Eine aktive Europastrategie zeichnet sich bis zur Neubildung der Kommission nicht ab. Populistische Parteien rufen auch in Europa nach Renationalisierung. Die Österreichische Ratspräsidentschaft hat den Schutz der Grenzen zum zentralen Programm gemacht. Wohlfahrt kann aber langfristig nur gesichert werden durch Investieren und Integrieren. Europa braucht Netto-Immigration und sollte diese durch Anreize für Regionen und Personen dorthin lenken, wo die Nachfrage am höchsten ist. Ausgangslage: Reformstau und Europamüdigkeit Die wirtschaftliche Dynamik Europas hat sich 2017/18 kurzfristig beschleunigt. Verglichen mit der Zeit vor der Finanzkrise, aber auch mit den USA ist sie unbefriedigend und das setzt sich in den mittelfristigen Prognosen fort. Entsprechend bleibt die Stimmung für
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Eine aktive Europastrategie zeichnet sich bis zur Neubildung der Kommission nicht ab. Populistische Parteien rufen auch in Europa nach Renationalisierung. Die Österreichische Ratspräsidentschaft hat den Schutz der Grenzen zum zentralen Programm gemacht. Wohlfahrt kann aber langfristig nur gesichert werden durch Investieren und Integrieren. Europa braucht Netto-Immigration und sollte diese durch Anreize für Regionen und Personen dorthin lenken, wo die Nachfrage am höchsten ist.
Ausgangslage: Reformstau und Europamüdigkeit
Die wirtschaftliche Dynamik Europas hat sich 2017/18 kurzfristig beschleunigt. Verglichen mit der Zeit vor der Finanzkrise, aber auch mit den USA ist sie unbefriedigend und das setzt sich in den mittelfristigen Prognosen fort. Entsprechend bleibt die Stimmung für das gemeinsame Europa und für die Globalisierung schlecht. Europäer sehen nicht das langfristig erfolgreiche Friedensprojekt, sie sehen nicht, dass die EU eine Region mit hohem Lebensstandard und gestiegener Lebenserwartung mit freier Wahl von Studium und Arbeitsplatz ist, sondern betrachten sie als bürokratisch, zerstritten und zentralistisch. Migration wird nicht als notwendig und wohlfahrtserhöhend gesehen, sondern als Bedrohung der eigenen Kultur. In den Mittelpunkt der Politik rückt die Frage, wie man Flüchtlinge abwehren und Grenzkontrollen verstärken oder wiederherrichten kann. EU-Reformen wurden bis nach den Europawahlen 2019 aufgeschoben. Es wird diskutiert, ob Deutschland oder Frankreich oder beide gemeinsam dieses Europa führen sollen. Es ist offen, ob es nicht nach den Europawahlen eine Mehrheit populistischer und nationalistischer Parteien geben wird.
Österreich hat für seine Ratspräsidentschaft die Leitlinie gewählt "Ein Europa, das schützt“. Das ist nicht vorweg eine schlechte Ansage. Sie findet Zustimmung in verschiedensten Lagern, und nimmt Exit- und "My country first“-Strategien etwas Wind aus den Segeln. Aber ökonomische Analysen untermauern, dass der "Schutz“ zu 90 % aus Aktivmaßnahmen bestehen müsste. Defensivmaßnahmen sind auch notwendig, aber sie lösen kein Problem. Sie verschieben es nur zeitlich oder regional. Die Kontrolle der Außengrenzen ist wichtig, die Identität der Migranten und Flüchtlinge muss eindeutig festgestellt werden, humanitäre Rechtsansprüche müssen gesichert sein, unabhängig von der Überlastung der Region, wo Flüchtlinge eintreffen. Wirtschaftliche Ziele der Migration sind absolut zulässig. Auch Europäer haben ihren Wohlstand durch Exporte von Gütern und Import von Technologien aufgebaut. Europäer haben an amerikanischen Universitäten oder in multinationalen Unternehmen Erfahrungen gesammelt und sind "ausgewandert“, um ihre Lebenschancen zu erhöhen.
Die strategische Ausrichtung: Passiv oder aktiv
Wenn die arbeitsfähige Bevölkerung in Europa schrumpft und diese in vielen Regionen in Osteuropa, aber auch in einigen Bezirken in Deutschlands und Österreich um 30 % zurückgeht, aber gleichzeitig die Bevölkerung in der europäischen Nachbarschaft bis 2050 um 80 % steigt (Aiginger, Handler 2017B), dann werden Grenzkontrollen nicht helfen. Völkerwanderungen waren immer stärker als militärischer Schutz. Der einzige wirksame Schutz ist eine Doppelstrategie ("I-Quadrat“): Erstens Investitionen in die Nachbarschaft und zweitens Integration und Lenkung der Migrationsströme im Zielgebiet. Wie bei jeder zukunftsorientierten Strategie wirkt dies nicht sofort, sondern mit Verzögerung. Diese Alternative braucht daher politische Weitsicht und Überzeugungskraft. Dazu könnte ein Land, das die EU-Präsidentschaft für sechs Monate innehat, auf Grund der medialen Aufmerksamkeit einen Beitrag liefern. Digitalisierung und Wettbewerb als Chancen werden auch ergänzend im österreichischen Ratsprogramm angesprochen.
