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Erwiderung zum Faktencheck: Unterschätzte Ökonomen?

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In einem kürzlich erschienenen Ökonomenstimme-Artikel hat Hans-Werner Sinn auf einen Spiegel Online-Beitrag[ a ] von Thomas Fricke reagiert, in welchem dieser den deutschen Ökonomen ungenügende Prognosen vorgeworfen hat. Hier folgt eine Duplik von Thomas Fricke auf den Beitrag von Hans-Werner Sinn. Klar, dass Hans-Werner Sinn nicht begeistert ist von der These, wonach führende deutsche Ökonomen in den vergangenen Jahren nicht gerade durch sehr treffsichere Diagnosen der großen Probleme aufgefallen sind. Fragt sich nur, ob die Argumente, die er zur Verteidigung aufführt, stichhaltig sind. Mal abgesehen davon, dass sich je nach Umfrage ein nennenswerter Teil der deutschen Ökonomenschaft selbst in einer Glaubwürdigkeitskrise sieht. Schön wäre schon mal, wenn bei einem Faktencheck

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In einem kürzlich erschienenen Ökonomenstimme-Artikel hat Hans-Werner Sinn auf einen Spiegel Online-Beitrag[ a ] von Thomas Fricke reagiert, in welchem dieser den deutschen Ökonomen ungenügende Prognosen vorgeworfen hat. Hier folgt eine Duplik von Thomas Fricke auf den Beitrag von Hans-Werner Sinn.

Klar, dass Hans-Werner Sinn nicht begeistert ist von der These, wonach führende deutsche Ökonomen in den vergangenen Jahren nicht gerade durch sehr treffsichere Diagnosen der großen Probleme aufgefallen sind. Fragt sich nur, ob die Argumente, die er zur Verteidigung aufführt, stichhaltig sind. Mal abgesehen davon, dass sich je nach Umfrage ein nennenswerter Teil der deutschen Ökonomenschaft selbst in einer Glaubwürdigkeitskrise sieht.

Schön wäre schon mal, wenn bei einem Faktencheck auch nur Fakten widerlegt werden, die der Autor auch im Text stehen hatte. In meiner Kolumne kommt Axel Börsch-Supan zum Beispiel gar nicht vor. Und ich bedauere auch nicht, dass jemand nicht entlassen wurde. Auch steht im Text nicht, dass die Agenda „überflüssig“ war, sondern dass sie damals mit dem (zweifelhaften) Argument angetrieben wurde, dass Deutschland angesichts der Globalisierung als Exporteur abzustürzen drohe und mehr für die Wettbewerbsfähigkeit tun müsse. Das war auch die zentrale Diagnose in Hans-Werner Sinns Buch, ob wir noch zu retten sind.

Als sich herausstellte, dass der deutsche Export eben doch gar nicht darnieder ging, folgte die These von der Basarökonomie – Motto: ok, die Exporte sinken zwar nicht, aber trotzdem bringt uns das ganze Exportieren nichts mehr, weil bei diesem oder jenem Auto ohnehin alle Teile aus dem Osten kommen, es also kaum noch Wertschöpfung bei uns gibt. Was als Phänomen auch stark überschätzt wurde. Klar, wurden durch die zunehmende Arbeitsteilung mehr Zwischenprodukte importiert. Nur ist es von da zu einer Basarökonomie eben doch ein weiter weg. De facto haben Deutschlands Exporteure seither ganz maßgeblich zu Wertschöpfung, Wachstum und Jobs in Deutschland beigetragen.

Dass Deutschland gar nicht Exportweltmeister war, wenn man zu den Waren auch die Dienstleistungen dazu zählt, ist ein bisschen arg feinsinnig. Aber das räumt Sinn dann ja selber ein. Erstens war und ist es immer noch üblich, die Warenexporte als eine maßgebliche Referenz zu nehmen, wenn es um die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie geht, um die es damals ja ging. Zweitens sind die Exporte prozentual einfach selten so stark gestiegen wie just in den 2000er-Jahren – was schon vor Umsetzung der Agenda begann. Deutschlands Mittelständler waren auch ohne Agenda international schon Spitze.

Dass Deutschlands hohe Arbeitslosigkeit in den Jahren um 2003 an sich ein Beleg für mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der Industrie ist, ist logisch ja ebenfalls nicht zwingend. Dafür kann es andere Gründe gegeben haben – vom schlechten makroökonomischen Management der Krise über die zwischenzeitlich starke Euro-Aufwertung und die negativen Nachfrageeffekte der Lohnmäßigung bis zu den Spätfolgen der Baukrise (die damals nach gängigen Berechnungen jährlich ein halbes Prozent Wachstum wegnahm).

