Von Jorge Arprin – Nach einer Woche steht der neue Gillette-Werbespot bei 1,1 Millionen Dislikes gegenüber 660.000 Likes: [embedded content]Die Kritik an toxischer Männlichkeit teile ich. Gewalt, Mobbing, Belästigung sind zu verurteilen. Die Personen, die den Werbespot kritisieren, wollen ganz eindeutig all diese furchtbaren Dinge nicht verteidigen, sondern lehnen die allzu pauschale Darstellung von Männern als Schläger und Mobber ab. In der Tat, wenn der Werbespot in den 1950ern gezeigt worden wäre, wäre er passend gewesen, aber damals hätte es dazu Mut gebraucht, da die Botschaft
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Von Jorge Arprin – Nach einer Woche steht der neue Gillette-Werbespot bei 1,1 Millionen Dislikes gegenüber 660.000 Likes:
Die Kritik an toxischer Männlichkeit teile ich. Gewalt, Mobbing, Belästigung sind zu verurteilen. Die Personen, die den Werbespot kritisieren, wollen ganz eindeutig all diese furchtbaren Dinge nicht verteidigen, sondern lehnen die allzu pauschale Darstellung von Männern als Schläger und Mobber ab. In der Tat, wenn der Werbespot in den 1950ern gezeigt worden wäre, wäre er passend gewesen, aber damals hätte es dazu Mut gebraucht, da die Botschaft damals keine allgemein akzeptierte Ansicht gewesen wäre, die man kommerzialisieren kann. Aber ohne mich jetzt an einem Gillette-Boykott zu beteiligen oder von einer Unterdrückung von Männern zu sprechen, gibt es für mich einen anderen Punkt, der mich an dem Werbespot stört: Er stellt Gewalt, Mobbing und Belästigung als überwiegend männliche Domäne dar. Diese Ansicht wird von viele geteilt – ist aber komplett falsch.
Schon vor 19 Jahren (!) erschien bei Novo Argumente ein Artikel, der Erstaunliches berichtete: Häusliche Gewalt ist weiblich:
Insgesamt 95 wissenschaftliche Forschungsberichte, 79 empirische Studien und 16 vergleichende Analysen in kriminologischen, soziologischen, psychologischen und medizinischen Fachzeitschriften aus den USA, Kanada, England, Dänemark, Neuseeland und Südafrika zeigen auf, dass in Beziehungen die Gewalt entweder überwiegend zu gleichen Teilen von beiden Partnern oder aber hauptsächlich von der Frau ausging. Die Studien stimmen in ihren Erkenntnissen so deutlich überein, dass in der Fachwelt an diesen Verhältnissen nicht der geringste Zweifel mehr existiert. Dass weder Öffentlichkeit noch Politik diese wissenschaftlichen Ergebnisse bisher zur Kenntnis genommen haben, ist vermutlich einer der größten Skandale in der Geschlechterdebatte überhaupt.
Die akribisch dargestellten Ergebnisse aus den Studien zeigen deutlich: Frauen schlagen mindestens genauso häufig zu wie Männer. Das dürfte für viele überraschend kommen, da sie sich fragen könnten, wo die ganzen Hilfsstellen für geschlagene Männer sind oder die Kampagnen gegen Gewalt von Frauen, aber es ist dennoch die bittere Wahrheit. Jüngere Studien bestätigen diesen Sachverhalt. Eine 1973 gestartete, über 40 Jahre gehende Studie, bei der 1.000 in der Stadt Dunedin (Neuseeland) geborene Menschen über viele Aspekte befragt wurden, ergab, dass 40% der Männer mindestens eine Form von körperlichem Missbrauch begangen hatten (von Ohrfeigen, Schlägen bis zu erzwungenem Sex), aber 50% der Frauen. Die Lage sieht aber noch schlimmer aus: Nicht nur wenn es um Tritte und Schläge geht sind Frauen vorn dabei, sondern auch bei sexueller Gewalt.
Dieser Sachverhalt wundert sicher noch mehr als der vorherige. Frauen als Sexualstraftäter? Und unter den Opfern sind Männer? Aber Männer wollen es doch so gut wie immer, oder? Und wie soll ein Mann vergewaltigt werden, Männer sind doch stärker und müssen eine Erektion haben, um Frauen sexuell zu stimulieren, oder? Nun, die Sache ist auch hier kontraintuitiv, aber eindeutig. Frauen können andere Personen, männlich oder weiblich, zu Sex zwingen, und sie tun es in etwa demselben Umfang wie Männer. In den USA zeigen Daten aus Justizbehörden und Gesundheitsorganisationen, dass Männer genauso häufig Opfer von nicht-einvernehmlichen Sex werden wie Frauen. Die Täter sind in dem Fall nicht, wie viele erwarten würden, mehrheitlich Männer, sondern Frauen.
