Photo: Markus Spiske from Unsplash (CC 0) Sonnenblumenfelder, Milchkannen und Fachwerkhäuser. Für viele eine absolute Idylle. Doch nicht überall können sich diese Oasen aus eigener Kraft halten. Wie fair ist eigentlich eine Politik, die andere zur Kasse bittet, um das zu finanzieren? Nicht nur Palermo kann Patina, sondern auch Pasewalk Die Ausflugs- und Feriensaison unter Corona-Bedingungen bringt vielen Mitbürgern wieder das eigene Land nahe. Man wandert zur Einhornhöhle an den Hängen des Harz, paddelt mit dem Kanu die Altmühl entlang, strampelt über den Schinderhannes-Radweg durch den Hunsrück oder trödelt durch die Altstadt von Mölln. Dabei wird auch vielen aufgefallen sein, dass sich die charmante Verfallsaura, die sie in den letzten Jahren bei ihren Aufenthalten in Spanien, Italien,
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Sonnenblumenfelder, Milchkannen und Fachwerkhäuser. Für viele eine absolute Idylle. Doch nicht überall können sich diese Oasen aus eigener Kraft halten. Wie fair ist eigentlich eine Politik, die andere zur Kasse bittet, um das zu finanzieren?
Nicht nur Palermo kann Patina, sondern auch Pasewalk
Die Ausflugs- und Feriensaison unter Corona-Bedingungen bringt vielen Mitbürgern wieder das eigene Land nahe. Man wandert zur Einhornhöhle an den Hängen des Harz, paddelt mit dem Kanu die Altmühl entlang, strampelt über den Schinderhannes-Radweg durch den Hunsrück oder trödelt durch die Altstadt von Mölln. Dabei wird auch vielen aufgefallen sein, dass sich die charmante Verfallsaura, die sie in den letzten Jahren bei ihren Aufenthalten in Spanien, Italien, Thailand oder der DomRep in ein entspanntes Urlaubsgefühl versetzt hat, durchaus auch im eigenen Land finden lässt. Nicht nur Palermo kann Patina, sondern auch Pasewalk. Verfallene Häuser findet man nicht nur in Goa, sondern auch in St. Goar. Deutschland strahlt nicht überall wie auf der Ludwigstraße in München und in den Neubaugebieten bei Heidelberg.
Nicht zuletzt die Wahlerfolge populistischer Parteien bei der letzten Bundestagswahl in Ost- wie auch in Westdeutschland haben die Politik aufgeschreckt, so dass der damalige CSU-Vorsitzende Horst Seehofer sich gleich ein Heimatministerium gezimmert hat. Das Jammertal der Mühseligen, Beladenen und Vergessenen sollte so aufgehübscht und herausgeputzt werden, dass sie sich künftig voller Begeisterung wieder um die politische Mitte herumscharen. Das Zauberwort lag ja schon seit langer Zeit im Grundgesetz herum: „die Herstellung [sic!] gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet“ (Art. 72 Abs. 2 GG). Was gibt es Schöneres im Leben eines Politikers, als wenn einem plötzlich eine gesetzliche Regelung in den Schoß fällt, die man noch nicht einmal selber basteln und durchsetzen musste, und die es einem ermöglicht, die große Wahlgeschenke-Gießkanne in Gang zu bringen?
Landleben ist beschwerlich – Stadtleben auch
Wer für die gleichwertigen Lebensverhältnisse kämpft, hat vielerlei überzeugende Argumente auf seiner Seite, schließlich geht es um Menschen: Um den Rentner im Odenwald, der nur eine Busverbindung am Tag nutzen kann, um zu seinem Hausarzt zu fahren. Um die mittelständische Unternehmerin in der Oberlausitz, die dringend einen Glasfaseranschluss für ihr Unternehmen bräuchte. Und um Schüler auf den Ostfriesischen Inseln, die kein Gymnasium zur Verfügung haben. Viele Aspekte des Landlebens sind wenig attraktiv und stellen die Menschen dort vor Herausforderungen, die für Stadt- und Speckgürtel-Bewohner überhaupt gar nicht vorstellbar sind.
Doch umgekehrt gilt das auch: Die Miet- und Kaufpreise in München und im Landkreis Holzminden unterscheiden sich wahrscheinlich stärker als zwischen den ärmsten und reichsten Ländern der EU. Die Belastung durch Lärm, Abgase und andere Stress- und Krankheitsfaktoren sind natürlich in den Kleinstädtchen im deutschen Mittelgebirge ebenso wenig ein Thema wie die Frage, ob der Spielplatz vielleicht schon wieder vermüllt oder verwüstet wurde. In den meisten Bundesländern ist die Zahl der Transferempfänger sehr deutlich in den Städten konzentriert. Und als im März in Berlin und Hamburg die Regale leer standen wie vor der Währungsreform, konnte man in Adendorf bei Lüneburg noch alles bekommen – außer Hefe.
