In den Wirtschaftswissenschaften ist üblicherweise nur vom technischen oder technologischen Fortschritt oder zumindest Wandel die Rede. Was aber passiert, wenn wir technischen Rückschritt haben? Ernst Mönnich geht dieser Frage in zwei aufeinanderfolgenden Beiträgen nach. In diesen Tagen gibt es nicht nur volatile Aktienkurse für die Volkswagen AG, sondern auch inflationäre Spekulationen über die rechtlichen und wirtschaftlichen Folgen der Manipulationen an Motoren des Konzerns. Unwidersprochen blieb bisher, dass die Softwaremanipulationen realisiert worden seien, weil sich neuere Umweltnormen von EU und USA im vorgegebenen Rahmen der Kostenplanung nicht hätten realisieren lassen. Es handelt sich also nicht um technische Überforderung durch Normen, jedoch um eine innovative Lösung, mit der sich diese Normen aus wirtschaftlichem Interesse betrügerisch umgehen ließen. Überlebensfrage für den Konzern wird eine normgerechte technische Lösung sein. Die neue Technik hat aber zunächst, zugunsten der Konzerngewinne, über Jahre Nachteile für die Käufer und für die Allgemeinheit bewirkt. Meine These ist, dass es sich nicht um einen Einzelfall, sondern um ein immer häufigeres und damit erklärungsbedürftiges Phänomen handelt. Schon die Normprobleme anderer Autohersteller deuten in diese Richtung.
Topics:
Ernst Mönnich considers the following as important:
This could be interesting, too:
Swiss National Bank writes New on the website 1970-01-01 01:00:00
Dirk Niepelt writes “Report by the Parliamentary Investigation Committee on the Conduct of the Authorities in the Context of the Emergency Takeover of Credit Suisse”
Investec writes Federal parliament approves abolition of imputed rent
investrends.ch writes Novo Nordisk Studie bringt Absturz
In den Wirtschaftswissenschaften ist üblicherweise nur vom technischen oder technologischen Fortschritt oder zumindest Wandel die Rede. Was aber passiert, wenn wir technischen Rückschritt haben? Ernst Mönnich geht dieser Frage in zwei aufeinanderfolgenden Beiträgen nach.
In diesen Tagen gibt es nicht nur volatile Aktienkurse für die Volkswagen AG, sondern auch inflationäre Spekulationen über die rechtlichen und wirtschaftlichen Folgen der Manipulationen an Motoren des Konzerns. Unwidersprochen blieb bisher, dass die Softwaremanipulationen realisiert worden seien, weil sich neuere Umweltnormen von EU und USA im vorgegebenen Rahmen der Kostenplanung nicht hätten realisieren lassen. Es handelt sich also nicht um technische Überforderung durch Normen, jedoch um eine innovative Lösung, mit der sich diese Normen aus wirtschaftlichem Interesse betrügerisch umgehen ließen. Überlebensfrage für den Konzern wird eine normgerechte technische Lösung sein. Die neue Technik hat aber zunächst, zugunsten der Konzerngewinne, über Jahre Nachteile für die Käufer und für die Allgemeinheit bewirkt.
Meine These ist, dass es sich nicht um einen Einzelfall, sondern um ein immer häufigeres und damit erklärungsbedürftiges Phänomen handelt. Schon die Normprobleme anderer Autohersteller deuten in diese Richtung. Mein Eindruck aus Alltagserfahrungen suggeriert, dass es sich um ein allgemeines Problem der Technikentwicklung im modernen Kapitalismus handelt. Die neoklassische Wirtschaftswissenschaft kennt bis heute nur den Begriff des technischen Fortschritts und nimmt gegenläufige Tendenzen der Marktrealität nicht wahr. Andere Ökonomen schreiben gelegentlich vorsichtiger von technischem Wandel. Damit wird aber noch nicht das aktuelle Problem angesprochen, dass technische Veränderungen bewusst und über längere Dauer gegen die Interessen von Konsumenten und Allgemeinheit realisiert werden.
