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Europa: unheimliche Stille nach dem britischen Referendum

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Christophe Bernard, Chefstratege von Vontobel. Der Ausgang der Brexit-Abstimmung in Grossbritannien war eine vermeintliche Katastrophe, die nicht eingetreten ist. Natürlich wird es Auswirkungen auf die Wirtschaft des Landes geben, und natürlich sind die europäischen Regierungschefs noch immer über das Ergebnis des Referendums entsetzt. Nichtsdestotrotz geht in der Europäischen Union alles seinen gewohnten Gang, auch wenn am Horizont bereits die nächsten Bedrohungen auftauchen, wie beispielsweise die anstehende Abstimmung über die italienische Verfassung, sagt Christophe Bernard, Chefstratege von Vontobel. Zwei Monate nach dem "Schockergebnis" des britischen Referendums zugunsten eines Austritts des Landes aus der Europäischen Union (EU) lohnt es sich, einen Blick auf die bisherigen Auswirkungen zu werfen. Aus Sicht der Wirtschaft hat sich die Stimmung der Verbraucher und Unternehmen in Grossbritannien gemäss Umfragen deutlich eingetrübt, was für die Zukunft auf eine schwächere Wirtschaftstätigkeit schliessen lässt. Ähnlich negativ sind die Aussichten bei den Einstellungen und den geplanten Investitionen. Solide Einzelhandelsumsätze im Juli und gute Arbeitsmarktdaten widersprechen jedoch diesen düsteren Aussichten.

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Christophe Bernard, Chefstratege von Vontobel.

Der Ausgang der Brexit-Abstimmung in Grossbritannien war eine vermeintliche Katastrophe, die nicht eingetreten ist. Natürlich wird es Auswirkungen auf die Wirtschaft des Landes geben, und natürlich sind die europäischen Regierungschefs noch immer über das Ergebnis des Referendums entsetzt. Nichtsdestotrotz geht in der Europäischen Union alles seinen gewohnten Gang, auch wenn am Horizont bereits die nächsten Bedrohungen auftauchen, wie beispielsweise die anstehende Abstimmung über die italienische Verfassung, sagt Christophe Bernard, Chefstratege von Vontobel.

Zwei Monate nach dem "Schockergebnis" des britischen Referendums zugunsten eines Austritts des Landes aus der Europäischen Union (EU) lohnt es sich, einen Blick auf die bisherigen Auswirkungen zu werfen. Aus Sicht der Wirtschaft hat sich die Stimmung der Verbraucher und Unternehmen in Grossbritannien gemäss Umfragen deutlich eingetrübt, was für die Zukunft auf eine schwächere Wirtschaftstätigkeit schliessen lässt. Ähnlich negativ sind die Aussichten bei den Einstellungen und den geplanten Investitionen. Solide Einzelhandelsumsätze im Juli und gute Arbeitsmarktdaten widersprechen jedoch diesen düsteren Aussichten. Angesichts der vielen Unbekannten auf Grossbritanniens Weg aus der EU sieht Vontobel sich jedoch dazu veranlasst, ihre Einschätzung, dass die britische Wirtschaft massiv unter Druck geraten wird, zu bekräftigen. Trotz alledem hatte die beispiellose Entscheidung eines EU-Mitglieds, die Gemeinschaft zu verlassen, bisher keine erkennbaren Auswirkungen auf die Weltwirtschaft.

Aus Sicht der Finanzmärkte ist das Pfund Sterling – wie erwartet – das grösste Opfer der britischen Abstimmung und hat handelsgewichtet um 10 Prozent abgewertet. Die Bank of England (BoE) hat sowohl die Zinsen gesenkt als auch ihr Anleihenkaufprogramm ausgeweitet. Dies hat zu massiven Renditerückgängen bei den britischen Staatsanleihen (Gilts) und in der Folge einem Aufwärtstrend bei den Preisen von anderen Staatsanleihen geführt. Nach einer kurzzeitigen Korrektur legten die Aktien- und Kreditmärkte wieder zu, wobei der S&P 500 neue Rekordstände verzeichnete. Das Zögern der US-Notenbank Fed, die Geldpolitik zu verschärfen, hat dazu beigetragen, den US-Dollar unter Kontrolle zu halten. Gleichzeitig hat die Lockerung der Geldpolitik seitens der BoE die globale Jagd nach Rendite angeheizt. Insbesondere Schwellenländeranlagen vermochten deshalb beeindruckende Zuflüsse zu verzeichnen.

