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Überholte ökonomische Ideen

Summary:
Die Ökonomik wird kritisiert – teilweise zurecht. Wie an liebgewonnenen Dingen hängen auch Ökonomen stark an alten Ideen. Diese Ideenkammer stets aufs Neue zu entrümpeln ist Teil des Erkenntnisprozesses. Die Volkswirtschaftslehre ist ein beliebtes Angriffsobjekt.[ 1 ] Den Ökonomen wird immer wieder ein verfehltes Bild des Menschen – der homo oeconomicus – unterstellt. Seit der Finanzkrise von 2008 wird ihnen auch immer wieder vorgehalten, sie hätten die Konjunkturentwicklung nicht vorausgesagt. Viele Wirtschaftswissenschaftler stehen solchen Angriffen etwas ratlos gegenüber. Sie wissen, dass die Figur eines ausschliesslich rationalen und nur eigennützigen Menschen seit langem überholt ist und nicht mehr vertreten wird. Vielmehr sind in den letzten Jahrzehnten viele wichtige

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Bruno S. Frey, David Iselin considers the following as important:

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Die Ökonomik wird kritisiert – teilweise zurecht. Wie an liebgewonnenen Dingen hängen auch Ökonomen stark an alten Ideen. Diese Ideenkammer stets aufs Neue zu entrümpeln ist Teil des Erkenntnisprozesses.

Die Volkswirtschaftslehre ist ein beliebtes Angriffsobjekt.[ 1 ] Den Ökonomen wird immer wieder ein verfehltes Bild des Menschen – der homo oeconomicus – unterstellt. Seit der Finanzkrise von 2008 wird ihnen auch immer wieder vorgehalten, sie hätten die Konjunkturentwicklung nicht vorausgesagt.

Viele Wirtschaftswissenschaftler stehen solchen Angriffen etwas ratlos gegenüber. Sie wissen, dass die Figur eines ausschliesslich rationalen und nur eigennützigen Menschen seit langem überholt ist und nicht mehr vertreten wird. Vielmehr sind in den letzten Jahrzehnten viele wichtige Erkenntnisse der Psychologie in die Volkswirtschaftslehre integriert worden. Diese Aspekte sind in einem eigenen Teilgebiet, der "Psychologischen Ökonomik" vertieft worden.

Ähnlich ist es mit dem Vorwurf, die Finanzkrise von 2008 nicht vorausgesehen zu haben. Damit wird etwas verlangt, was keine Wissenschaft leisten kann. Wer behauptet, die zukünftige Entwicklung der Finanzmärkte zu kennen, übersieht, dass dies prinzipiell unmöglich ist. Wer es wüsste, könnte ohne Problem Multimilliardär werden. Wenn jemand mit Sicherheit weiss, dass der Kurs einer Aktie in einem Monat um z.B. 50% höher sein wird, kann er oder sie Kredit aufnehmen, die Aktie zum tieferen Preis erwerben und einen Monat später mit riesigem Gewinn verkaufen. Allerdings ist dies zu einfach gedacht, denn wenn er oder sie heute eine grössere Anzahl von Aktien erwirbt, wird der Preis schon heute ansteigen. Dies gilt besonders dann, wenn mehrere Personen Gewissheit über den zukünftigen Kurs haben, was in der Regel zu erwarten wäre.

Schöpferische Zerstörung

Dies bedeutet keineswegs, dass die Ökonomik nicht verbesserungsfähig wäre. Das Gegenteil ist der Fall: Sie muss sich in vielerlei Hinsicht weiter entwickeln. Dazu ist es sinnvoll, überholte Theorien und Ideen über Bord zu werfen. Dies entspricht der Vorstellung des grossen österreichischen Ökonomen Joseph Schumpeter, wonach Fortschritt erzielt wird, indem man sich überholter Teile der Wirtschaft entledigt. Zerstörung ist in dieser Hinsicht schöpferisch, auch wenn darunter die nicht mehr produktiven Teile der Wirtschaft leiden. Die Volkswirtschaftslehre verliert nicht an Kraft, wenn sie überholte Teile ihres Theoriegebäudes aufgibt.

Die Finanzkrise von 2008 hat deutlich gemacht, dass viele wirtschaftliche Zusammenhänge nicht abschliessend geklärt und viele Vorstellungen überholt sind. Dabei hat sich die Ökonomik als flexibel erwiesen. Lange als allgemein akzeptiert betrachtete Ideen werden von Ökonomen nicht mehr vertreten. Dazu gehört etwa die Annahme rationaler Erwartungen auf Finanzmärkten, die stetige Effizienz von Märkten oder dass der individuelle Nutzen nur vom absoluten Konsumniveau abhängt.