1. Von Smith über Marx und Schumpeter bis zur Angebotsökonomie: Technischer Fortschritt als Triebkraft des Kapitalismus
Bereits bei Adam Smith war technisch-organisatorischer Fortschritt eine zentrale Verheißung für den Wohlstandszuwachs durch den Druck liberalisierter Märkte auf die Hersteller von Waren (Smith, 1789). Die Produktqualität hatte zunächst nachrangige Bedeutung. Günstige Versorgung einer wachsenden Bevölkerung mit knappen Gütern stand im Fokus.
Diese zentrale Triebkraft der kapitalistischen Produktionsweise gewann im kommunistischen Manifest hymnische Qualität für die Erklärung allen gesellschaftlichen Wandels (Marx, Engels 1848, 348).
Die nächste Erweiterung dieser Sicht stammt dann von Schumpeter (1934). Von dynamischen Unternehmern in der Krise durchgesetzte Basisinnovationen schaffen neue Bedürfnisse, Märkte und mit folgenden Produktinnovationen die Basis für einen langanhaltenden wirtschaftlichen Aufschwung (Kondratief-Zyklus).
Diese Rolle des technischen Fortschritts prägt bis heute die unterschiedlichsten gesellschaftspolitischen Konzeptionen von der Angebotsökonomie (Giersch 1979) bis zur Ökologiebewegung (Fücks, 2013).
2. Warum kann es nach klassisch-ökonomischer Modellsicht keinen technischen Rückschritt geben?
Die dynamische Entwicklung von Märkten wird aus Sicht Schumpeters vom Angebot geprägt. Allerdings haben Innovationen ohne positive Reaktion der Nachfrager keine Chance auf Erfolg am Markt. Dieser Zusammenhang wird von Albach (1994) in einem drastischen Beispiel überzeugend demonstriert. In der zweiten Hälfte des 19. Jh. machten Meldungen über lebendig Begrabene Furore. Eine Lösung war ein Patent auf einen Alarmglockensarg. Aus dem Patent wurde keine Innovation, denn es gab keine Käufer für das Produkt. Für die Alten war der Zwang zum ärztlichen Totenschein die bessere Lösung. Auch für die potenziellen Erben löste der Alarmglockensarg keinen Bedarf aus. Eine Neuentwicklung kann nur Erfolg haben, wenn sie den Wünschen der Nachfrager entspricht. Markterfolg ist somit ein Beleg dafür, dass die verkauften neuen Produkte Konsumenten glücklicher machen. Das modellimmanente Synonym für das Konsumentenglück ist der Umsatz. Steigt der Umsatz, kann es sich nicht um einen Fall von technischem Rückschritt handeln.
Allerdings zeigt die Pflicht zum Totenschein, dass nicht immer die Marktkräfte für eine zuverlässige Bewertung des technischen Fortschritts einer Lösung sorgen. In der ernsthaften Innovationstheorie soll technischer Fortschritt durch Expertenbewertung festgestellt werden (Grupp 1997, 426). Arbeitet die Mehrheit von Experten einer Branche bei den Anbietern, so ist dieser Maßstab nicht interessenfrei. Milliardenumsätze werden z.B. von Pharmafirmen mit Medikamenten gemacht, deren Wirksamkeit nicht nachgewiesen wird (Friedrichs, Padberg 2016). Nur positive Studienergebnisse, die eine Zulassung begründen, werden veröffentlicht. Deshalb sprechen Pharmawissenschaftler von Scheininnovationen.