Wenn Europa in die Nachbarländer investiert, gewinnt es einen dynamischen Markt für Exporte ("China vor der Haustür“) und kann die Arbeitslosigkeit senken. Der Nachbargürtel wird mittelfristig um 5% -7% pro Jahr wachsen (Aiginger, Handler 2017A), wobei diese Dynamik von der genauen Definition des "Nachbargürtels“ fast unabhängig ist. Europa kann durch Investitionen auch Stabilität exportieren und Partner in der Globalisierung gewinnen (Aiginger 2017B). Ohne Partner sinkt der Anteil Europas an der Weltbevölkerung auf 5 % und an der Wertschöpfung unter 15%. Investitionen in Bildung können für die zukünftige Migration das Qualifikationsniveau heben. Für die notwendige Dekarbonisierung könnte die südlichen Nachbarschaft ein Labor für neue Technologien unter günstigen Voraussetzungen werden. Wenn die Technologien reifen und billiger werden, kann Europa die unterschriebenen Klimaziele in Europa leichter erreichen und muss Solarpanele nicht aus Asien importieren.
Investieren und Integrieren
Europa sollte etwa 100 Mrd. € zusätzlich in die Nachbarschaft investieren (Aiginger 2017B). Dazu wäre ein Kapital von 10 Mrd. € ausreichend, und dieses kann aus der Kürzung der flächenbezogenen Agrarsubventionen aufgebracht werden. Ein Fonds für Nachhaltige Investitionen (EFSI) ist im Entstehen. Schwerpunkt des europäischen Engagements sollten nicht Straßen und nicht Militärausgaben sein, sondern Bildung und dies mit Vorrang für Verringerung der Armut, Beseitigung der Genderdifferenzen und praxisnaher Ausbildung in einem Lehrlingssystem und in Fachschulen. Auch Sonderzonen und temporäre Auffangzonen nahe der Heimat wären ein Teil der Lösung. Das dürfen aber keine Flüchtlingsquartiere mit Zäunen sein, sondern innovative Zentren, in denen neue Baumethoden, nachhaltige Agrarproduktion und alternative Energiegewinnung getestet werden. Diese Innovationszentren sollten von Zivilorganisationen gemeinsam mit einem europäischen Land und einer internationale Organisation geleitet werden. Auch Ex-Patriots könnten mitwirken und sie sollten unter UN- Schutz stehen.
Migranten und Flüchtlinge müssen stärker und schneller integriert werden. Es soll Anreize geben dorthin zu gehen, wo die Nachfrage am stärksten ist. Heute müssen sie warten, bevor sie arbeiten dürfen, oft auch bevor sie weiter lernen können. Wenn sie zu arbeiten beginnen, wird die staatliche Unterstützung sofort gekürzt. Haben sie eine Qualifikation in der Heimat erworben, wird diese angezweifelt.
Marktwirtschaftliche Verteilungsinstrumente
Die Verteilung der Flüchtlingsströme ist notwendig. Viele Großstädte sind mit Migration überlastet, weil Flüchtlinge dorthin wollen, wo Landsleute sind. Alternativ werden sie in überlaufene Lager gezwungen, die Weiterreise wird verweigert. Eine Verteilung nach einem Länderschlüssel ist gescheitert. Das entspricht der Ironie, dass die Länder, die Migration am stärksten brauchen, diese populistisch verweigern. Hier ist die Lösung die Regionalisierung. Regionen die 30 % der Bevölkerung verlieren, müssen die Entscheidung treffen, ob Schulen, Schulen und Geschäfte abwandern und sie für Firmenansiedlungen unattraktiv werden. Alternativ könnten sie in Infrastruktur und Wirtschaftsparks investieren, wenn sie eine höhere Zahl an Flüchtlingen aufnehmen. Migranten, die dorthin gehen wo es eine Bedarf gibt, soll auch ein attraktiver Übergang zwischen Sozialhilfe und Arbeitseinkommen geboten werden (kein Verlust der Hilfszahlung in den ersten 18 Monaten der Arbeit). Beide ökonomischen Anreize – für Gemeinden und Personen- verbessern die Wohlfahrt mit marktwirtschaftlichen Instrumenten. Sie umgehen populistischen Widerstand der Regierungen gegen eine von der EU-Kommission vorgeschlagenen staatlichen Verteilungsschlüssel.
Die vorgeschlagene Doppelstrategie öffnet Chancen für Europa. Neue Zäune können niedriger sein, Exporte steigen, die negativen Folgen der Alterung werden gemildert. Bildungsmöglichkeiten und Investitionschancen im Nachbargürtel entstehen. Ein Europa das Chancen öffnet – in Europa und für die Nachbarn – ist eine Region, die auch einen langfristigen Schutz gegen eine Völkerwanderung bietet; Zäune können das nicht.
Aiginger, K. (2017A), "How a strong Europe could create more national scope of action", Policy Crossover Center, Flash Paper, 4/2017
Aiginger, K. (2017B), "Die Globalisierung verantwortungsbewusst und europäisch gestalten", Querdenkerplattform: Wien-Europa, Policy Brief, 2/2017.
Aiginger, K., Handler, H. (2017A), Europe taking the lead in responsible globalization, Economics, Discussion Paper 42, July 2017.
Aiginger, K., Handler, H. (2017B) "Towards a European Partnership Policy with the South and the East. Fostering Dynamics, Fighting Root Causes of Migration", Querdenkerplattform: Wien-Europa, Working Paper 3, 2017.
European Commission (2016), African Union: THE AFRICA EU STRATEGIC PARTNERSHIP, Brussels
World Bank (2016), Migration and Remittances Factbook 2016, 3rd edition, Washington, D.C.
World Bank (2018), World Development Report 2018: Learning to Realize Education’s Promise, Washington D.C.
©KOF ETH Zürich, 2. Jul. 2018