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Die Tücke der politischen Versprechen

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Am Gotthard sollen vier Spuren gebaut, aber nur zwei genutzt werden. Warum das ein Märchen ist und was das mit der Geldpolitik zu tun hat. Bild: wikimedia.orghttps://en.wikipedia.org/wiki/Gotthard_Road_Tunnel#/media/File:Gotthard_Road_Tunnel_Inside.JPG – Eric T. Gunther Die Würfel sind gefallen. Nach dem komfortablen «Ja» des Schweizer Stimmvolks zur zweiten Röhre fahren am Gotthard bald die Bohrmaschinen auf. Gemäss dem vorliegenden Projekt soll nach Fertigstellung im Jahre 2030 in beiden Röhren nur je eine Spur befahren werden. Mit anderen Worten, in jeder Röhre befindet sich eine unbenutzte Spur, die für teures Geld fertiggestellt wurde. Nun stellen Sie sich folgende Situation vor: Wir schreiben den Beginn des Osterwochenendes im Jahre 2036. Regenschauer prägen die Grosswetterlage nördlich der Alpen. Tausende Kurzentschlossene wollen sich deshalb einen Kurztrip in den Süden nicht nehmen lassen. Nur eines trübt die Vorfreude der Reisenden: Eine 10 Kilometer lange Blechkolonne vor dem Gotthardnordportal. Statt Gelato schlemmen auf der Piazza in der südlichen Sonnenstube, sind nervenaufreibende Stunden im Stau in den verregneten Urner Alpen angesagt. Wird nach Fertigstellung des Projekts tatsächlich nur je eine Spur in Betrieb genommen, werden spätestens beim ersten Osterstau politische Forderungen laut, die zwei brachliegenden Spuren für den Verkehr freizugeben.

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Am Gotthard sollen vier Spuren gebaut, aber nur zwei genutzt werden. Warum das ein Märchen ist und was das mit der Geldpolitik zu tun hat.

Die Tücke der politischen Versprechen

Bild: wikimedia.orgDie Tücke der politischen Versprechenhttps://en.wikipedia.org/wiki/Gotthard_Road_Tunnel#/media/File:Gotthard_Road_Tunnel_Inside.JPG – Eric T. Gunther

Die Würfel sind gefallen. Nach dem komfortablen «Ja» des Schweizer Stimmvolks zur zweiten Röhre fahren am Gotthard bald die Bohrmaschinen auf. Gemäss dem vorliegenden Projekt soll nach Fertigstellung im Jahre 2030 in beiden Röhren nur je eine Spur befahren werden. Mit anderen Worten, in jeder Röhre befindet sich eine unbenutzte Spur, die für teures Geld fertiggestellt wurde.

Nun stellen Sie sich folgende Situation vor: Wir schreiben den Beginn des Osterwochenendes im Jahre 2036. Regenschauer prägen die Grosswetterlage nördlich der Alpen. Tausende Kurzentschlossene wollen sich deshalb einen Kurztrip in den Süden nicht nehmen lassen. Nur eines trübt die Vorfreude der Reisenden: Eine 10 Kilometer lange Blechkolonne vor dem Gotthardnordportal. Statt Gelato schlemmen auf der Piazza in der südlichen Sonnenstube, sind nervenaufreibende Stunden im Stau in den verregneten Urner Alpen angesagt.

Wird nach Fertigstellung des Projekts tatsächlich nur je eine Spur in Betrieb genommen, werden spätestens beim ersten Osterstau politische Forderungen laut, die zwei brachliegenden Spuren für den Verkehr freizugeben. Noch nie wird es so einfach und so günstig gewesen sein, den Verkehr zu verflüssigen und ein Nadelöhr zu beseitigen. Die Alpenschützer werden protestieren, man hätte dem Volk damals versprochen, die Kapazität für den alpenüberquerenden Strassenverkehr nicht zu erhöhen. Tatsächlich, die Journalisten wurden im Abstimmungskampf nicht müde, den politischen Entscheidungsträgern das Versprechen abzunehmen, dass die zwei zusätzlichen Spuren geschlossen bleiben. Das gehört sicherlich zum Pflichtenheft eines kritischen Journalisten, doch es ist wirkungslos.