3. Was ist technischer Rückschritt?
Technische Veränderungen an Gütern und Diensten, die sich auf Märkten mittel- und langfristig etablieren lassen, werden dann als technischer Rückschritt eingestuft, wenn die Veränderungen nicht im Konsumenten- und Gesellschaftsinteresse sind und deren Wohlfahrt schmälern. Immer wenn der Begriff Wohlfahrt fällt, denken Ökonomen an das Pareto Optimum. Die Kurzdefinition dieses Maßstabs:
"Gesellschaftliche Situation, in der es nicht möglich ist, die Wohlfahrt eines Individuums durch eine Re-Allokation der Ressourcen zu erhöhen, ohne gleichzeitig die eines anderen Individuums zu verringern." (Gabler)
zeigt allerdings bereits, dass das Pareto Optimum auf unseren Fall nur eingeschränkt anwendbar ist. In unserem Einstiegsfall ging es dem Hersteller ja gerade um einen Gewinn zu Lasten Dritter, ohne dass dieses den Käufern und der Allgemeinheit bekannt wurde. Schaut man auf die Totalbedingungen des Pareto Optimums, so wird die Möglichkeit neuer, potenziell wohlfahrtssteigernder Güter oder Techniken für die Bewertung einer Verteilungslösung ausgeschlossen. Der Wirtschaftswissenschaft fehlt es also für die Bewertung technischen Wandels, der die Verteilung zu Lasten von Konsumenten und Allgemeinheit verschiebt, an einem akzeptierten Wohlfahrtsmaß. Dennoch lassen sich aus diesem Theorieumfeld Instrumente finden, die uns eine erste Präzisierung für technische Rückschritte erlauben. Die Mikroökonomie beschreibt Wohlfahrtsverluste durch Eingriffe in ideale Märkte mit Hilfe des Nettowohlfahrtsverlusts. Kriterium ist die Abweichung eines Marktergebnisses von den langfristigen Ergebnissen bei vollständiger Konkurrenz (Perloff 2014, 320).
Die Überlegung sei am Beispiel erläutert. Für Fernsehübertragungen sportlicher Großereignisse entstehen heute erhebliche Kosten (Übertragungslizenzen, aufwändige Sendetechnik usw.). Einmal produziert und gesendet sind allerdings die Grenzkosten zur Versorgung zusätzlicher Empfänger gleich null. Das Ergebnis bei vollständiger Konkurrenz wäre somit ein Preis von Null und ein Konsum bis zur Sättigungsgrenze. Alle, die Europameisterschaft und Olympiade noch ertragen können, dürfen einschalten. Die Finanzierung hierfür kann nur über Zwangsabgaben aller potenziellen Konsumenten und/oder über Werbeeinnahmen der Sender erfolgen. Die technische Lösung der Bezahlsender ist der Ausschluss mit Codierung. Der Wettlauf mit den Codeknackern ist, wohlfahrtsökonomisch betrachtet, technischer Rückschritt. Er reduziert für eine ohnehin erstellte Leistung, die ohne Qualitätsverlust weiteren Konsumenten verfügbar sein könnte, die abgesetzte Menge und erhöht den Preis. Die Interessenten der Angebotsseite (Profisport, Bezahlsender) argumentieren deshalb nicht ökonomisch, sondern rechtlich.
4. Beispiele technischen Rückschritts
Wir kennen Beispiele technischen Rückschritts im Anbieterinteresse bereits seit langem. Sie bilden ein wichtiges Strategieelement von Anbietern für Rendite und Marktmacht.
Verzicht auf Normung und Standardisierung, Gewinnsteigerung über Zubehör und Ersatzteile
Nahezu jeder kaufte mal einen geeigneten Drucker für seinen Computer. Für wenig Geld werden multifunktionale Drucker neu angeboten. Geld verdient die Branche mit teuren Tintenpatronen und Tonerkartuschen, die nur für die eigenen Geräte passen. Durch häufigen Modell- und Formatwechsel wird der Wettbewerb durch Fremdanbieter systematisch behindert. Der Einsatz technischer Veränderungen dient der Stabilisierung von Anbietermonopolen für die überteuerten Zubehör- und Ersatzteile (Hippler 2010).
Geplante Obsoleszenz, Verhinderung von Reparatur- und Ersatzteilkauf
Wer eine elektrische Zahnbürste verwendet, wird feststellen, dass diese nach einem gewissen Zeitraum ihre Dienste einstellt, weil der Akku sich nicht mehr aufladen lässt. Der simple Austausch des Akkus ist aber unmöglich, denn das Gehäuse ist verklebt. Gleiche Probleme ergeben sich bei vielen Kleingeräten der Haushaltselektronik und Smartphones. Wo die Reparatur noch möglich wäre, wird sie ökonomisch verhindert. Geplanter Verschleiß ist schwer nachweisbar, aber durch eine Vielzahl dokumentierter Beispiele evident. Das Phoebus Kartell für Glühbirnen ist kein historischer Ausnahmefall (Liebrich 2013; Reuß 2015; Umweltbundesamt 2016).