Allerdings sind ein paar Altlasten übrig geblieben. In der Öffentlichkeit wie auch von Ökonomen selber wird weiterhin Ideen Aufmerksamkeit geschenkt, die man schon längst vergessen sollte. So geht zum Beispiel die ökonomische Theorie noch davon aus, dass Individuen mehr und besser arbeiten, je mehr Lohn sie erhalten. In vielen Lehrbüchern zeigt sich das typischerweise an einer steigenden Kurve entlang der Entschädigungszahlung. Dies gilt jedoch nur, wenn Menschen ausschliesslich extrinsisch motiviert sind. Die intrinsische Motivation geht dabei völlig vergessen. Diese ist bei vielen sozialen Tätigkeiten extrem wichtig, insbesondere beruht der wichtige Bereich der Freiwilligenarbeit darauf. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass extrinsische Anreize in Form der monetären Entlohnung die intrinsische Motivation untergräbt. Dieser sogenannte Verdrängungseffekt ist besonders auf dem Arbeitsmarkt gefährlich, wenn leistungsbezogener Lohn dazu führt, intrinsische Motivation zum Nachteil der Arbeit zu verdrängen. Auch im Umweltbereich oder bei sonstigen Belohnungen können rein extrinsisch ausgestaltete Belohnungssystem schaden. Extrinsische Anreize erhöhen somit die Leistung nicht immer; in gewissen wichtigen Fällen können sie diese sogar vermindern. Der viel beschworene relative Preis-Effekt funktioniert in diesem Zusammenhang nicht.

Zudem haben Ökonomen lange kulturellen Faktoren bei der Erklärung von ökonomischen Effekten zu wenig Raum gegeben bzw. nicht realisiert, dass die Ökonomie Teil einer Narrationskultur ist. Unternehmen haben schon lange entdeckt, dass sich nicht Fakten, sondern Geschichten verkaufen. Ökonomen erzählen ebenfalls Geschichten, aber es scheint ihnen selber oftmals nicht genügend bewusst zu sein. Damit zusammen hängt das beinahe naturwissenschaftliche Selbstverständnis vieler Ökonomen bei der Erklärung sozialer Phänomene. Die Ökonomik ist eingebettet in eine sozialgeschichtliche Entwicklung, die auch heute noch für ihre Anwendung Bedeutung hat. Es gibt Schulen wie die Neoklassik, Keynesianismus etc., denen wir eher unbewusst als bewusst folgen.

Die Überlegenheit der Ökonomen

Diese Sicht auf die Dinge hat auch zu einer Einengung geführt, wie Ökonomen forschen sollen. Die auf riesigen Zahlenmengen aufbauende empirische Ökonomik ist dominant, hingegen wird wenig geistesgeschichtlich argumentiert. Damit im Zusammenhang steht auch ein Überlegenheitsgefühl gegenüber anderen Sozialwissenschaften. Wie die Soziologin Marion Fourcade und ihre Kollegen Etienne Ollion und Yann Algan in ihrem Beitrag "The Superiority of Economists[ a ]" in der Zeitschrift Economic Perspectives treffend beschreiben, hat die Ökonomik die restlichen Sozialwissenschaften an den Rand gedrängt und sich sozusagen imperialistisch in den anderen Disziplinen ausgebreitet. Dieser Siegeszug ist bemerkenswert. Er äussert sich u.a. darin, dass Ökonomen mehr verdienen als beispielsweise Soziologen, Nobelpreise kriegen (können) und in wichtigen leitenden Positionen (sowohl in Staatsstellen, als auch in der Privatindustrie) zu finden sind. Manche Ökonomen deuten dies als Zeichen ihrer eigenen Überlegenheit. Solche Begründungen übersehen allerdings ein paar strukturelle Ursachen, die auch Ökonomen zumindest im Hinterkopf behalten sollten. Erstens ist die Ökonomik, ähnlich wie die Physik oder die Philosophie, eine nach wie vor männerdominierte Wissenschaft mit den entsprechenden darunterliegenden geschlechtsspezifischen Charakteristika der Art der sozialen Schichtung, des Wettbewerbs etc. Die Hierarchien in der Ökonomie sind klarer festgezurrt als in anderen Disziplinen. Die Vertreter der besten Universitäten dominieren in den wichtigsten Zeitschriften. Keine Sozialwissenschaft ist zudem so stark auf Rankings fixiert. Zudem gibt es eine unité de doctrine in der mathematischen Sprache und Modellen, die aber nicht zwingend die Wirklichkeit besser beschreibt. Ökonomen sollten nicht vergessen, dass die soziale Wirklichkeit damit nicht adäquat erfasst werden kann. Vielmehr sollten sie eine breitere Sicht einnehmen, bei der bisher vernachlässigten Aspekten und Anschauungen mehr Raum gegeben wird.

Fourcade, Marion, Etienne Ollion und Yann Algan (2015). The Superiority of Economists[ a ]. Economic Perspectives.

Frey, Bruno S. und David Iselin (Hrsg.) (2017). Economic Ideas You Should Forget[ b ]. Springer: New York.


©KOF ETH Zürich, 14. Aug. 2017

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