In 20 Jahren sind neue Politiker am Ruder, zum Teil sind diese heute noch gar nicht stimmberechtigt. Entsprechend unbedeutend wird im Jahre 2036 das Argument sein, dass Bundesrätin Doris Leuthard – die gesetzteren Jahrgänge  werden sich dann noch an sie erinnern können – ursprünglich von einem Einspurbetrieb gesprochen hat. Übrigens hat der damalige Bundesrathttps://www.iconomix.ch/de/service/glossar/details/detail/default/bundesrat/ Hans Hürlimann vor der Eröffnung des Gotthard-Strassentunnels beteuert, dass dieser nicht für den Schwerverkehr vorgesehen sei…

Das Problem hat einen Namen

Die Krux des geschilderten Sachverhalts nennt sich Zeitinkonsistenzproblem. Darunter versteht man die Problematik, die entsteht, weil sich die Politik nicht verbindlich verpflichten kann, an einem heute formulierten Plan festzuhalten. Konkret auf die zweite Gotthardröhre angewendet heisst das: Man machte dem Volk das Projekt mit dem vorgesehenen Einspurbetrieb schmackhaft. Damit rückte man das Thema Verkehrssicherheit ins Zentrum und versuchte die Befürchtungen einer steigenden Verkehrsbelastung zu zerstreuen.

Die Stimmbürger antizipieren jedoch, dass sich die Politik nicht an diesen Plan halten kann. Wenn die zwei Röhren da sind und sich vor dem Gotthard der Verkehr staut, dann wird die Verlockung zu gross, im Handstreich das Nadelöhr zu beseitigen. Die meisten Nein-Stimmen waren deshalb wohl nicht eine Absage an das vorgesehene Projekt, sondern an die antizipierten vier Spuren. Im selben Sinne waren viele Ja-Stimmen auch ein «Ja» zu vier Spuren.

Vom Gotthard zur Geldpolitik

Obwohl von verschiedenen politischen Seiten immer wieder Kritik und Forderungen an die Nationalbankhttps://www.iconomix.ch/de/service/glossar/details/detail/default/nationalbank/ herangetragen werden, im Grundsatz ist man sich einig: Die Geldpolitik muss von der Politik unabhängig sein. Warum eigentlich? Auch die Geldpolitik hätte sonst ein grosses Zeitinkonsistenzproblem.

In einem ersten Schritt spielt es keine Rolle, ob eine unabhängige Zentralbank oder eine vom Volk gewählte Regierung die Geldpolitik macht. Beide haben ein Interesse, sich zu einer auf Preisstabilität ausgerichteten Geldpolitik zu bekennen. Dadurch verankern sich bei Unternehmen und Arbeitnehmern stabile Inflationserwartungen, ein wichtiger Nährboden für wirtschaftliches Gedeihen. Sobald sich jedoch   die Inflationserwartungen gebildet haben, schlägt bei der gewählten Regierung die Zeitinkonsistenzfalle zu.

Vor den nächsten Wahlen winkt die Verlockung, durch eine Ausweitung der Geldmenge der Wirtschaft einen Schub zu verleihen. Das funktioniert besonders gut, wenn die tiefen Inflationserwartungen gut verankert sind und die Geldmengenausweitung überraschend kommt. Eine boomende Wirtschaft und sinkende Arbeitslosenzahlen sind für die amtierende Regierung immer ein gutes Wahlargument. Doch nach dem Höhenflug kommt der Kater: Das Anwerfen der Geldpresse macht sich bald in der Inflationsrate bemerkbar. Der springende Punkt ist jedoch, dass dies erst mit einigen Jahren Verzögerung auftritt. Das Problem der steigenden Inflationhttps://www.iconomix.ch/de/service/glossar/details/detail/default/inflation/ hat so mit den Wahlen nichts mehr zu tun.