Konzentration auf gewinnbringende Marktsegmente
Wenden wir uns wieder dem Automobilbau zu, so verwundert die Entwicklung der Modellpalette. Während die Politik auf geringere Emissionen, sparsamen Energieverbrauch und Elektromobilität drängt, produzieren Hersteller schwerere und stärker motorisierte Pkw. Das Produkt selbst wird immer komplexer konstruiert. International werden z.B. immer mehr SUVs vermarktet. Dieses schadet der CO2-Bilanz. Mögliche Effizienzgewinne werden überkompensiert (Rebound Effekt). Der Wohlstandsverlust durch Klimafolgen tritt auf einer anderen Ebene auf als das über den Markt gesteuerte Mobilitätsverhalten. Eine Internalisierung durch Regulierung wird durch Lobbyeinfluss erschwert.
Warum lassen sich so viele Nachfrager zum Kauf von SUVs verleiten? Die Hersteller und Anbieter kennen ihre Wünsche. Die Konsumforschung sagt, dass insbesondere Damen im mittleren Alter gerne SUVs in Städten fahren, weil damit ihr erhöhtes Sicherheitsbedürfnis befriedigt werde. Das noch höhere Sicherheitsgefühl durch "Edelstahlkuhfänger" wurde 2006 von der EU unterbunden. Die SUVs verkaufen sich immer noch gut und verzeichnen wachsende Marktanteile.
Statuskonsum
Nicht mehr mit dem eigentlichen Konsumzweck erklärbar ist dagegen die Entwicklung von Gütern mit hohem Technikeinsatz, die für Käufer nur den Zweck erfüllen, scheinbar einen höheren sozialen Status zu erlangen. Wenn der Sultan von Brunei sich einen üppigen Wagenpark anlegt, in dem sich alles findet, was gut, technisch neu und teuer ist, so entspricht dieses seiner gesellschaftlichen Rolle. Bereits seit absolutistischen Zeiten demonstrierten Fürsten ihren Status mit der goldenen Kutsche. Ein großer Teil dessen, was sich mit heute vermarkteten Pkw verbindet, ist aber nur noch mit der Koppelung von Technik, Preisniveau und erhofftem sozialen Prestige erklärbar. Dieser Zusammenhang gilt bei jungen Leuten für andere Konsumgüter. Das Luxusauto als Statussymbol ist out, das neueste Smartphone noch nicht. Für die ältere Generation mag sich der diskrete Charme der Bourgeoisie noch in einem Lange Chronometer mit Platingehäuse spiegeln. Die Jüngeren übernachten bei der Auslieferung des neuen I-Phone vor dem Apple Store. Wir wissen aber schon seit Boris Beckers besten Zeiten: Er verdiente als Sportler alle Aufmerksamkeit. Konsumenten, die, wie er in der Werbung, eine goldene Rolex am Arm schütteln, erwerben allenfalls unsere mitleidigen Blicke. Für ehrliche soziale Anerkennung bieten technische Finessen auf Gütermärkten nur kurzlebige Surrogate. Erst durch eigene Leistungen oder anerkannte Handlungen kann man sozialen Status erwerben. Hersteller versuchen mit Werbung natürlich das Gegenteil zu vermitteln. Genialen Verkäufern wie Steve Jobs konnte es dann auch kurzfristig gelingen, um neue Produkte einen Medienhype zu entfachen. Dieses war gut für die Marke und die Preisdifferenz zu Konkurrenten.
