Photo: Art Renewal Center from Wikimedia Commons (CC 0) Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juli 2021 zur Erhöhung des Rundfunkbeitrages ist auf den ersten Blick niederschmetternd. Auf den zweiten Blick auch: Die Karlsruher Verfassungsrichter öffnen die Büchse der Pandora. Regelmäßige Beitragserhöhungen sind damit fast nicht mehr zu verhindern. Wer die Urteile des Gerichts historisch betrachtet, darf sich aber nicht wundern. Das Verfassungsgericht bleibt sich treu. Es hat schon oft über die Rundfunkordnung in Deutschland geurteilt und war dabei nie besonders innovativ. Gesellschaftlichen oder technischen Veränderungen folgte das Gericht oft nur sehr spät. Zu Beginn der Bundesrepublik Deutschland war es eine Auseinandersetzung zwischen dem Bund und den Ländern. Der Bund wollte
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Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juli 2021 zur Erhöhung des Rundfunkbeitrages ist auf den ersten Blick niederschmetternd. Auf den zweiten Blick auch: Die Karlsruher Verfassungsrichter öffnen die Büchse der Pandora. Regelmäßige Beitragserhöhungen sind damit fast nicht mehr zu verhindern. Wer die Urteile des Gerichts historisch betrachtet, darf sich aber nicht wundern. Das Verfassungsgericht bleibt sich treu. Es hat schon oft über die Rundfunkordnung in Deutschland geurteilt und war dabei nie besonders innovativ.
Gesellschaftlichen oder technischen Veränderungen folgte das Gericht oft nur sehr spät. Zu Beginn der Bundesrepublik Deutschland war es eine Auseinandersetzung zwischen dem Bund und den Ländern. Der Bund wollte sich die Kompetenz des Rundfunks aneignen, obwohl in Art. 30 und 70 ff. GG das Programm und die Organisation des Rundfunks Ländersache ist. Auch die Staatsferne und der Einfluss von Interessengruppen auf den Rundfunk war zu Beginn ein Thema, mit dem sich die Karlsruher Richter beschäftigt haben. Es dauerte 20 Jahre bis Karlsruhe sich endlich privater Anbieter annahm und 1981 ein Urteil dazu fällte. Die aufkommende Digitalisierung sowie die Kabel- und Satellitenangebote trugen dazu bei. Schon damals war das Verfassungsgericht skeptisch, ob die Vielfalt des Angebots gut ist. Die Karlsruher Richter waren paternalistisch geprägt und mißtrauten der Vielfalt des Marktes. Das Gericht verpflichtete den Gesetzgeber, die Rahmenbedingungen für den privaten Rundfunk gesetzlich auszugestalten. Die Vielfalt der bestehenden Meinungen müsse eine größtmögliche Breite und Vollständigkeit erfüllen, meinte das Verfassungsgericht damals. Wenige Jahre später konkretisierten die Karlsruher Richter ihr Urteil von 1981 und sprachen von einer Grundversorgung und der Gewährleistung der Meinungsvielfalt, die ARD und ZDF gewährleisten müssten.
Dabei war die Grundversorgung nicht als Minimalversorgung zu verstehen. Anfang der 1990er Jahre sicherte das Verfassungsgericht ARD und ZDF sogar eine Entwicklungsgarantie zu, die letztlich in einem Gebührenfeststellungsverfahren mündete. Dieses dreistufige Verfahren wurde auch durch die Umstellung vom Gebühren- auf ein Beitragsmodell nicht geändert. In der ersten Stufe findet eine Bedarfsfeststellung der Rundfunkanstalten statt. In der zweiten Stufe eine Prüfung durch eine unabhängige Kommission und in der dritten Stufe eine Verabschiedung durch die Landesparlamente. Es gibt wahrscheinlich kein dankbareres Modell des Wirtschaftens als das der „Bedarfsfeststellung“. Als wirtschaftlich handelnde Einheit kann nämlich jeder Bedarf definiert werden, sei es die wachsenden Pensionslasten, die Digitalisierung oder Marktveränderungen außerhalb des eigenen Kosmos. Man muss die Ausgaben nur zusammenschreiben. Wenn die „unabhängige“ Kommission dann noch richtig besetzt ist, kann eigentlich nichts mehr schief gehen. Dann wird das Feststellungsverfahren zur Gelddruckmaschine. Nur die Länderparlamente konnten diesen Irrsinn noch stoppen. Doch auch dieser Weg ist jetzt verbaut.
Das Urteil entmachtet die einzelnen Länderparlamente in ihrer demokratischen Willensbildung. Die Bundesländer können künftig nur in ihrer Gesamtheit eine Strukturreform durchsetzen. Aus einem Vetorecht eines einzelnen Landes gegen eine Gebührenerhöhung hat das Verfassungsgericht ein Vetorecht für eine Gebührenerhöhung gemacht. Künftig kann das kleine Land Bremen eine Strukturreform der Öffentlich-Rechtlichen verhindern oder eine Gebührenerhöhung erzwingen. Mit anderen Worten: Man kann nur noch den status quo erhalten oder ausbauen. Das ist ist absurd.
Dabei zeichnet das Gericht ein Zerrbild des Informationsangebots in Deutschland. Es spricht von Filterblasen, Fake News und Deep Fakes in „Zeiten vermehrten komplexen Informationsaufkommens“, als wäre die öffentlich-rechtliche Berichterstattung der Inbegriff der Objektivität. Man muss das Gendern im „heute journal“ oder im „Morgenmagazin“ nicht grundsätzlich verdammen, eine politische Botschaft und eine Gesinnung stecken dennoch dahinter.
Das Verfassungsgericht spricht sogar von einem „vielfaltssichernden und Orientierungshilfe bietenden Gegegengewicht“, als gäbe es keine Tageszeitung und Online-Angebote. Deren Beitrag zur Vielfalt und Objektivität wird vom Verfassungsgericht nicht einmal erwähnt. Dabei waren es die Privaten, die bereits live aus der Flutregion in der Eifel berichteten, als auf den ARD-Sendern noch die Tatorte aus der Jahrhundertwende liefen. Und als das Abzugsdesaster aus Afghanistan akut wurde, war CNN längst vor Ort, während die Öffentlichen im Abseits standen.
Das Verfassungsgericht verfestigt diese Struktur nun dauerhaft und nimmt anderen die Möglichkeiten, sich zu entwickeln. Die meisten Printmedien und Online-Formate sind gewiß nicht weniger objektiv und seriös als ARD und ZDF, doch sie müssen tagtäglich Leistungen erbringen, damit sie ihre Abonnenten und Werbekunden überzeugen. Wenn ein Elefant mit über 8 Milliarden Euro Beitragseinnahmen pro Jahr sich in diesen Markt bewegt, dann kann er alles verdängen. Das ist das Dilemma des jüngsten Urteils. Es führt nicht zu mehr Meinungsvielfalt, sondern zu weniger.