Es gehört zu den alljährlich wiederkehrenden Regierungsritualen, dass die Kanzlerin das Jahresgutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage im Kanzleramt entgegennimmt. Das ist meist so interessant wie die Neujahrsansprache des jeweiligen Kanzlers selbst. In der wiederkehrenden Langeweile kann es schon mal passieren, dass die alte Ansprache auch die neue ist. Dieses Gefühl hatte man zuweilen auch beim Gutachten der Wirtschaftsweisen. Seine Halbwertzeit ist meist kurz und die Positionen darin bekannt. Vier Ökonomen stützen traditionell das Gutachten, einer – der gewerkschaftsnahe Peter Bofinger – distanzierte sich immer vom Mehrheitsvotum seiner Professorenkollegen. Die Welt dreht sich anschließend weiter und abends wird es dennoch schneller dunkel. Doch dieses Mal überschreiben die Ökonomen ihr Gutachten mit „Zeit für Reformen“. Als wenn wir uns Anfang der 2000er Jahre befänden, als die Arbeitslosigkeit der 5-Millionengrenze entgegenging, das Wirtschaftswachstum lahmte und Deutschland der kranke Mann Europas war. Der Wunsch nach „Reformen“ war damals dem Zeitgeist geschuldet, heute ist der Wunsch danach fast schon aus der Zeit gefallen. Heute wird das Wort „Reform“ mit der „Stabilisierung des Rundfunkbeitrages“ oder dem „Verbot von Versandapotheken“ verballhornt.
Topics:
Frank Schäffler considers the following as important: blog, Geldsystem, Marktwirtschaft
This could be interesting, too:
Clemens Schneider writes Mary Ward
Clemens Schneider writes Film-Empfehlung: Rocco und seine Brüder
Clemens Schneider writes Ein Paradebeispiel für symbolpolitischen Interventionismus
Gastbeitrag writes Georg Friedrich Wilhelm Hegel, der Liberale
Es gehört zu den alljährlich wiederkehrenden Regierungsritualen, dass die Kanzlerin das Jahresgutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage im Kanzleramt entgegennimmt. Das ist meist so interessant wie die Neujahrsansprache des jeweiligen Kanzlers selbst. In der wiederkehrenden Langeweile kann es schon mal passieren, dass die alte Ansprache auch die neue ist. Dieses Gefühl hatte man zuweilen auch beim Gutachten der Wirtschaftsweisen. Seine Halbwertzeit ist meist kurz und die Positionen darin bekannt. Vier Ökonomen stützen traditionell das Gutachten, einer – der gewerkschaftsnahe Peter Bofinger – distanzierte sich immer vom Mehrheitsvotum seiner Professorenkollegen. Die Welt dreht sich anschließend weiter und abends wird es dennoch schneller dunkel.
Doch dieses Mal überschreiben die Ökonomen ihr Gutachten mit „Zeit für Reformen“. Als wenn wir uns Anfang der 2000er Jahre befänden, als die Arbeitslosigkeit der 5-Millionengrenze entgegenging, das Wirtschaftswachstum lahmte und Deutschland der kranke Mann Europas war. Der Wunsch nach „Reformen“ war damals dem Zeitgeist geschuldet, heute ist der Wunsch danach fast schon aus der Zeit gefallen. Heute wird das Wort „Reform“ mit der „Stabilisierung des Rundfunkbeitrages“ oder dem „Verbot von Versandapotheken“ verballhornt. Damals hieß der Wirtschaftsminister Wolfgang Clement, heute ist es Sigmar Gabriel. So ändern sich die Zeiten.
Echte Reformen jetzt wieder auf die Tagesordnung zu setzen, ist daher schon ein mutiges Unterfangen, weil es gegen den Zeitgeist gerichtet ist. Der Unterschied zu damals ist aber, dass die Probleme nicht mehr nur einzelstaatlicher Natur sind. Und genau das verkennen die Sachverständigen. Es sind nicht mehr nur die Strukturprobleme des Rentenversicherungssystems in Deutschland, Frühverrentung und Überfrachtung des Systems durch immer neue Wohltaten. Auch nicht das Steuersystem, das Bürger zu Buchhaltern des Finanzamtes degradiert. Es ist auch nicht die Verkrustung der Marktwirtschaft durch Zugangsbeschränkungen und Abschottung, die eine schöpferische Zerstörung im Schumpeterschen Sinne nicht mehr zulässt, und damit neue, kreative Unternehmer verhindert. Und es ist erst recht nicht der zunehmende Paternalismus, der am Besten in der Aufforderung der Kanzlerin zum Ausdruck kommt, auf CDU-Weihnachtsfeiern auch mal ein schmissiges „Tamtatata oder Schneeflöckchen, Weißröckchen“ zu singen.
Es sind die globalen Herausforderungen, die Reformen notwendig machen. Die weltweite Geldschwemme der Notenbanken ist eine der größten Bedrohungen der Freiheit, der Marktwirtschaft und damit des Friedens. Weniges beeinflusst das Zusammenleben und das Wirtschaften auf der Welt so sehr. Und weniges kann alles so sehr zerstören. Doch darauf gehen die Professoren nur am Rande ein. Schade. Dabei führt die Manipulation der relativen Preise durch die Notenbanken zu einem Wettlauf um den schnellsten und entschiedensten Markteingriff. Doch diese Markteingriffe sind immer nur kurzfristige Vorteile, die zu Gegenreaktionen des Manipulierten führen. In diesem System wird der Manipulierte von heute zum Manipulierer von morgen.
Diese Kritik an den Notenbanken hatte bereits Ludwig von Mises Anfang des letzten Jahrhunderts formuliert. In dieser Woche kam auch die Deutsche Bank zur Gruppe der Häretiker hinzu. Wer hätte das noch vor wenigen Jahren gedacht? Waren es doch die Banken in Deutschland, die das goldene Kalb im Gewand der EZB anbeteten und lobpriesen. In bisher ungeahnter Schärfe haben die Deutschbanker vor den Auswirkungen der Politik der Europäischen Zentralbank gewarnt. Sie ersticke die Reformdynamik, füge den Sparern allein bis 2018 voraussichtlich zwei Billionen Euro Schaden zu und sie hindert Banken daran, notwendige Abschreibungen auf faule Kredite vornehmen zu müssen. Allein in Europa beziffert der Wirtschaftsprüfer KPMG dieses Volumen auf 1,2 Billionen Euro.
Selbsterkenntnis ist bekanntlich der erste Schritt zur Besserung. Den tut die Kanzlerin nicht. Sie will sich nicht von den Professoren die Butter vom Brot nehmen lassen und übt sich daher bei der Übergabe des Sachverständigengutachtens in Selbstsuggestion, indem sie ihnen zurief: “Ich denke, die Bundesregierung fühlt und denkt so, dass sie permanent Reformen angeht.“