Kundenbindung durch technologische Abhängigkeit, Netzwerkeffekte und Infrastrukturmanipulation
Anders als die "You Tube Generation" nutze ich noch das normale Fernsehen. Ein Händler in meiner Stadt bejubelt akut "Endlich DVBT 2!" Ich nutze DVBT um Fernsehprogramme ohne monatliche Zusatzausgaben zu empfangen. Allerdings kann ich mich nicht erinnern, je nach einem neuen Standard verlangt zu haben. Im Gegensatz zu mir (und vielen anderen Kunden) haben aber Hersteller und Händler hieran ein Interesse. Nach Abschalten der alten Signale werden viele neue DVBT-Receiver gekauft werden müssen. Einige Fernsehgeräte sind dann nicht mehr zu nutzen. Der Hauptgrund der technischen Änderungen ist die JoJo-Wirkung zwischen informationstechnischen Formaten und Hardware. Der Kunde muss neue Geräte kaufen, benötigt neue Daten- und Informationsträger und wird im besten Fall dazu gebracht, für Leistungen ein Abonnement abzuschließen oder einem sozialen Netzwerk beizutreten. Ist dieses gelungen, kann man gesammelte Informationen für gewinnträchtige Werbebotschaften nutzen. Gleichzeitig werden Dienste durch Werbedaten immer langsamer. Entzieht sich der Kunde durch Werbeblocker-Software, dann schließt Facebook einen Deal mit den Anbietern dieser Produkte. Da völliger Verzicht auf soziale Netzwerke zu Isolation führt, entstehen Monopole, denen sich die Konsumenten kaum entziehen können.
Rad 10.0 oder das Unterlaufen endlicher Patentrechte und Copyrights mit Scheininnovationen
Das Patent- und Copyrightrecht verschafft aus guten Gründen nur zeitlich befristete Exklusivvermarktung. Die Balance zwischen Anreizen für kreative Leistungen und den Vorteilen für die Allgemeinheit gerät jedoch durch Strategien der Anbieter ins Wanken. Wäre im 20. Jahrhundert das Rad erfunden worden, müssten wir längst Lizenzgebühren für das Rad 10.0 entrichten. Wird das Update kostenfrei angeboten, so zeigen sich die Nachteile erst, wenn die Hardwarenutzung durch Geschwindigkeitsverluste Neuanschaffungen nahelegt. Während medizinische Fortschritte vor allem auf der Basis öffentlich finanzierter Grundlagenforschung angetrieben werden (Mazzucato 2014, 87f.), konzentrieren sich die forschenden Pharmafirmen darauf, den Patentschutz für ihre Blockbuster über Rezeptvariationen mit zweifelhaftem Nutzen zu verlängern (Glaeske, Schicktanz 2014).
Einhegung von Allmenden und Kollektivgütern
Seit Adam Smith wissen wir, dass die Öffnung neuer Märkte ein Schritt zu Wachstum und Wohlstand ist. Die Effekte der Marktöffnungen nach 1989 sind weitgehend ausgereizt. Die Einhegung von Allmenden kommt mit der Bodenspekulation internationaler Anleger in Afrika zu einem traurigen Abschluss (Rodriguez-Labajos, Temper, Argüelles 2015, 70f.) Die Allmende mit dem höchsten Potential für Einhegungsstrategien hat eine zum Glück noch utopische Frage aufgeworfen: "Wann kauft Bill Gates die Sonne?" (Gahrmann, Osmers 2004, 164) Keine Utopie ist dagegen die zunehmende Privatisierung von Kollektivgütern mit Wohlfahrtsverlusten. Der eigentliche technische Rückschritt für unsere Gesellschaft ergibt sich, wenn Schritt für Schritt eine Einhegung der Kollektivgüter Information und Wissen und am Ende eine Privatisierung der Wissenschaft gelingt. Die zentrale Weichenstellung zwischen der Kommerzialisierung von Information und Wissen und der Open Source Gesellschaft skizziert Mason (2016, 170f.). Auch hierfür gibt es zahlreiche Beispiele, die aber nach Erläuterung in einem separaten Beitrag verlangen.