Darin liegt der Kern des geldpolitischen Zeitinkonsistenzproblems: Im Vornhinein kündigt man tiefe Inflationsraten an, doch dann werden die Anreize gross, mittels der Geldpresse auf Kosten der Preisstabilität die Staatsausgabenhttps://www.iconomix.ch/de/service/glossar/details/detail/default/staatsausgaben/ zu finanzieren und einen Boom herbeizuführen. Dies wiederum führt dazu, dass die Geldpolitik Mühe hat, bei den Wirtschaftsakteuren überhaupt tiefe Inflationserwartungen zu verankern. Denn diese antizipieren das entstehende Anreizproblem.

Zur Lösung muss die Zentralbank von diesen zeitinkonsistenten Anreizen befreit werden. Man tut dies heute in den meisten Ländern, indem man sie personell und institutionell von den Regierungen entkoppelt. Nur eine unabhängige Zentralbank kann der Versuchung der Druckerpresse widerstehen. Empirische Untersuchungen zeigen einen negativen Zusammenhang zwischen der Unabhängigkeit der Zentralbank und der durchschnittlichen Teuerung. In anderen Worten, je stärker die Notenbank mit Parlamenthttps://www.iconomix.ch/de/service/glossar/details/detail/default/parlament/ und Regierung verbandelt ist, desto mehr Inflationhttps://www.iconomix.ch/de/service/glossar/details/detail/default/inflation/ produziert sie im Durchschnitt. Folgende Grafik veranschaulicht den Zusammenhang zwischen der durchschnittlichen Inflationsrate und einem Index für Zentralbankunabhängigkeit.

Die Tücke der politischen VersprechenDie Tücke der politischen Versprechen

Je unabhängiger die Zentralbank, desto tiefer die Inflationsrate. Bild: Federal Reserve Board, St. LouisDie Tücke der politischen Versprechenhttps://www.stlouisfed.org/annual-report/2009/central-bank-independence-and-inflationhttps://www.iconomix.ch/de/service/glossar/details/detail/default/inflation/

Die Schweiz erreicht bei der Inflationhttps://www.iconomix.ch/de/service/glossar/details/detail/default/inflation/ einen Spitzenwert. Die einzige noch stabilere Währung war mit rund 3% Durchschnittsinflation in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts die Deutsche Mark. Es ist kein Zufall, dass es sich bei der Schweizer Nationalbankhttps://www.iconomix.ch/de/service/glossar/details/detail/default/nationalbank/ und der Deutschen Bundesbank um die unabhängigsten Institute handelt(e). Im Gegensatz dazu erlagen die stark mit den Regierungen verbandelten geldpolitischen Entscheidungsträger in mediterranen Staaten wie Italien oder Spanien aber auch in Grossbritannien immer wieder der Verlockung der Geldpresse. Die Folge:  Eine Durchschnittsinflation von 6-9%.

Unabhängigkeit als Lösung von Zeitinkonsistenzproblemen. Bei der Geldpolitik scheint dies ganz gut zu funktionieren. Der Zeithorizont beim Gotthard ist jedoch so lange, dass selbst eine unabhängige Institution nicht glaubwürdig versprechen könnte, auf das Freigeben von zwei brachliegenden Fahrspuren zu verzichten.


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  •  SRF 4 Tagesgespräch.Die Tücke der politischen Versprechenhttp://www.srf.ch/sendungen/tagesgespraech/nationaloekonom-peter-bernholz (13.01.2012 – Dauer: 26:54) Nationalökonom Peter Bernholz. Ab 5:50 spricht er ca. vier Minuten lang über die Unabhängigkeit von Zentralbanken.

David Staubli, Ökonom, MSc der Universität Basel, Doktorand und Lehrassistent an der Universität Lausanne.

Dies ist ein Gastbeitrag. Inhaltlich verantwortlich ist der jeweilige Autor, die jeweilige Autorin.

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