Juncker ermöglicht seinem Intimus und Protegé eine Blitzkarriere in der Kommission. Die Deutsche Bank schüttet für 17.000 ihrer 98.000 Mitarbeiter Boni in Höhe von 1,3 Milliarden Euro aus. Der scheidende VW-Vorstand Matthias Müller erhält 2.900 Euro Rente – täglich. Wenn Angehörige der Elite so eklatant gegen das allgemeine Anstandsverständnis verstoßen, muss man sich nicht wundern über Ressentiments. Sonntagstun statt Sonntagsreden Manches war tatsächlich früher besser. Man kann auch ohne eine zu große Portion Kulturpessimismus festhalten, dass es früher einen klareren Ehrenkodex gab. Gerade Verantwortungsträger in Politik und Wirtschaft sahen sich nicht nur als gutbezahlte Alphatierchen, sondern auch als Vorbilder. Das macht sie
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Clemens Schneider considers the following as important: blog, Geschichte, gesellschaftlicher Wandel, offene Gesellschaft, Selbstverantwortung
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Juncker ermöglicht seinem Intimus und Protegé eine Blitzkarriere in der Kommission. Die Deutsche Bank schüttet für 17.000 ihrer 98.000 Mitarbeiter Boni in Höhe von 1,3 Milliarden Euro aus. Der scheidende VW-Vorstand Matthias Müller erhält 2.900 Euro Rente – täglich. Wenn Angehörige der Elite so eklatant gegen das allgemeine Anstandsverständnis verstoßen, muss man sich nicht wundern über Ressentiments.
Sonntagstun statt Sonntagsreden
Manches war tatsächlich früher besser. Man kann auch ohne eine zu große Portion Kulturpessimismus festhalten, dass es früher einen klareren Ehrenkodex gab. Gerade Verantwortungsträger in Politik und Wirtschaft sahen sich nicht nur als gutbezahlte Alphatierchen, sondern auch als Vorbilder. Das macht sie nicht zu besseren Menschen. Aber es hält die schlechten Neigungen und Gewohnheiten, die wir alle haben, etwas besser in Schach. Von rechter Seite wird der mangelnde Anstand dem Verfall der Sitten zugeschrieben; von linker Seite dem Egoismus, den das kapitalistische System in Menschen erzeugt. Was auch immer die Ursache sein mag – das Gegenmittel liegt auf der Hand.
Als in Deutschland die Nationalsozialisten die Macht übernommen hatten, war es riskant, sich in Opposition zum Regime zu begeben – insbesondere, wenn man etwa in herausragender Stelle in einem Konzern tätig ist. Im damaligen Vorstand der Deutschen Bank gab es einige, von den Machthabern ohnehin schon misstrauisch beäugte, bekennende Katholiken. Radikaler Widerstand kam für diese Menschen aus vielen Gründen nicht in Frage. Aber es war eine Selbstverständlichkeit für sie, sich nach dem sonntäglichen Kirchbesuch noch ausführlich vor der Kirche zu unterhalten, damit möglichst viele Leute sehen, wo sie gerade den Vormittag verbracht hatten. Werte und Haltungen waren für sie nicht so sehr eine Frage der Sonntagsreden als vielmehr des Sonntagstuns.
Herrhausen: „Handlung muss durch Haltung begründet sein“
Etwa fünfzig Jahre später ermordete die barbarische RAF den damaligen Vorstandssprecher der Deutschen Bank Alfred Herrhausen. Wie kaum ein anderer „Wirtschaftskapitän“ nach ihm verkörperte er das alte Ideal des Verantwortungsträgers: gebildet und interessiert, mit einem gerüttelten Maß an Querdenkertum ausgestattet und im Bewusstsein seiner Rolle für das Ganze, nicht nur des Landes, sondern der Welt. Er formulierte auf der Hauptversammlung im Jahr 1989 einen Anspruch, den man heutigen Bänkern jeden Morgen zurufen sollte: „Die Deutsche Bank kann sich nicht allein darauf beschränken oder konzentrieren, gute Geschäfte zu machen. Sie muss, weil sie eine bestimmte Größe hat, eine bestimmte Autorität, eine bestimmte Position hier und draußen in der Welt, gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Wir müssen eine Art von ethischer Verpflichtung akzeptieren. Handlung muss durch Haltung begründet sein.“ – Das Gegenmittel zu mangelndem Anstand ist in der Tat die Rückbesinnung auf derlei Werte und Haltungen.
Politiker und Journalisten reagieren beklagenswerterweise auf das Problem freilich nur sehr selten mit Apellen an Werte und Haltungen. In der Regel wird sofort nach Regulierungen und Verboten gerufen. Und das ist wohl eine der bittersten Folgen des Anstandsmangels von Leuten wie Juncker und Jain, von Firmen- und Gewerkschaftsbossen bei Mannesmann, Ergo und VW: sie geben denen Futter, die sich für staatlich verordnete Moral stark machen. Die Analyse ist leider richtig: Hier versagen Selbstkontrolle und Verantwortungsgefühl zum Teil vollkommen. Die vorgeschlagene Lösung hingegen ist fatal.
Anstand darf nicht zur Staatsaufgabe werden
Kein noch so ausgeklügeltes Gesetz, keine noch so durchdachte Rechenschaftspflicht, kein noch so hartes Verbot wird menschliches Verhalten ändern. Anstand lässt sich nicht verordnen, sondern nur lernen, üben und durchhalten. Ganz im Gegenteil: der Versuch, Menschen durch staatliche Interventionen zu anständigem Verhalten zu erziehen, hat in der langfristigen Konsequenz oft den gegenteiligen Effekt. Denn es findet in gewisser Weise ein Outsourcing statt: Wertevermittlung wird nicht mehr als Aufgabe von Eltern und Lehrern, Freundinnen und Partnern wahrgenommen, sondern als Aufgabe staatliche Institutionen und Gesetze. Vielleicht ist die Ursache für den Mangel an Anstand ja nicht der von rechts beklagte Verfall oder der von links beschriene Neoliberalismus, sondern vielmehr die Verschiebung der Herausforderungen, die eigentlich in der persönlichen Verantwortung jedes einzelnen liegen sollten, auf den Staat?
Friedrich August von Hayek hat in seinem sehr lesenswerten Essay „Das moralische Element in der Unternehmerwirtschaft“ von 1962 betont, dass wir verstehen müssen „warum es höchst wichtig ist, dass eine freie Gesellschaft auf starken moralischen Überzeugungen beruht, und warum wir, wenn wir Freiheit und Moral erhalten wollen, alles in unserer Macht Stehende tun sollten, um die entsprechenden moralischen Überzeugungen zu verbreiten.“ Anstand – oder Moral, wie es Hayek hier nennt, – ist nicht ein Luxusgut, das man Gewinn oder Effizienz, ökonomischen oder politischen Zielen opfern kann. Und Anstand ist auch nicht etwas, das man stattlich verordnen kann. Anstand ist eine Haltung, die für ein gedeihliches Miteinander in Freiheit unerlässlich ist und kann nur freiwillig durch Überzeugung angenommen werden. Wenn wir diese Aufgabe nicht wieder stärker selber in die Hand nehmen, steht es schlecht um die Zukunft der freien Gesellschaft.