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Der geplante Ausstieg der EZB aus den Anleihekaufprogrammen: Das Ende einer geldpolitischen Fiktion

Summary:
Die EZB hat bekannt gegeben, aus ihrem grossen Wertpapierankaufsprogrammen auszusteigen, da die Inflationsrate im Euroraum wieder nahe bei den angestrebten 2 Prozent liege. Dieser Beitrag zeigt, dass diese Argumentation nicht überzeugend ist, da die 2 Prozent an sich wenig aussagekräftig sind. Am 14. Juni hat die EZB bekannt gegeben, dass sie Ende 2018 aus ihren grossen Wertpapierankaufsprogrammen von gegenwärtig 30 Milliarden Euro pro Monat aussteigen will (ECB, 2018).[ 1 ] Begründet wird der Ausstieg damit, dass die Inflationsrate jetzt nahe bei den angestrebten 2 Prozent liege und das Inflationsziel somit erreicht sei. Doch warum sollte es für die Politik der EZB überhaupt von Bedeutung sein, ob die Inflationsrate nahe bei oder unterhalb von 2 Prozent liegt? Die Erklärung

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Die EZB hat bekannt gegeben, aus ihrem grossen Wertpapierankaufsprogrammen auszusteigen, da die Inflationsrate im Euroraum wieder nahe bei den angestrebten 2 Prozent liege. Dieser Beitrag zeigt, dass diese Argumentation nicht überzeugend ist, da die 2 Prozent an sich wenig aussagekräftig sind.

Am 14. Juni hat die EZB bekannt gegeben, dass sie Ende 2018 aus ihren grossen Wertpapierankaufsprogrammen von gegenwärtig 30 Milliarden Euro pro Monat aussteigen will (ECB, 2018).[ 1 ] Begründet wird der Ausstieg damit, dass die Inflationsrate jetzt nahe bei den angestrebten 2 Prozent liege und das Inflationsziel somit erreicht sei. Doch warum sollte es für die Politik der EZB überhaupt von Bedeutung sein, ob die Inflationsrate nahe bei oder unterhalb von 2 Prozent liegt?

Die Erklärung lautet meist wie folgt: Dauerhaft niedrige oder gar sinkende Preise könnten Unternehmen und Verbraucher dazu bringen, Investitionen bzw. ihren Konsum aufzuschieben in der Erwartung, Güter und Dienstleistungen würden in Zukunft noch billiger werden. Eine solche Erwartungshaltung sorge deshalb für einen Rückgang der Nachfrage und führe zu einer Rezession. Erst wenn die Inflationsrate sich der Marke von 2 Prozent annähere, könne garantiert werden, dass solche unheilvollen Deflationserwartungen gar nicht erst aufkommen (Draghi, 2017, Praet, 2016).

Unternehmen investieren aufgrund ihrer Erwartungen

Diese Argumentation ist zwar ein nettes Gedankenexperiment aber in der Realität irrelevant. Kaum jemand ausserhalb der EZB wird ernsthaft annehmen, dass Unternehmen mehr investieren, wenn die Inflationsrate von 1 Prozent auf 2 Prozent steigt. Ob Unternehmen viel oder wenig investieren hängt in erster Linie von den Erwartungen über den zukünftigen Gang der Wirtschaft ab. Inflations- oder Deflationserwartungen spielen im Normalfall eine unbedeutende Nebenrolle. Die Kausalität ist vielmehr umgekehrt. Wenn die Wirtschaft boomt, dann beginnen oftmals auch die Preise zu steigen. Aber mit Preisanstiegen Wachstum erzeugen zu wollen, setzt eine gehörige Portion an geldpolitischer Naivität voraus.

Ein erstes Problem besteht darin, dass es die EZB, ähnlich wie andere Zentralbanken, gar nicht mehr schafft, Inflation bei Gütern und Dienstleistungen zu erzeugen. Denn seit der jüngsten Finanzkrise im Jahr 2008 leben wir in einer geldpolitischen Ausnahmesituation. Zentralbanken haben kaum noch Einfluss auf die Kreditvergabe der Banken, welche zu einer entsprechenden Geldschöpfung bei den Geschäftsbanken führt. Vor 2008 konnten sie den Preis bestimmen, zu dem sie Geschäftsbanken zusätzliche Reserven (Guthaben bei der Zentralbank) zur Verfügung stellten, welche diese wiederum benötigen, um sich bei der Zentralbank Bargeld zu beschaffen und um Mindestreserveanforderungen zu erfüllen. Auf diese Weise waren sie in der Lage, den Geldschöpfungsprozess der Geschäftsbanken zu beeinflussen. Zinssatzerhöhungen führten zu einer Bremsung der Geldschöpfung und Zinssatzsenkungen kurbelten sie tendenziell an, auch wenn letzteres nicht immer wunschgemäss funktionierte.

Doch diese indirekte Einflussnahme über den Zinssatz besteht nur solange, wie die Geschäftsbanken tatsächlich weitere Reserven brauchen, um zusätzliche Kredite zu vergeben. Das ist heute aber nicht mehr der Fall. Dank massiven Wertpapierkaufprogrammen (in der Schweiz Devisenkäufe) der Zentralbanken haben Geschäftsbanken enorme Mengen von Reserven erhalten, von denen sie nur einen Bruchteil effektiv für die Kreditvergabe brauchen. Kurzfristige Refinanzierungsgeschäfte, über welche die Zentralbanken bis 2008 den Geschäftsbanken Reserven zur Verfügung stellten, fanden deshalb seit 2009 praktisch nicht mehr statt und eine konventionelle Geldpolitik gibt es nicht mehr.

