Photo: Romain V from Unsplash (CC 0) Sich auf Kosten anderer Vorteile zu verschaffen, indem man staatliche Institutionen und Gelder kapert? Ein echtes Problem für die Bürger und Steuerzahler. Eine gesunde Demokratie sollte sich dagegen allerdings anders wehren als durch weitere Formalisierungen wie Lobbyregister. Lobbyisten sind immer die anderen Der Vorwurf des Lobbyismus ist eine ziemlich schlagkräftige Keule, mit der man Akteure im öffentlichen Diskurs langfristig außer Gefecht setzen kann. Dabei sind Lobbyisten natürlich auch immer nur die Bösen. Thilo Bode etwa, ehemaliger Greenpeace-Geschäftsführer und Gründer von Foodwatch, spricht in seinem letztes Jahr erschienenen Buch „Die Diktatur der Konzerne“ vom „industriell-politischen Komplex“. Sich selber würde er natürlich nie als
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Sich auf Kosten anderer Vorteile zu verschaffen, indem man staatliche Institutionen und Gelder kapert? Ein echtes Problem für die Bürger und Steuerzahler. Eine gesunde Demokratie sollte sich dagegen allerdings anders wehren als durch weitere Formalisierungen wie Lobbyregister.
Lobbyisten sind immer die anderen
Der Vorwurf des Lobbyismus ist eine ziemlich schlagkräftige Keule, mit der man Akteure im öffentlichen Diskurs langfristig außer Gefecht setzen kann. Dabei sind Lobbyisten natürlich auch immer nur die Bösen. Thilo Bode etwa, ehemaliger Greenpeace-Geschäftsführer und Gründer von Foodwatch, spricht in seinem letztes Jahr erschienenen Buch „Die Diktatur der Konzerne“ vom „industriell-politischen Komplex“. Sich selber würde er natürlich nie als Lobbyist bezeichnen … Denn Interessenvertreter, die nicht für internationale „Multis“ und „die Industrie“ tätig sind, fallen in vielen Darstellungen nicht unter die Beschreibung des Lobbyismus. In diesem Weltbild gibt es gute und schlechte Interessen. Die Trennlinie ist klar: wo Profit eine Rolle spielt, sitzen die Bösen.
Man kann das Lobby-Phänomen aber auch anders darstellen. Dass verschiedenste Interessenvertreter ihre Ansichten in den politischen Raum einspeisen, ist zunächst einmal ein ganz normaler Vorgang: Daran hat die Evangelische Kirche Deutschlands ebenso Interesse wie der Backzutatenverband; Bosch ebenso wie attac; olympische Reiterinnen, Schnapsbrennereien, Kleinbühnendarsteller, Sterbehilfe-Aktivisten, Lama-Züchter und der Deutsche Juristentag. Das Problem ist nicht, dass Abgeordnete und Ministerialbeamte mit diesen Gruppen oder Personen im Austausch stehen. Bedenklich wird es dort, wo sich diese Interessenvertreter Zugang zu Entscheidungen oder Mitteln verschaffen, die ihren eigenen Anliegen auf Kosten anderer dienen.
Abgrenzungsprobleme allenthalben
Wenn zum Beispiel ein Unternehmen Politiker davon überzeugt, es aus Steuermitteln vor der Insolvenz zu retten. Oder wenn eine Aktivistengruppe sich für die Einführung bestimmter Regulierungen einsetzt, die bei einem großen Teile der Bevölkerung keine Unterstützung finden würden. Lobbyismus ist in diesem Verständnis eine Methode, um durch die Hintertür etwas zu erreichen, das man im offenen Prozess des politischen Diskurse nicht bekommen würde. Die Trennlinie ist hier allerdings wesentlich weniger leicht zu ziehen. Denn anders als uns manche Demagogen glauben machen wollen: Die Welt ist extrem komplex. Und es ist ein Zeichen zumindest von intellektueller Faulheit, wenn nicht oft von polemischer Tücke, wenn man sofort mit den Kategorien Gut und Böse zur Hand ist.
Ist ein Lobbyregister, wie es derzeit geplant ist, wirklich eine kluge Antwort auf die Problematik, dass sich Einzelinteressen auf Kosten der Allgemeinheit Vorteile verschaffen? Oder werden wir nur in eine weitere Phase der Formalisierung eintreten? Wird es am Ende Quoten geben, die bestimmen, mit welchen Interessensvertretern ein Politiker oder Bürokrat wieviel Zeit zu verbringen hat, wie das Einwände „lobbykritischer“ Organisationen nahelegen würden? Und überhaupt: wer bestimmt, welche der Akteure und Gruppen Lobbyisten sind? Ist eine doch eigentlich natürliche Nähe etwa sozialdemokratischer Politiker zu Gewerkschaften oder grüner zu Umweltverbänden ein Zustand, der geändert werden sollte? Wo hört der inhaltliche Austausch auf und wo beginnt der Lobbyismus?
