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Brexit schafft neue europapolitische Optionen für die Schweiz

Summary:
Wenn Grossbritannien aus der EU austritt, braucht es eine Struktur, um den europaweiten Binnenmarkt zu sichern. Das könnte der Schweiz neue Optionen eröffnen, beispielsweise über eine Stärkung der EFTA mit Grossbritannien als Mitglied. Dieser Beitrag zeigt die Möglichkeiten. Der Brexit-Entscheid der Briten ist ein Signal für eine Neuordnung in Europa. So hat eine fünfköpfige Expertengruppe kürzlich einen vielbeachteten Vorschlag für eine "Continental Partnership" präsentiert. Damit beginnt allmählich die Diskussion, welche Auswirkungen der Brexit für die EU und für ganz Europa haben könnte. Euro als Zentrifugalkraft Diese Diskussion wurde durch die wachsenden institutionellen Spannungen innerhalb der EU ausgelöst. Die eigentliche Ursache liegt in der Währungsunion, welche zunehmend als Zentrifugalkraft innerhalb der EU wirkt. Die Euro-Krise führte zu einer beträchtlichen wirtschaftlichen Kluft zwischen Südeuropa und dem übrigen Europa, was die Migration aus den südeuropäischen Ländern verstärkt. Zudem löst die Eurokrise auf politischer Ebene weitere Integrationsschritte aus, mit dem Ziel, die Funktionsweise der Währungsunion zu verbessern. So wurde die Bankenunion eingeführt und im Bericht der fünf Präsidenten werden zusätzliche Schritte diskutiert wie ein Europäischer Fiskalausschuss oder Massnahmen zur makroökonomischen Stabilisierung des Euro-Währungsgebiets.

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Wenn Grossbritannien aus der EU austritt, braucht es eine Struktur, um den europaweiten Binnenmarkt zu sichern. Das könnte der Schweiz neue Optionen eröffnen, beispielsweise über eine Stärkung der EFTA mit Grossbritannien als Mitglied. Dieser Beitrag zeigt die Möglichkeiten.

Der Brexit-Entscheid der Briten ist ein Signal für eine Neuordnung in Europa. So hat eine fünfköpfige Expertengruppe kürzlich einen vielbeachteten Vorschlag für eine "Continental Partnership" präsentiert. Damit beginnt allmählich die Diskussion, welche Auswirkungen der Brexit für die EU und für ganz Europa haben könnte.

Euro als Zentrifugalkraft

Diese Diskussion wurde durch die wachsenden institutionellen Spannungen innerhalb der EU ausgelöst. Die eigentliche Ursache liegt in der Währungsunion, welche zunehmend als Zentrifugalkraft innerhalb der EU wirkt. Die Euro-Krise führte zu einer beträchtlichen wirtschaftlichen Kluft zwischen Südeuropa und dem übrigen Europa, was die Migration aus den südeuropäischen Ländern verstärkt. Zudem löst die Eurokrise auf politischer Ebene weitere Integrationsschritte aus, mit dem Ziel, die Funktionsweise der Währungsunion zu verbessern. So wurde die Bankenunion eingeführt und im Bericht der fünf Präsidenten werden zusätzliche Schritte diskutiert wie ein Europäischer Fiskalausschuss oder Massnahmen zur makroökonomischen Stabilisierung des Euro-Währungsgebiets. Solche Massnahmen verlagern weitere Kompetenzen an EU-Institutionen und reduzieren die Steuerungsmöglichkeiten bzw. die Souveränität der einzelnen Mitgliedstaaten.

Brexit als Notausstieg

Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass der Austritt von Grossbritannien zum jetzigen Zeitpunkt erfolgt: Das Land, welches weder den Euro übernehmen noch weiter Kompetenzen an die EU übertragen wollte, musste mitansehen, wie es zunehmend an Einfluss innerhalb der EU verlor und noch weiter verlieren würde. Von dieser Entwicklung sind jedoch auch andere EU-Mitgliedstaaten potenziell betroffen, insbesondere jene Länder, welche ihre eigene Währung behalten wollen und nicht von Nettozahlungen profitieren. Es ist deshalb nicht auszuschliessen, dass andere Nicht-Euro-Mitgliedstaaten, welche nun ohne Grossbritannien noch verstärkt in der Minderheit sind, ebenfalls mittelfristig ein neues Arrangement suchen.