Das gilt auch für die EZB. Diese startete ihre gross angelegten Wertpapierankaufsprogramme zwar erst relativ spät im Jahr 2015 aber dann wurde gleich mit der ganz grossen Kelle angerührt. Seit Juni 2016 werden vier Kaufprogramme parallel durchgeführt, wobei der Ankauf von Staatsanleihen (public sector purchase programme) mit Abstand dominierte. Dieser Ankauf von Wertpapieren führte zu einem rasanten Anstieg der Reserven bei den Geschäftsbanken und die Mindestreserveanforderung bei der EZB ist heute mehr als zehnmal übererfüllt. Sie könnten mittlerweile in grossem Stil weitere Kredite vergeben, ohne dass die EZB wirklich die Möglichkeit hätte, dies zu verhindern oder zu fördern.

Höhere Kreditvergabe dank tiefer Zinsen?

Stellt sich die Frage, ob wenigstens die 2015 erfolgte Senkung des Leitzinses auf null Prozent zu einer erhöhten Kreditvergabe der Banken geführt hat. Eine genauere Betrachtung der Daten zeigt, dass dies offenbar funktioniert hat, aber meist nicht dort, wo man es gerne gehabt hätte. Erwünscht gewesen wäre nämlich eine verstärkte Kreditvergabe an Unternehmen, um damit zusätzliche Investitionen zu finanzieren. Nur sind Unternehmenskredite insbesondere an KMU für Banken typischerweise unattraktiv. Solche Kredite bedeuten nämlich viel Aufwand für wenig Ertrag, da man die Kreditfähigkeit individuell abklären muss und ein relativ hohes Risiko verbleibt. Viel angenehmer sind Hypothekarkredite, die standardisiert vergeben werden können und bei denen die Liegenschaft selbst als Sicherheit dient. Also haben Banken eine natürliche Präferenz für Hypothekarkredite.

Umgekehrt spielt der Zinssatz für die Nachfrage nach Krediten zur Finanzierung von Investitionen meist nur eine untergeordnete Rolle, da diese vor allem von Zukunftserwartungen abhängt.  Wichtig ist der Zinssatz jedoch für die Nachfrage nach Hypothekarkrediten. Ob ein Haushalt vier Prozent oder zwei Prozent Hypothekarzins bezahlt, hat auf seine monatlichen Ausgaben ganz entscheidenden Einfluss. Aus diesem Grund haben die tiefen Zinsen in der Eurozone mittlerweile zu einer erhöhten Nachfrage nach Hypothekarkrediten geführt, wofür die Banken auch noch kräftig die Werbetrommel gerührt haben. Hypothekarkredite machen inzwischen in den meisten Euroländern deutlich mehr als 50 Prozent aller von Banken vergebenen Kredite aus, und dieser Anteil steigt ständig weiter an.

Preissteigerungen vor allem auf dem Immobilienmarkt

Fliesst neu geschaffenes Geld aber vor allem auf den Immobilienmarkt, dann beginnen dort und nicht in der Realwirtschaft die Preise zu steigen. Es besteht heute ein enger Zusammenhang zwischen der Vergabe von Hypothekarkrediten und dem Anstieg der Immobilienpreise, den wir in der Schweiz seit dem Jahr 2000 besonders deutlich sehen. (Binswanger, 2015, S. 225-243). Doch auch in der Eurozone wird dieser Zusammenhang immer offensichtlicher. So sind die Hauspreise im Euroraum im Jahr 2017 mit der höchsten Rate seit 2006 gewachsen. Mit andern Worten: der EZB ist es mit ihrer Tiefzinspolitik zwar gelungen, die Inflation bei Immobilienpreisen zu steigern, aber nicht bei Gütern und Dienstleistungen.

Doch halt! Hat die EZB nicht bekanntgeben, dass sie aus ihren Anleihekaufprogrammen aussteigen wird, gerade weil die Inflation bei Güter- und Dienstleistungspreisen jetzt nahe bei zwei Prozent liegt? Das ist zwar richtig, doch bei einer genaueren Analyse der offiziell gemessenen zwei Prozent Inflation zeigt es sich, dass die Zunahme zu einem Grossteil auf den Anstieg der Energie- und Rohstoffpreise zurückzuführen ist. Deren starke Preisschwankungen dominieren die Inflationsentwicklung in der kurzen Frist. Die Kerninflation (ohne Rohstoffe) in der Eurozone betrug im Mai im Vergleich zum Vorjahr lediglich 1.1 Prozent, was von den angestrebten zwei Prozent immer noch weit entfernt ist.

Als Fazit lässt sich somit festhalten: Weder ist die EZB heute in der Lage, den angestrebten Zielwert von zwei Prozent Inflation bei Gütern und Dienstleistungen zu erreichen, noch besitzt dieser Zielwert eine tatsächliche Relevanz für die längerfristige Entwicklung der Wirtschaft. Die super-expansive Geldpolitik der letzten Jahre wurde mit einer geldpolitischen Fiktion begründet, aus der sich die EZB jetzt vorsichtig wieder zu verabschieden versucht.

Binswanger, M. (2015). Geld aus dem Nichts – Wie Banken Wachstum ermöglichen und Krisen verursachen. Wiley Verlag.

Draghi, M. (2017(. Accompanying the economic recovery Introductory speech by Mario Draghi, President of the ECB, at the ECB Forum on Central Banking, Sintra, 27 June 2017.

ECB (2018). Monetary Policy Decisions. Press Release, June 14th.

Praet. P. (2016). The ECB's fight against low inflation: reasons and consequences

Speech by Peter Praet, Member of the Executive Board of the ECB, at Luiss School of European Political Economy, Rome, 4 April 2016.


©KOF ETH Zürich, 5. Jul. 2018

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