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Der Run aufs Gymi ist verständlich

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Monika Bütler Jedes Jahr im März: Tausende Kinder schreiben in Zürich und anderen Kantonen die Gymiprüfung, schwitzen und leiden, freuen sich, wenn es klappt, sind enttäuscht, wenn es nicht klappt. Jedes Jahr werden sie begleitet durch eine Hintergrundserie in den Medien mit den immer gleichen Messages: Gymi ist nicht alles. Angeblich überehrgeizige Eltern werden mit Hohn überschüttet, weil sie ihren nicht so brillanten Nachwuchs  ans Gymi prügeln wollen. Das Ganze wird begleitet vom obligatorischen Lobgesang auf die duale Bildung, ohne den man heute sofort geteert und gefedert wird. Wer allerdings nachschaut, wer all das schreibt, merkt schnell: Die allermeisten Kritiker sind selber ans Gymi gegangen und haben nachher studiert. Der eigene Nachwuchs geht natürlich ebenfalls aufs Gymi. Das ist dann aber etwas gaaaanz anderes: Aron wollte schon mit 3 Griechisch lernen, Lea ist ein Mathegenie und wäre in der Sek hoffnungslos unterfordert, Caesar ist ein Chemietüftler. Wie es die Zeit ausdrückt: Die Akademiker möchten das Gymi gerne für sich behalten. Oft schwingt noch ein Unterton mit, dass die Deutschen Nachbarn das CH Bildungssystem einfach nicht kapieren wollen. Liegen denn die gescholtenen Eltern und Kandidaten so falsch? Wir wissen noch so wenig, was die digitale Revolution alles bringt.

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Monika Bütler

Jedes Jahr im März: Tausende Kinder schreiben in Zürich und anderen Kantonen die Gymiprüfung, schwitzen und leiden, freuen sich, wenn es klappt, sind enttäuscht, wenn es nicht klappt. Jedes Jahr werden sie begleitet durch eine Hintergrundserie in den Medien mit den immer gleichen Messages: Gymi ist nicht alles. Angeblich überehrgeizige Eltern werden mit Hohn überschüttet, weil sie ihren nicht so brillanten Nachwuchs  ans Gymi prügeln wollen. Das Ganze wird begleitet vom obligatorischen Lobgesang auf die duale Bildung, ohne den man heute sofort geteert und gefedert wird.

Wer allerdings nachschaut, wer all das schreibt, merkt schnell: Die allermeisten Kritiker sind selber ans Gymi gegangen und haben nachher studiert. Der eigene Nachwuchs geht natürlich ebenfalls aufs Gymi. Das ist dann aber etwas gaaaanz anderes: Aron wollte schon mit 3 Griechisch lernen, Lea ist ein Mathegenie und wäre in der Sek hoffnungslos unterfordert, Caesar ist ein Chemietüftler. Wie es die Zeit ausdrückt: Die Akademiker möchten das Gymi gerne für sich behalten. Oft schwingt noch ein Unterton mit, dass die Deutschen Nachbarn das CH Bildungssystem einfach nicht kapieren wollen.

Liegen denn die gescholtenen Eltern und Kandidaten so falsch? Wir wissen noch so wenig, was die digitale Revolution alles bringt. Aber sicher nicht weniger von den noch wenig zielgerichteten Fähigkeiten, die das Gymi vermitteln will und es meistens sogar erreicht. Das Gymi ist anstrengend, offeriert aber neben Wissensvermittlung auch eine Zeit der Orientierung, des Ausprobierens und des Nachdenkens. Ganz nutzlos kann dieser Weg nicht sein, wie die grosse Zahl importierter Akademiker zeigt.

Die Attraktivität der gymnasialen Bildung hat allerdings auch handfeste Gründe. Erstens ist es für viele Kinder viel zu früh, mit 14 Jahren eine Lehrstelle suchen zu müssen. Zum Ende der Schulpflicht sind viele Kinder noch weit weg, einigermassen informierte Entscheidungen zu treffen. Eine Lehre machen, nur um danach die Passarelle zu machen, ist für den Lehrbetrieb unbefriedigend (er wird um eine hoffnungvolle Nachwuchskraft gebracht), für den jungen Mann oder die junge Frau sehr aufwändig (fragen sie die Absolventen).

Es fehlt, zweitens, vielerorts ein 10. Schuljahr, eine 4. Sek sozusagen, für die guten SchülerInnen. Heute muss man ironischerweise einem begabten Kind mit Lehrwunsch fast raten, ans Gymi zu gehen. Nicht nur, um sich die Optionen offen zu halten, sondern um bei einem späteren Entscheid nicht ein Jahr in einer Orientierungsstufe mit nicht ganz so motivierten Mitschülern verbringen zu müssen. Ein Skandal zudem, dass das 10 Schuljahr in vielen Gemeinden 10000 Franken und mehr kostet, während die Privilegierten am Gymi nur Kopien und Ausflüge extra bezahlen müssen.

Zu guter Letzt ist das Gymnasium ein vom Steuerzahler paradiesisch ausgestattetes Privileg für die guten Schüler. Dieses Privileg anstreben zu wollen, ist ja nicht so unverständlich. Ich würde mir sogar wünschen, die Gymis würden bei ihren Demos gegen den Bildungsabbau nicht nur die wegfallenden Nebenfächer thematisieren, sondern dafür kämpfen, das Privileg der gymnasialen Bildung auch anderen begabten Kindern zu ermöglichen.

Die Diagnose, dass nicht immer die Richtigen ans Gymi gehen ist so falsch nicht. Dieses Problem löst man nicht mit einem erschwerten Zugang, sondern durch  geeignete Methoden, welche die bisher zu wenig berücksichtigten Kinder identifizieren und fördern (oft Knaben mit nicht akademisch geschulten Eltern).

Dass übermotivierte Eltern ihren minderbegabten Nachwuchs gegen deren Willen ans Gymi prügeln, ist ohnehin eine Legende. Die allermeisten Kinder wollen selber und wissen auch – wenn auch vage – weshalb. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, den heutigen Eltern ständig Führungsschwäche in der Erziehung vorzuwerfen. Ausgerechnet bei einer äusserst wichtigen Entscheidung, die eine sehr lange Zeit betrifft, sollten die Eltern dann nicht mehr reinreden. Wir würden gescheiter den Ehrgeiz der 12-14 jährigen Jugendlichen und ihrer Eltern applaudieren statt kritisieren. Wir werden ihn brauchen können.

Monika Bütler
Professorin für Volkswirtschaft und geschäftsführende Direktorin des Schweizerischen Instituts für Empirische Wirtschaftsforschung (SEW) an der Universität St. Gallen (HSG), Vorstand der Volkswirtschaftlichen Abteilung der HSG. Lizentiat in Mathematik/Physik, mehrjährige Tätigkeiten am Eidgenössischen Institut für Schnee- und Lawinenforschung in Davos und bei der damaligen Swissair. Zweitstudium und Doktorat in Volkswirtschaftslehre, danach Assistenzprofessur in Tilburg (Niederlande) und Professur an der HEC Lausanne. Forschungsschwerpunkte: Sozialversicherungen, Arbeitsmarkt, politische Ökonomie und Informationsökonomik.

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