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Föderalismus in den Fängen des Nirvana-Fehlschlusses

Summary:
Photo: Stefan Jurca from Flickr (CC BY 2.0) Krankenhäuser vor Ort, kommunale Gesundheitsämter und die Gesundheitsministerien der Länder: Sie alle gehören zur föderalen Ordnung unseres Landes, die sich mal wieder dem Vorwurf des Flickenteppichs ausgesetzt sieht – diesmal durch ihre Reaktion auf die Corona-Epidemie. Politiker aus dem gesamten politischen Spektrum werfen dem Föderalismus vor, dafür verantwortlich zu sein, dass auf unkoordinierte Weise Lösungen und Maßnahmen verschleppt werden, und so tödliche Folgen für die Bürger des gesamten Bundesstaates in Kauf genommen werden. Hinterher ist es jedoch immer einfach, die richtigen Lösungen und Maßnahmen zu sehen und sich über den Prozess der Lösungsfindung zu echauffieren, der notwendigerweise Versuch und Irrtum umfasst. Wer hingegen

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Krankenhäuser vor Ort, kommunale Gesundheitsämter und die Gesundheitsministerien der Länder: Sie alle gehören zur föderalen Ordnung unseres Landes, die sich mal wieder dem Vorwurf des Flickenteppichs ausgesetzt sieht – diesmal durch ihre Reaktion auf die Corona-Epidemie. Politiker aus dem gesamten politischen Spektrum werfen dem Föderalismus vor, dafür verantwortlich zu sein, dass auf unkoordinierte Weise Lösungen und Maßnahmen verschleppt werden, und so tödliche Folgen für die Bürger des gesamten Bundesstaates in Kauf genommen werden.

Hinterher ist es jedoch immer einfach, die richtigen Lösungen und Maßnahmen zu sehen und sich über den Prozess der Lösungsfindung zu echauffieren, der notwendigerweise Versuch und Irrtum umfasst. Wer hingegen glaubt, dass es möglich ist eine perfekte Lösung kostenlos und vor allem ohne Umwege zu finden, sitzt einem Trugschluss auf. Der Flickenteppich des Föderalismus hilft uns, die vergleichsweise besten Lösungen für politische Maßnahmen zu finden, und die Kritik an ihm in der aktuellen Debatte verkennt seine wichtige Rolle.

Der US-amerikanische Ökonom Harold Demsetz setzte sich 1969 mit der Analyse von politischen und ökonomischen Institutionen auseinander und stieß schnell auf einen häufig begangenen Fehlschluss: Real existierende politische und ökonomische Institutionen werden da kritisiert, indem sie mit idealen Gegenentwürfen konfrontiert werden, die am Schreibtisch skizziert werden. Bekannt ist uns dieser hinkende Vergleich aus dem Vergleich von Plan- und Marktwirtschaft. Die real existierende Marktwirtschaft bringt viele imperfekte Ergebnisse hervor – Ungleichheit, Verschmutzung und Filme mit Adam Sandler. Im Vergleich dazu wäre doch ein staatlicher 5-Jahres-Plan mit gleichem Lohn für alle, fliegenden Wasserstoffautos und Filmen ausschließlich besetzt mit Al Pacino und Katharine Hepburn deutlich besser, oder?

Nirvana Fehlschluss: Das Ideal mit der Realität vergleichen

Der Fehlschluss dieser Argumentation wird sofort ersichtlich: die imperfekten Ergebnisse der real existierenden Marktwirtschaft werden einfach mit den idealisierten Ergebnissen des Schreibtisch-Sozialismus verglichen. Anders gesagt: man arbeitet mit zweierlei Maß. Diesen Fehlschluss, eine „ideale Norm mit einem vorhandenen ‚unvollkommenen‘ institutionellen Arrangement“ zu vergleichen, nennt Demsetz den Nirvana-Fehlschluss. Korrekt wäre es, zwei idealisierte Normen oder zwei real existierende Umstände miteinander zu vergleichen. So wird die Schlussfolgerung auch eine andere: im Vergleich mit dem real existierenden Sozialismus wird eine Welt mit Adam-Sandler-Filmen auf einmal sehr viel erträglicher.