Abkommen zur Sicherung des europaweiten Binnenmarkts

Die EU steht folglich vor der grossen Herausforderung, dass der EU-Binnenmarkt langfristig ein europaweiter Binnenmarkt bleibt. Dabei geht es nicht nur um die Teilnahme der zweitgrössten Volkswirtschaft Europas, sondern möglicherweise in Zukunft auch anderer europäischer Ländern aus dem Kreis der EFTA und auch der EU, welche eine auf den Binnenmarkt begrenzte Integration präferieren und beispielsweise eine autonome Währungs-, Fiskal-, Handels- und allenfalls Migrationspolitik führen wollen.

Zwei Fragen stehen im Vordergrund: Welche Elemente soll der Binnenmarkt umfassen und wie kann sich der Binnenmarkt weiterentwickeln, ohne dass dadurch Schranken entstehen? Die erste Frage steht momentan im Zentrum des Interesses. Die Autoren der Continental Partnership vertreten die Ansicht, dass ein europaweiter Binnenmarkt den gegenseitigen Marktzugang für Güter, Dienstleistungen und Kapital beinhalten müsse. Das bedingt gemeinsame Regeln und Standards oder deren gegenseitige Anerkennung. Die Personenfreizügigkeit sei nicht zwingend, hingegen brauche es eine gewisse Arbeitsmobilität, damit der freie Austausch von Gütern, Dienstleistungen und Kapital möglich ist. Denn der Marktzutritt bei Gütern und Dienstleitungen wird durch die Mobilität von Mitarbeitern wesentlich erleichtert. Dies gilt nicht nur für multinationale Konzerne, sondern auch für KMU, die europaweit tätig sein wollen. Diese Ansicht basiert auf der ökonomischen Theorie, wonach der internationale Handel mit Gütern, Dienstleistungen und Kapital ein (wenn auch unvollständiges) Substitut für die Mobilität von Arbeitskräften ist.

Knacknuss institutioneller Mechanismus

Der schwierigste Punkt der Verhandlungen zwischen Grossbritannien und der EU dürften aber die institutionellen Fragen sein, wie sich der europaweite Binnenmarkt weiterentwickeln kann, ohne dass dadurch Marktzutrittsschranken oder Verzerrungen entstehen. Bislang war die Lösung jene, dass die EU den Binnenmarkt definiert und die anderen Länder sich an diese Entwicklung andocken können. Notwendig war deshalb eine Regelung, die garantiert, dass die von der EU entwickelten Regeln von den angeschlossenen Ländern übernommen und einheitlich umgesetzt werden. Der Mechanismus im EWR legt folglich das Schwergewicht auf die einheitliche Auslegung und Durchsetzung, während die Mitgestaltung eher schwach ausgeprägt ist. Immerhin kann ein EFTA-EWR-Land die Übernahme einer EU-Gesetzgebung in das EWR-Recht (zumindest temporär) verhindern, da dafür Einstimmigkeit verlangt wird. Die Schweiz hat diese Regel nicht übernommen und trägt dafür die Kosten einer unvollständigen Teilnahme am EU-Binnenmarkt, behält im Gegenzug aber eine gewisse eigene Gestaltungsmöglichkeit.

Mit Grossbritannien wird nun eine grosse europäische Volkswirtschaft nicht mehr Mitglied der EU sein. Grossbritannien wird sich kaum mit einer Andock-Lösung zufrieden geben. Auch ein partieller Nachvollzug, wie ihn die Schweiz praktiziert, ist nicht sonderlich attraktiv, weil dadurch kein einheitlicher europaweiter Binnenmarkt langfristig garantiert ist. Es wird deshalb nötig sein, dass die Regeln in diesem europaweiten Binnenmarkt gemeinsam festgelegt werden und gemeinsame Organe (ausserhalb der EU) dafür verantwortlich sind, Konflikte zwischen den teilnehmenden Ländern zu regeln. Auch wenn diese Entwicklung für die EU bedeutet, dass sie einen Teil der Kontrolle über den Binnenmarkt abtreten muss, kann sie auf diese Weise erstens den europaweiten Binnenmarkt sichern, und zweitens schafft sie Kapazitäten, um die besonders von den Euro-Ländern gewünschte Vertiefung anzustreben.