Herausforderungen für Italien
Aus Sicht der Politik fiel die Reaktion der EU auf das folgenschwere Brexit-Ereignis in Grossbritannien bisher zurückhaltend aus. Es bleibt abzuwarten, ob die 27 "verbleibenden" EU-Staaten bei ihrem Sondergipfel in der slowakischen Hauptstadt Bratislava im September überzeugende Lösungen für die vorliegenden Probleme – Grenzsicherung, Migration und weiterhin träges Wirtschaftswachstum – finden werden. Es ist kein Zufall, dass der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi Initiativen zur Wiederbelebung des europäischen Projekts anregt, denn zu Hause sieht er sich im Vorfeld eines wichtigen Verfassungsreferendums in diesem Jahr mit einer zunehmend euroskeptischen Wählerschaft konfrontiert. Unterdessen könnten die italienischen Banken nach dem jüngsten europäischen Stresstest unter Druck geraten. Mehrere Initiativen zum Umgang mit notleidenden Krediten in Italien konnten bestehende Zweifel an der Stabilität der italienischen Banken nicht zerstreuen. Trotz der systemischen Risiken in diesem Sektor zeigen die europäischen Behörden noch immer erschreckend wenig Flexibilität im Hinblick auf die Interpretation der Regelungen für das "Bail-in" – also das Geradestehen für Schulden nicht durch den Staat, sondern durch private Anleiheninvestoren und im Extremfall auch Sparer – und staatliche Beihilfen für Banken. Was Spanien betrifft, so gelang es der euroskeptischen Protestpartei Podemos nach der Brexit-Abstimmung entgegen den Erwartungen nicht, an ihren Erfolg bei der ersten Runde der Parlamentswahlen anzuknüpfen. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird es ein Regierungsbündnis zwischen den Parteien Partido Popular und Ciudadanos geben.

Zwei grundlegende Fragen beschäftigen die Anleger. Erstens: Welchen Kurs verfolgt das Fed in Zukunft? Diese Frage stellt sich, da die mächtigste Zentralbank der Welt ihr Doppelmandat der Vollbeschäftigung und einer Inflation nahe der Marke von 2 Prozent im Wesentlichen erfüllt hat. Und zweitens: Wie sollen Portfolios in Zeiten hoher absoluter Bewertungen für Aktien und Anleihen positioniert werden? Das Fed hat nach seinem Zinsschritt im Dezember 2015 weitere Zinserhöhungen ausgesetzt und ging angesichts der Risiken für die globale Konjunktur – wie beispielsweise dem wirtschaftlichen Abschwung in China oder dem britischen Referendum – insgesamt lieber auf Nummer sicher. Diese Zeit der Verwirrung könnte sich nun dem Ende nähern. Nach einem schwachen ersten Halbjahr geht Christophe Bernard, Chefstratege von Vontobel davon aus, dass die amerikanische Wirtschaft im Laufe des zweiten Halbjahrs 2016 – getrieben durch die Verbrauchernachfrage und ein Ende des Lagerabbaus – an Fahrt gewinnen wird. Darüber hinaus scheint das amerikanische verarbeitende Gewerbe den Doppelschlag aus Dollar-Aufwertung und einbrechenden Investitionen im Energiebereich verdaut zu haben. Trotz gemässigtem Inflationsdruck liegt die Kerninflationsrate über oder nahe dem 2-Prozent-Ziel des Fed. Bernard erwartet deshalb, dass Notenbankchefin Janet Yellen die US-Leitzinsen in diesem Jahr um einen weiteren Viertelpunkt anheben wird.

Fiskalpolitik tritt in den Mittelpunkt
In Europa und Japan wird zunehmend deutlich, dass die Geldpolitik an ihre Grenzen stösst, und dass Null- oder Negativzinsen gravierende Auswirkungen für Sparer, Pensionskassen und Geschäftsbanken haben. Darüber hinaus werden die Europäische Zentralbank und die Bank of Japan damit zu kämpfen haben, den Umfang ihrer Anleihenkaufprogramme aufrechtzuerhalten, da das Angebot dieser Wertpapiere irgendwann einmal knapp wird. Aus diesem Grund verlagert sich der Fokus logischerweise auf die Fiskalpolitik, zum Beispiel höhere staatliche Ausgaben. Japan ist dabei, ein umfangreiches staatlich gestütztes Konjunkturpaket aufzulegen. Die EU ihrerseits scheint gegenüber Haushaltsüberschreitungen in Ländern wie Spanien und Portugal langsam mehr Toleranz zu zeigen. Auch in den USA steht die fiskalische Expansion weit oben auf der Tagesordnung der beiden Präsidentschaftskandidaten Hillary Clinton und Donald Trump.

In diesem Umfeld hat Vontobel ihr Engagement in Schwellenländeranleihen und hochverzinslichen Unternehmensanleihen aufgrund der Bewertungen leicht verringert, hält jedoch an der "leichten Übergewichtung" von Aktien fest. Unsere Positionen in Schweizer und deutschen Staatsanleihen sind "stark untergewichtet". Man bevorzugt nach wie vor US-Treasuries, sowohl konventionelle als auch inflationsgeschützte. Zudem hat man schrittweise die Barbestände erhöht, um Chancen nutzen zu können.


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