilfsprogramme sind für die ESM-Bürokratie nicht nur eine Einnahmequelle, sondern auch eine Quelle von Macht und Ansehen, und die Kosten der verfehlten Kreditvergabe tragen nicht die ESM-Beamten, sondern die Steuerzahler.

Ist es sinnvoll, wie die Bundesbank zweitens anregt, den ESM bei Umschuldungen einzuschalten? Als Gläubiger der umschuldenden Staaten sind die ESM-Beamten daran interessiert, dass sie selbst keine Forderungen abschreiben müssen und dass die anderen Gläubiger auf einen möglichst grossen Teil ihrer Forderungen verzichten. Auch im Fall der Umschuldung steht das Eigeninteresse des ESM-Personals daher einer vernünftigen Lösung im Weg. Effizient wäre die Einschaltung des Pariser bzw. Londoner Clubs, die ja auch sonst für Umschuldungen zuständig sind.

Sollte der ESM drittens im Rahmen des "Sixpack" anstelle der Kommission die Haushaltsentwicklungen bewerten und die Einhaltung der Fiskalregeln überwachen, wie es die Bundesbank vorschlägt? Die Kommission hat leider wegen politischer Rücksichtnahmen immer wieder ein Auge zugedrückt. Aber wäre der ESM standhafter? Schäuble sagt: "Der ESM würde die Haushaltsentwürfe nicht politisch, sondern streng nach den Regeln beurteilen" (Stuttgarter Zeitung, 15.10.16). Dafür könnte auf den ersten Blick sprechen, dass die Geldbußen, die die Euro-Staaten bei übermäßigen Haushaltsdefiziten zahlen müssten, dem ESM zufließen würden (EU 1177/2011, Art. 16). Dennoch ist das Gegenteil zu erwarten: Wir würden vom Regen in die Traufe kommen. Die EU-Kommissare werden zwar von den Regierungen der Mitgliedstaaten ausgewählt und beeinflusst, aber sie sind weisungsunabhängig. Im ESM dagegen würden letztlich die Finanzminister als Gouverneure selbst entscheiden – also diejenigen, die die Haushaltsdefizite höchstpersönlich zu verantworten haben. Sie haben keinen Anreiz, Geldbußen einzutreiben, die sie selbst bezahlen müssen. Wollen Schäuble und Weidmann die Böcke zu Gärtnern machen? Der Stabilitäts- und Wachstumspakt würde nur dann funktionieren, wenn die vorgesehenen Sanktionen automatisch greifen würden. Das ist aber nicht konsensfähig. Damit ist schon Theo Waigel 1996 gescheitert.

Urbaczka, Adrian, Roland Vaubel, "IMF Subsidies, Cancellations and Resumptions: New Empirical Evidence", Cato Journal 33, no.1, 2013, S. 155-170.

©KOF ETH Zürich, 13. Dez. 2016

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