Den Nirvana-Fehlschluss kann man nun auch bei der Kritik an der Krisenreaktion des Föderalismus im Rahmen der Corona-Epidemie beobachten. Der untersten Ebene des föderalen Systems, den örtlichen Gesundheitsämtern obliegt es – in Abstimmung mit den anderen kommunalen Behörden und den Landesbehörden -, erste Maßnahmen für den Infektionsschutz einzuleiten. Die Landesbehörden wiederherum sind in der Lage, Gaststätten und Läden zu schließen, um so die Pandemie zu bekämpfen. Den Kritikern zu Folge hätten kommunale Isolationen, Ladenschließungen, die Absage von Veranstaltungen und weitere infektionsschützende Maßnahmen schon viel eher und konsequenter beschlossen und zentral durchgesetzt werden müssen. Zentralstaatliche Maßnahmen wären somit besser geeignet gewesen, um die Epidemie einzuhegen. Die dezentrale deutsche Staatsorganisation in seiner jetzigen Form wird auf diese Weise in Frage gestellt werden. Geschult mit dem Demsetz‘schem Nirvana-Fehlschluss, sollte man aber stutzig werden: Denn die Kritiker vergleichen die imperfekte Krisenreaktion der einzelnen Bundesländer mit der idealen, aber nicht-existenten zentralstaatlichen Reaktion.

Die Krisenreaktion des Föderalismus: Nicht perfekt

Will man dem föderalen System gegenüber aber fair argumentieren, darf man nicht Äpfel mit Birnen bzw. das Ideal mit der Realität vergleichen. In der Realität ist es mehr als fraglich, ob der Bundesstaat besser reagiert hätte als die Länder. So warnte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn noch Mitte Februar vor Verschwörungstheorien, nach denen Kinder der ersten aus China eingereisten Infizierten von der Kita ferngehalten werden sollten. Nachdem sich die Krise Anfang März weiter verschärfte, identifizierte der gleiche Minister wieder eine neue Lage, in der eine Schließung der Grenzen oder Absagen von Großveranstaltungen für unverhältnismäßig und unangemessen erklärt wurden. Die neue Lage, die heute, zwei Wochen später, festzustellen ist: Grenzschließungen, keine Veranstaltungen jeglicher Art und #socialdistancing als trending Hashtag in den sozialen Medien. Die Reaktion der Länder war nicht perfekt, doch wäre es naiv, anzunehmen, dass die Reaktion zentralstaatlicher Behörden umsichtiger und vorausschauender gewesen wäre.
Die Entwicklungen der letzten Tage zeigen sogar, dass die Kleinteiligkeit des Föderalismus von Vorteil ist. Länder und Kommunen können vor Ort am besten beurteilen und entscheiden, was das Beste für die betroffenen Regionen ist. Der Flickenteppich erlaubt, dass in einzelnen Flicken bzw. Regionen experimentiert wird, und gelungene Maßnahmen von anderen Bundesländern übernommen werden. Auf diese Weise ist die bayerische Landesregierung zum Vorreiter in strengen Maßnahmen gegen das Virus geworden, indem sie Anfang der Woche den Katastrophenfall ausrief und damit ein Maßnahmenpaket lostrat, das sich das Bundesgesundheitsminister vor zwei Wochen noch nicht hätte vorstellen können, das aber in den Tagen danach von fast allen Bundesländern übernommen wurde.

Gibt es die perfekte Lösung?

Während es fraglich bleibt, ob es das perfekte Mittel zur Bekämpfung einer solchen Situation wie der Corona-Pandemie überhaupt gibt, ist unfraglich das der deutsche Föderalismus sicherlich nicht perfekt ist. Genau deshalb sollte auch die Suche nach besseren Organisationsformen für unser Zusammenleben nie aufhören. Wenn wir aber Organisationsformen zur Krisenbewältigung miteinander vergleichen, sollten wir fair sein und den Demsetz‘schem Nirvana-Fehlschluss im Hinterkopf behalten und nicht Äpfel mit Birnen vergleichen.

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