Eine Stabilitätspolitik "deutscher Prägung" scheint nicht mit dem neokeynesianischen Mainstream, wie ihn die EZB vertritt, vereinbar. Allerdings, so dieser Beitrag, fehlt eine präzise Gegenüberstellung der Argumente, um sich für die eine oder die andere Seite entscheiden zu können. Otmar Issing argumentierte im Interview in der Wirtschaftswoche vom 28.7.2017: "Auf wissenschaftlichen Konferenzen stehen Ökonomen deutscher Prägung mittlerweile da, als seien sie nicht mehr auf der Höhe der Zeit!" Das erklärt vielleicht auch eine Besonderheit im deutschen ökonomischen Schrifttum: Bisher fehlt jeglicher Artikel, der explizit die Stabilitätspolitik "deutscher Prägung" mit dem neokeynesianischen Mainstream vergleicht. Vielleicht fürchten deutsche Makroökonomen, mit einem solchen Beitrag
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Eine Stabilitätspolitik "deutscher Prägung" scheint nicht mit dem neokeynesianischen Mainstream, wie ihn die EZB vertritt, vereinbar. Allerdings, so dieser Beitrag, fehlt eine präzise Gegenüberstellung der Argumente, um sich für die eine oder die andere Seite entscheiden zu können.
Otmar Issing argumentierte im Interview in der Wirtschaftswoche vom 28.7.2017: "Auf wissenschaftlichen Konferenzen stehen Ökonomen deutscher Prägung mittlerweile da, als seien sie nicht mehr auf der Höhe der Zeit!" Das erklärt vielleicht auch eine Besonderheit im deutschen ökonomischen Schrifttum: Bisher fehlt jeglicher Artikel, der explizit die Stabilitätspolitik "deutscher Prägung" mit dem neokeynesianischen Mainstream vergleicht. Vielleicht fürchten deutsche Makroökonomen, mit einem solchen Beitrag auf das wissenschaftliche Abstellgleis zu geraten. Dieser deutsche Ansatz ist aber wissenschaftlich durchaus berechtigt. Ein Beitrag, der das zeigt, könnte den folgenden gedanklichen Ablauf verfolgen:[ 1 ]
Der Mainstream der deutschen Ökonomen geht davon aus, dass eine niedrige Staatsverschuldung eine gute Staatsverschuldung ist. Im Vordergrund steht, wieviel Staatsverschuldung langfristig tragfähig in dem Sinne ist, dass sie in überschaubarer Zeit auf ein vertretbares Maß zurückgeführt werden kann, etwa gemessen an den Maastricht-Kriterien. Parallel dazu orientiert sich die Geldpolitik der Zentralbank - früher Deutsche Bundesbank und dann Europäische Zentralbank - allein am Ziel der Geldwertstabilität und unterstützt nicht die Budgetfinanzierung, auch nicht indirekt. Die Wachstumsförderung ist allein dem Unternehmenssektor überlassen, dessen Struktur daher in Richtung auf innovative Produkte und Verfahren unterstützt wird. Auch die Rahmenbedingungen im Arbeitsmarkt (Hartz-Reform) und im Sozialsystem (Rente erst mit 67) werden wachstumsfreundlich gestaltet. Zwar gibt es im politischen System gelegentliche Rückschläge, aber aufs Ganze gesehen ist mit dieser stabilitätsorientierten Sicht der Staatsverschuldung das Erfolgsrezept beschrieben, das es Deutschland möglich machte, in Europa so gut aus der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008-2009 hervorzugehen.
Dieser stabilitätsorientierten Sicht steht seit einiger Zeit die ganz andere Sicht mehrerer großer Staaten gegenüber, beginnend mit Japan seit etwa 1990, zumindest teilweise gefolgt von USA und Großbritannien und neuerdings offen propagiert von Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank. Die Argumentation ist ungefähr wie folgt: Im Hintergrund steht die Sorge vor einer säkularen Stagnation als einer Situation, in der die gesamtwirtschaftliche Nachfrage dauerhaft nicht ausreicht, um das Produktionspotenzial auszuschöpfen und befriedigendes Wachstum zu sichern.[ 2 ] Stattdessen wird längerfristige Arbeitslosigkeit und eine Tendenz zur Deflation, also zu negativen Inflationsraten und entsprechenden negativen Erwartungen, befürchtet. Um dem zu begegnen, so dieser andere eher neokeynesianische Ansatz, ist es Aufgabe einer nunmehr expansiven Geldpolitik, die Zinsen deutlich zu senken, auf diese Weise Investitionen und Konsum zu stärken und durch diese zusätzliche Nachfrage die befürchtete Deflation und eine nachfolgende Rezession oder gar Depression zu vermeiden. Dies geht so weit, dass inzwischen negative Zinsen geboten werden, d. h. wenn Geld angelegt (und nicht für Konsum und Investition ausgegeben) wird, muss der Anleger dafür bezahlen. Das betrifft die Banken, wenn sie bei der Notenbank Geld deponieren wollen, und den Anleihekäufer, wenn er Staatsanleihen kauft. Zu den Instrumenten dieser Niedrigzinspolitik gehört die Erleichterung der staatlichen Schuldaufnahme durch Anleihekäufe der Notenbank.
Die erhöhte Schuldaufnahme soll ihrerseits durch öffentliche Mehrausgaben zur gewünschten Erhöhung von Konsum und Investition beitragen. So hat sich die Staatsverschuldung in Japan von 1990 mit unter 50% des BIP auf über 230% im Jahre 2015 erhöht. Die zunehmende Staatsverschuldung durch eine solche Politik wird bei der Diskussion der jeweiligen Schritte, beispielsweise des nächsten "Zinsschritts" und des nächsten Ankaufs von Staatsanleihen, weitgehend ausgeblendet. Wie ein Staat von einer Verschuldung von mehreren hundert Prozent des Sozialprodukts jemals wieder in Richtung Tragfähigkeit herunterkommen soll, ist dabei völlig unklar und offenbar nicht Gegenstand der Diskussion.
Ein solcher Artikel würde zum einen das Interesse der Kollegen finden. Zum anderen und vor allem aber könnte man dem Studenten, der zu dieser Kontroverse etwas wissen will, endlich einen Artikel empfehlen. Veröffentlichungen, in denen die Standpunkte nebeneinander beschrieben werden, gibt es zwar.[ 3 ] Was fehlt ist die explizite Gegenüberstellung mit Vergleich der Argumente, der jeweiligen Wirkung auf den Außenhandel usw. Wer sich zu einem solchen Artikel erschließt, erhält vom Verfasser die Anlagen von Jens Weidmann zu seinem Brief, die er als Elemente der deutschen Position kennzeichnet und zur Verfügung gestellt hat, also sozusagen autorisierte Elemente der deutschen Position.
©KOF ETH Zürich, 18. Sep. 2017