Lobbyismus leichtgemacht
Ein blumiges, über 160 Seiten langes Konzeptpapier mit dem ambitionierten Titel „Unser Plan für Deutschland – Gleichwertige Lebensverhältnisse überall“ ist im vergangenen Jahr von Innen-, Landwirtschafts- und Familienministerium vorgestellt worden. Dort finden sich steile Thesen wie: „Den Menschen sollen keine Nachteile daraus entstehen, in einer bestimmten Region ihren Lebensmittelpunkt zu haben.“ Und: „Deshalb sollen die Ressourcen der öffentlichen Hand vorrangig so eingesetzt werden, dass in allen Regionen gleichwertige Angebote und Entwicklungschancen geboten werden können.“ Man könnte das für das übliche Wortgewölk des politischen Betriebes halten, wenn sich dort nicht sehr schnell mit Pauken und Trompeten Einfallstore für einige der Kernfehler demokratischer Systeme auftun würden:
Das Ziel, strukturschwache Regionen zu fördern, ist eine herzliche Einladung an alle politischen Akteure, unter diesem Vorwand die eigene Wählerschaft zu bedienen. Frau Karliczeks Batterieforschungszentrum lässt grüßen. Wenn ländliche Räume gestärkt werden sollen, erfreut das zwar die Herzen vieler direkt gewählter Abgeordneter. Doch wieviel Einmischung tut da eigentlich gut? Unter ähnlichem Vorwand ist in Deutschland über Jahrzehnte hinweg der unrentable Bergbau künstlich am Leben erhalten worden. Bis zu 300 Milliarden Euro sind allein an Subventionen geflossen – damit immer neue Generationen von Kumpeln unter Tage ihre Lungen und über Tage die Umwelt schädigen konnten. Muss man wirklich ländliche Regionen an den Tropf hängen oder wäre es nicht auch denkbar, dass Dörfer verlassen werden? Schließlich war das in der Geschichte der Menschheit völlig normal, ehe der intervenierende Staat auf den Plan trat. Man wird in Zeiten zunehmender Sensibilität für die Umwelt auch schwerlich eine gute Begründung dafür finden können, warum es besser wäre, wenn die Prignitz zersiedelt wäre, als wenn man einfach zuließe, dass sie sich wieder stärker renaturiert – und den herrlichen Weiten Schwedens ähnlicher wird, wo wir so gerne in den Urlaub hinfahren.
Wer bezahlt das eigentlich?
Am Grund des ganzen Komplexes liegt eine zentrale demokratietheoretische Problematik. Denn es geht ja bei der „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse“ ganz besonders auch um Interventionen fiskalischer und regulatorischer Natur, die mit Einbußen für andere Bürger verbunden sind. Ist es fair, dass die Präferenzen, die jemand äußert, indem er im Vogelsbergkreis oder im bayerischen Wald lebt, mitfinanziert werden von Menschen in Darmstadt und Leipzig? Könnten diese dann nicht umgekehrt eine Subventionierung ihrer höheren Mieten verlangen? Wie gut tut es einem demokratischen Gemeinwesen langfristig, wenn einige Teile der Bevölkerung durch andere ausgehalten werden, obwohl kein unverschuldeter oder unabänderlicher Notfall vorliegt?
Vielleicht ist doch nicht ganz von der Hand zu weisen, was der auf regionale Ungleichheiten spezialisierte Dresdner Ökonom Prof. Joachim Ragnitz schreibt: „dass zumindest auf lange Sicht die Bevölkerung ihren Wohnort entsprechend ihrer jeweiligen Präferenzen wählt – was bedeutet, dass die Vorteile einer umfassenderen Daseinsvorsorge in anderen Regionen aus Sicht der betroffenen Menschen nicht so groß sind, dass diese die Kosten eines Umzugs aufwiegen.“ Oder umgekehrt und verschärft formuliert: Ist es wirklich so unzumutbar, aus dem Dorf in Sachsen-Anhalt nach Dessau zu ziehen, dass man dadurch rechtfertigen kann, dass junge Eltern, selbständige Kraftfahrzeugmechaniker und Lateinlehrerinnen durch ihre Steuern das Dorf auf Volltouren erhalten? Man sollte sich immer daran erinnern: Ob es um den Erhalt der Dorfidylle geht oder darum, bestimmte Wahlergebnisse zu verändern – irgendwer auf der anderen Seite muss dafür einen Verzicht leisten, und zwar ohne dafür etwas zu bekommen.