Regulierungs- und Ausgaben-Exzesse: blühende Lobbyismus-Biotope
Was tun gegen schädlichen Lobbyismus? Es gibt eine relativ klare Antwort, die allerdings leider nicht so schnell umzusetzen sein wird und für die man auch nicht so schnell viele Unterstützer finden wird: Je weniger Budget- und Gesetzgebungskompetenzen bei Politikern und Bürokraten liegen, umso weniger Einfallstore stehen Lobbyisten zur Verfügung. Das unkontrollierte Wuchern von Gesetzgebung, Regulierung und öffentlichen Ausgaben ist das ideale Biotop für Lobbyismus. Diesen Wachstumstrend umzukehren, ist schon eine Herkulesaufgabe. Sie ist zwar machbar, aber nicht in einer Geschwindigkeit, dass dadurch aktuelle Probleme gelöst werden könnten. Paradoxerweise sind die Gruppen im politischen Betrieb, die am schnellsten mit dem Lobbyismus-Vorwurf um die Ecke kommen, auch diejenigen, die am lautesten nach mehr Gesetzen und mehr Ausgaben rufen. Sie schaffen oft selbst die blühenden Lobbyismus-Biotope. Hier täte Selbstreflexion Not!
Doch ein ganz anderer Aspekt muss auch dringend in die öffentlichen Debatten rund um das Thema Lobbyismus hineingetragen werden. Und zwar die Frage, was wir mit dem Schwingen der Lobby-Keule und den zunehmenden Formalisierungen eigentlich unserer Demokratie antun. Hier soll nicht das Lobbyismus-Problem kleingeredet werden. Es tritt uns auch dieser Tage wieder sehr offensichtlich entgegen – von den Corona-Hilfen über „Augustus Intelligence“ bis zu Nord Stream 2. Es ist wichtig, wachsam zu bleiben – und zum Glück bieten uns bestehende rechtliche Regelungen, funktionstüchtige und unabhängige Medien und eine aufmerksame Zivilgesellschaft da jetzt schon hervorragende Instrumente. Doch wenn wir überall nur Lobbyismus am Werk sehen, können wir uns leicht in eine Misstrauensspirale hineinsteigern. Wenn der Lobbyismus-Vorwurf dauernd im Raum herumwabert, wittern wir bei anderen auch sehr viel schneller unlauteres Verhalten. Wir fangen an, kollektive Phobien zu entwickeln, die gegenseitiges Vertrauen dauerhaft erodieren können. Die nächste Eskalationsstufe kann man in einer so grundsoliden Demokratie wie den USA derzeit beobachten: Die dortigen Demagogen auf der linken und rechten Seite übertrumpfen sich gegenseitig mit Korruptionsvorwürfen. Sachliche Auseinandersetzungen werden zur Ausnahme.
Institutionalisiertes Misstrauen ist ein Zeichen autoritärer Herrschaft
Autoritäre Regime ebenso wie innere Feinde der Demokratie leben von Misstrauen. Eines der wertvollsten Elemente der Grundausstattung einer Demokratie dagegen ist Vertrauen. Friedliche Koexistenz und gemeinsame Lösungsfindung – Marktwirtschaft und Demokratie – sind nur möglich, wenn in einer Gesellschaft Vertrauen wächst. Wenn man sich nicht ständig umdrehen muss, weil man fürchten muss, vom anderen übers Ohr oder auf den Kopf gehauen zu werden. Unsere ganze Zivilisation ist darauf aufgebaut, dass Menschen einander immer wieder Vertrauen geschenkt haben. Wie zentral Vertrauen ist, haben die frühen schottischen Moralphilosophen ebenso herausgearbeitet wie Alexis de Tocqueville in seinen Beobachtungen zur Demokratie in Amerika. Und auch zeitgenössische Soziologen und Psychologen können von der Bedeutung dieses „Sozialkapitals“ empirisch fundiert berichten.
Immer raffiniertere Überwachungssysteme zur Verhinderung von Lobbyismus werden das Problem nicht an der Wurzel packen. Aber sie werden wahrscheinlich dazu beitragen, dass sich innerhalb von Politik und Bürokratie ebenso wie in deren Wahrnehmung durch die Bürger Misstrauen wie ein Krebsgeschwür hineinfrisst. Und das ist eine weitaus größere Bedrohung als der gesamte Schaden durch Lobbyismus. Die Frage ist nicht banal: Wollen wir uns mit den unzureichenden Kontrollmechanismen zufriedengeben, die wir derzeit bereits haben, zugleich aber die Vertrauens-Option beibehalten – auch gegenüber politischen Gegnern? Oder sagen wir „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ und institutionalisieren Misstrauen? Keiner sollte blind vertrauen. Aber wir alle sollten bei aller Wachsamkeit und Klugheit unser Bestes dafür tun, eine Kultur des Vertrauens zu pflegen und auszubauen. Es geht um die Fundamente.