Wie kann eine Frau einen Mann vergewaltigen? In einigen Fällen geschieht es wie im umgekehrten Fall: Die Frau stürzt sich gewaltsam auf den Mann. Aufgrund der unterschiedlichen Kräfteverhältnisse geschieht es aber meistens auf andere Art, und zwar durch „erzwungene Penetration“: Die Frau macht den Mann wehrunfähig, stimuliert ihn anschließend und legt sich dann auf ihn (wenn der Mann hierbei eine Erektion bekommt, bedeutet das ebenso wenig Zustimmung wie die Tatsache, dass Frauen während einer Vergewaltigung einen Orgasmus bekommen können). Zahlen aus 2011 zeigen, dass die Zahl der Frauen, die Opfer von Vergewaltigung wurden (95% der Täter waren Männer), fast gleich war wie die Zahl der Männer, die Opfer von erzwungener Penetration wurden (hierbei waren 79% der Täter Frauen).
Unter den Opfern von weiblicher sexueller Gewalt befinden sich auch andere Frauen sowie Kinder. Die Daten aus den Justizbehörden in den USA beförderten folgendes zutage: Weibliche Gefängnisinsassen werden etwa dreimal häufiger von anderen weiblichen Insassen sexuell missbraucht als es unter männlichen Insassen der Fall ist (natürlich in relativen Zahlen). Zahlen zu Kindesmissbrauch durch Frauen variieren stark, aber wir können davon ausgehen, dass Frauen in über 20% der Fälle die Täter sind. Wer ein bisschen recherchiert, findet massenhaft Fälle von sexuellem Missbrauch von Nonnen an Kindern (z.B. hier, hier, hier), ihr Anteil an allen Fällen in der Kirche ist unbekannt. Allerdings kann man festhalten: Es passiert häufig, ist aber kaum öffentlich bekannt.
Damit kommen wir zurück zur toxischen Männlichkeit. Es gibt im Westen niemanden mehr, der Schläge und sexuelle Gewalt von Männern verteidigt. Sicher gibt es noch einige, die solche Vorfälle verharmlosen oder ihre Häufigkeit leugnen, was man kritisieren muss, aber niemand sagt mehr „Ein paar Schläge können auch mal gut tun“ oder „Wer sich knappe Kleidung anzieht, hat selber Schuld.“ Wir sind über der Phase „Problembewusstsein schaffen“ hinaus. Aber nur, wenn es um Männer geht. Schläge und sexuelle Gewalt von Frauen sind noch immer ein Witz. Ich meine das ernst: Im Fernsehen ist es ein Lacher, wenn ein Mann von seiner Frau geschlagen wird, wie z.B. Doug Heffernan von seiner Frau Carrie in der Sitcom „King of Queens“ (einmal landet Doug sogar im Krankenhaus, nachdem er die Treppe herunter geschubst wurde), und der Film „40 Tage und 40 Nächte„, indem ein Mann im Schlaf von seiner Ex vergewaltigt wird, ist eine romantische Komödie.
Wäre es nicht an der Zeit, Schläge und sexuelle Gewalt von Frauen ebenso hart zu verurteilen wie Schläge und sexuelle Gewalt von Männern? Oder leben wir in einer Zeit, in der Männer als Memmen gelten, wenn sie sich von Frauen schlagen lassen und Frauen als temperamentvoll, wenn sie ihre Aggressionen gegenüber Männern ausleben? Sollte es keine Hilfsstellen für Männer und Programme für Aggressionsbewältigung für Frauen geben statt Belustigungen im Fernsehen? Zur Klarstellung: Ich sage nicht, dass Männer die „wirklich Unterdrückten“ der Gesellschaft sind oder alle Männer mit einem Gillette sich einen neuen Rasierer kaufen müssen. Aber beim Thema Gewalt von Frauen herrscht einfach noch zu wenig Problembewusstsein. Vielleicht könnte ein großes Unternehmen mit einer bekannten Marke den Start machen und die Botschaft verbreiten: Es ist nicht okay, wenn Frauen zuschlagen.
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Dieser Artikel erschien zuerst auf dem Blog von Jorge Arprin.