5. Zusammenfassung
Wir alle glauben zu wissen, dass technischer Fortschritt die Entwicklung unserer Gesellschaft antreibt. Allein, wir können nicht genau sagen, was technischer Fortschritt ist, wenn technischer Wandel die Gesellschaft verändert. Der frei entscheidende, rational handelnde Konsument ist unser Maßstab für Verbesserungen. Unser Einstiegsbeispiel zeigte, dass bei nicht verfügbaren Informationen technische Neuentwicklungen längerfristige Schäden für Konsumenten und Gesellschaft bewirken können. Für die Definition technischen Rückschritts als Nettowohlfahrtsverlust bietet die ökonomische Theorie bis heute kein generell anwendbares Maß. Diese Lücke kann in diesem Thesenpapier nicht geschlossen werden. Es finden sich allerdings zahlreiche Beispiele technischen Rückschritts, wenn Märkte durch Marktmacht, ungleich verteilte Informationen und Monopolisierung gekennzeichnet sind. Auf die abschließend angesprochene Einhegung von Allmenden oder Privatisierung von Kollektivgütern durch neue Techniken als Risiko gesellschaftlicher Wohlfahrt geht die Fortsetzung dieses Aufsatzes ein.
Albach, Horst (1989), Technische Entwicklung und Wettbewerb, Discussion Paper FS IV, Wissenschaftszentrum Berlin.
Friedrichs, Padberg (2016), Aus dem Schatten ans Licht, in: Zeitmagazin Nr. 25, 2016, S. 17-25.
Ralf Fücks (2013) Intelligent wachsen – Die grüne Revolution, München.
Gahrmann, Arno, Osmers, Henning (2004), Zukunft kann man nicht kaufen. Ein folgenschwerer Denkfehler in der globalen Ökonomie, Bad Hennef.
Giersch, Herbert (1979), Aspects of Growth, Structural Change and Employment, in: Weltwirtschaftliches Archiv, 115. Jg., S. 629-652.
Glaeske, Gerd, Schicktanz, Christel (2014), Barmer GEK Arneimittelreport 2014[ a ], Berlin 2014. (Präsentation [ b ]hierzu)
Grupp, Hariolf (1997), Messung und Erklärung des technischen Wandels, Grundzüge einer empirischen Innovationsökonomik, Berlin u.a.
Hippler, Marc (2010), Warum Druckertinte wertvoller ist als Öl[ c ], in: Die Zeit vom 25.5.2010.
Liebrich, Silvia (2013), Plötzlicher Tod der Glühbirne, Geplanter Verschleiß von Produkten[ d ], in: Süddeutsche Zeitung vom 27.4.2013.
Marx, Karl, Engels, Friedrich (1848), Manifest der kommunistischen Partei, zit. n. dem Reprint in Karl Marx, Kapital und Politik, Frankfurt a.M. 2008, S. 319-365.
Mason, Paul (2015), Postcapitalism, London, zit. n. d. dt. Übersetzung: Postkapitalismus, Berlin 2016.
Mazzucato, Mariana (2013), The Entrepreneurial State, London, New York, zit. n.d. dt. Übersetzung: Das Kapital des Staates, München 2014.
Perloff, Jeffrey M. (2014), Microeconomics with Calculus, 3rd global Edition, Boston u.a.
Rodriguez-Labajos, Beatriz, Temper, Leah, Argüelles, Lucia (2015), Die neuen Akteure im Kampf um Land, in: Atlas der Globalisierung, Weniger wird mehr, Berlin, S. 70-72.
Schumpeter, Joseph, A. (1934), Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, 9. Aufl., Berlin 1997 (unv. Nachdruck der 4. Aufl. v. 1934).
Springer Gabler Verlag (Hrsg.), Gabler Wirtschaftslexikon, Stichwort: Pareto-Optimum[ e ].
Tatje, Claas (2016), Verbraucher vernebelt, in: Die Zeit v. 31.7.2016, S. 28
Umweltbundesamt (2016), Elektrogeräte werden immer kürzer genutzt[ f ], Presseinformation 5/2016.
Umweltbundesamt (2014), Rebound Effekte[ g ].
©KOF ETH Zürich, 25. Okt. 2016