Optionen für die Schweiz

Diese neue Ausgangslange ermöglicht der Schweiz, aus der europapolitischen Aussenseiterrolle herauszufinden. Dabei ist die Schweiz damit in der Vergangenheit nicht schlecht gefahren. Jedoch macht die EU die Weiterentwicklung der bilateralen Verträge von einem intentionellen Abkommen abhängig und gleichzeitig verdüstert sich das internationale Umfeld. Der Protektionismus bezüglich internationalem Handel und internationalen Direktinvestitionen nimmt gerade in den G20-Ländern weiter zu, die WTO- Verhandlungen stecken fest und Handels- und Investitionsabkommen sind zunehmend überregional. Es besteht folglich die Gefahr, dass die Schweiz bei der Aushandlung von wichtigen Abkommen nicht beteiligt ist und im besten Fall sich lediglich daran anschliessen kann.

Neue Aufgabe für die EFTA?

Sollte es zu einer Neugestaltung der Institutionen in Europa kommen, ist die Schweiz gut beraten, daran mitzuwirken. Eine Option, welche von Carl Baudenbacher vorgeschlagen wurde, ist, die EFTA als zweite Struktur in Europa aufzubauen. Darin wären all jene Länder vertreten, welche am europaweiten Binnenmarkt teilnehmen, ohne jedoch eine politische Integration anzustreben. Die EU und die EFTA würden dann zusammen die Institutionen für den europaweiten Binnenmarkt bilden. Das setzt natürlich voraus, dass Grossbritannien Mitglied der EFTA würde.

Welches sind die Vorteile einer EFTA-Mitgliedschaft Grossbritanniens? Der wesentliche Pluspunkt für die Schweiz liegt darin, dass dadurch die EFTA aufgewertet und wieder an Gewicht gewinnen würde. Damit hätte die Schweiz einen stärkeren Partner bei der institutionellen Ausgestaltung der Beziehungen mit der EU. Das grössere wirtschaftliche und politische Gewicht von Grossbritannien könnte dazu beitragen, dass eine aus der Sicht der Schweiz bessere Regelung der institutionellen Fragen mit der EU gefunden werden könnte als die bisherige Regelung im EWR und auch als die Lösung, welche sich aufgrund der laufenden bilateralen Verhandlungen abzeichnet. Das zusätzliche Gewicht der EFTA wäre auch beim Aushandeln internationaler Handelsvereinbarungen vorteilhaft, wie beispielsweise bei einem allfälligen Anschluss an das TTIP. Als Nebeneffekt wäre damit auch der gegenseitige Marktzutritt zwischen Grossbritannien und der Schweiz auf einfache Art im Rahmen der EFTA zu lösen.

Es bleibt die Frage, weshalb dieser Weg für Grossbritannien attraktiv sein soll. Wenn dieses Land eine Lösung haben will, welche auch für andere europäische Länder (EFTA-Mitglieder als auch für Nicht-Euro-Mitgliedstaaten der EU) interessant sein soll, ist eine bilaterale Lösung zwischen Grossbritannien und der EU nicht zweckmässig, da diese nicht erweitert werden kann. Für diesen Fall ist eine institutionelle Lösung nötig, welche alle Nicht-EU-Mitgliedstaaten einschliessen kann, die am europaweiten Binnenmarkt partizipieren wollen. Zusätzlich könnte die EFTA Grossbritannien ermöglichen, die mit dem Austritt aus der EU wegfallenden EU-Freihandelsabkommen mit den EFTA-Abkommen zu ersetzen. Die EFTA hat zurzeit 27 Freihandelsabkommen mit 38 Ländern in Kraft, welche im Grossen und Ganzen deckungsgleich sind mit den Handelsabkommen der EU.

Schlussfolgerungen

Mit dem Brexit entsteht die Chance einer Neuordnung innerhalb Europas. Dies eröffnet der Schweiz die Möglichkeit, aus ihrer Sonderrolle auszubrechen. Wenn es gelingt, die EFTA zu einer Institution weiter zu entwickeln, welche bei der Festlegung und Entwicklung des europaweiten Binnenmarktes auf Augenhöhe mit der EU mitwirkt, dann kann für die Schweiz eine attraktives Paket entstehen, das die Teilnahme am europaweiten Binnenmarkt langfristig besser sichert als die heutigen Verträge, und gleichzeitig dank der verstärkten Einflussnahme effektive Gestaltungsmöglichkeiten zulässt.

©KOF ETH Zürich, 20. Okt. 2016

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