Womöglich gab es auch ein Problem, geringer Qualifizierte in Arbeit zu bringen. Nur hat das wiederum wenig mit dem Export und der Wettbewerbsfähigkeit zu tun, sondern mit möglichen Anreizproblemen in Sektoren, die oft gar nicht exportieren. Umgekehrt ist die Quote der Langzeitarbeitslosen trotz der Agenda in Deutschland immer noch vergleichsweise hoch. Da hat sich ja in den Arbeitsagenturen längst die Einsicht breitgemacht, dass die Rezepte der Agenda (vor allem mehr Druck zu erzeugen) für viele Betroffene gar nichts bewirken.

Was die Finanzkrise angeht, ist es schon mutig zu behaupten, dass „die“ Ökonomen das Drama nicht verschlafen haben (wobei notiert sei, dass ich an dieser Stelle im Text gar nicht Hans-Werner Sinn namentlich kritisiert habe). In den Artikeln, die Sinn hier zu seiner Verteidigung anführt, sind viele Mechanismen in der Tat beschrieben. Nur hat auch er damals nicht ansatzweise projiziert, welch dramatische systemische Krise sich daraus im September 2008 entwickeln sollte. Da ist von Abschwung oder Rezession die Rede. Und hier liegt ja ein wichtiger Unterschied: es gibt ja durchaus Anlass, diese Krise (wie die daraus folgende Euro-Krise) als Indiz für das Scheitern der „efficient market hypothesis“ in seiner reinen Form einzustufen, wie das etliche Ökonomen international tun, während die Krise das Vertrauen in die Effizienz der Finanzmärkte bei führenden deutschen Ökonomen bis heute kaum erschüttert zu haben scheint.

Und zum Mindestlohn: mir scheint, dass auch hier unterschätzt wird, welchen Vertrauensverlust Ökonomen hier erlitten haben, indem sie vor der Einführung alle möglichen schrecklichen Dinge prophezeit haben, zu denen es dann nicht kam. Da hilft auch der nachgeschobene Verweis darauf nichts, dass es halt nur dank der guten Konjunktur im Jahr der Einführung des Mindestlohns so glimpflich ausging. Dass die Konjunktur gut lief, war ja auch schon absehbar, als in den Monaten vor Einführung fürchterliche Prophezeiungen ausgesprochen wurden. Zumal die Prophezeiungen auch suggerierten, dass es wegen des Mindestlohns bald vorbei sein würde mit der guten Konjunktur. Auch das ist nicht so gekommen.

Es gibt bekanntlich widersprüchliche Literatur zu den Effekten eines Mindestlohns. Die deutsche Erfahrung der vergangenen Jahre dürfte eher die mäßigenden Studien bestätigen.

Dazu noch etwas, was für viele der genannten Beispiele hier gilt: es gehört zu den umwerfenden Talenten von Hans-Werner Sinn, aus akademisch empirisch fundierten Grunddiagnosen populäre Fortsetzungen zu spinnen, die irgendwann ganz weit weg von der akademischen Exzellenz sind (der Grieche weiß, was gemeint ist) – und wenn es dafür dann, wie bei Basarökonomie oder Target, ordentlich Gegenwind von den Fachkollegen gibt, zieht sich der geschätzte Professor wieder auf methodische Details und gemäßigtere Positionen zurück, die in der Öffentlichkeit dann aber nicht mehr wahrgenommen werden. Die Botschaft, die politisch zuvor abgesetzt wurde, ist nur dann natürlich immer noch in der Welt.

Natürlich kommt in der Politik und Öffentlichkeit nicht an, dass es ohne Mindestlohn bei modellmäßiger Spezifizierung der Wirkungszusammenhänge unter differenzieller Analyse langfristig bis zu soundsoviel vollzeitäquivalente Arbeitsplätzen mehr kommen würde. Die Schlagzeilen lauteten, dass der Mindestlohn fast eine Million Arbeitsplätze kostet. Und es wäre ein Schelm, wer behauptet, dass dies völlig gegen den Willen des Herrn Sinn und seiner damals mitpolternden Kollegen so passierte. Wer so eine Zahl in die Welt setzt, weiß, wie das politisch ankommt.

Achja, und zum Handel nur ebenso kurz: ja, die ökonomische Theorie hat nie geleugnet, dass es beim globalen Handel auch Verlierer gibt. Das Problem ist, dass sich Mainstream-Ökonomen damit begnügt haben, dass es per saldo mehr Gewinner gibt. Und das war eine fatale Unterschätzung der Tatsache, dass auch eine Minderheit nicht verlieren möchte.

Nach der großen Krise der 1930er-Jahre haben auch die Liberalen einen Neuanfang gesucht – bei jenem Walter Lippmann Colloquium, dessen 80. Jahrestag kürzlich geehrt wurde. So etwas Ähnliches täte der Ökonomie heute auch gut.

©KOF ETH Zürich, 19. Okt. 2018

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