Thursday , March 28 2024
Home / Ökonomenstimme / Unternehmertum im Blut?

Unternehmertum im Blut?

Summary:
Unternehmerkultur wird häufig als Erklärungsversuch für regionale Unterschiede in Unternehmenstätigkeit herangezogen. Empirisch ist der Einfluss der Kultur allerdings schwer quanitifizierbar. Zwei Schweizer Besonderheiten erlauben uns jedoch, den Einfluss der Kultur quasi-experimentell zu betrachten. Dabei zeigt sich, dass Individuen mit kultureller Herkunft in deutschsprachigen Schweizer Gemeinden 20% mehr Firmen gründen als solche mit kultureller Herkunft in französischsprachigen Gemeinden. Neugegründete Unternehmen sorgen nicht nur für zusätzliche Arbeitsplätze, sie sind auch treibende Kraft hinter Innovationstätigkeit und Wirtschaftswachstum. Berechnungen für die Vereinigten Staaten bemessen den Anteil neugegründeter Unternehmen am Produktivitätszuwachs auf 25% (Foster et al.,

Topics:
Katharina Erhardt, Simon Hänni considers the following as important:

This could be interesting, too:

Swiss National Bank writes 2024-03-25 – Data portal – Important monetary policy data, 25 March 2024

Cash - "Aktuell" | News writes Der starke Franken erleidet einen Schwächeanfall

Cash - "Aktuell" | News writes Stromausfall in Teilen des Baselbiets, Solothurns und des Elsass

Cash - "Aktuell" | News writes «Herr Weisskopf, welche Weine machen als Anlage derzeit Sinn?»

Unternehmerkultur wird häufig als Erklärungsversuch für regionale Unterschiede in Unternehmenstätigkeit herangezogen. Empirisch ist der Einfluss der Kultur allerdings schwer quanitifizierbar. Zwei Schweizer Besonderheiten erlauben uns jedoch, den Einfluss der Kultur quasi-experimentell zu betrachten. Dabei zeigt sich, dass Individuen mit kultureller Herkunft in deutschsprachigen Schweizer Gemeinden 20% mehr Firmen gründen als solche mit kultureller Herkunft in französischsprachigen Gemeinden.

Neugegründete Unternehmen sorgen nicht nur für zusätzliche Arbeitsplätze, sie sind auch treibende Kraft hinter Innovationstätigkeit und Wirtschaftswachstum. Berechnungen für die Vereinigten Staaten bemessen den Anteil neugegründeter Unternehmen am Produktivitätszuwachs auf 25% (Foster et al., 2001), in Ländern mit starken Wachstumsraten geht man sogar von einem Anteil von bis zu über 50% aus (Asturias et al., 2017). Sowohl Forschung als auch Politik haben daher ein fundamentales Interesse zu ergründen, was genau die Unternehmenstätigkeit einzelner Länder und Regionen bestimmt. Neben klassischen institutionellen Faktoren wie der Steuerpolitik und des Konkursrechts, taucht auch immer wieder der Begriff der Unternehmerkultur als Erklärungsversuch auf. Dieser Gedanke ist mitnichten neu, spätestens seit Max Weber spricht man der Kultur eine wichtige Rolle für diverse wirtschaftliche Unterschiede zu.

So einleuchtend das Konzept Unternehmerkultur auf den ersten Blick wirkt, so stellt es uns empirisch doch vor grosse Herausforderungen. Wie soll man die gesetzlichen Rahmenbedingungen einer Region getrennt von der vorherrschenden Kultur betrachten? Weist eine Region mehr Firmengründungen auf, weil Steuern und Absatzmärkte für Unternehmen besonders vorteilhaft sind oder ist doch die lokale Unternehmerkultur die treibende Kraft? Oder beeinflussen und verstärken sich beide Kanäle am Ende sogar gegenseitig?

Idealerweise müsste man die Frage nach der Unternehmerkultur experimentell beantworten, indem man Individuen aus ihrem angestammten Kulturraum entführt und zufällig in ein neues Umfeld verfrachtet. Durch die zufällige Zuordnung zu einer neuen Umgebung könnte man Unterschiede in Unternehmensgründungen dann tatsächlich auf die Kultur zurückführen und deren Rolle auch bemessen. Selbstverständlich ist dieses Experiment ein reines Gedankenspiel. Aber es hilft uns darüber nachzudenken, unter welchen Umständen wir diesem hypothetischen Experiment sehr nahe kommen.

In der Tat können uns hier zwei Schweizer Besonderheiten helfen. Zum einen umfasst die Schweiz bekanntermassen deutsche, französische, italienische und rätoromanische Sprach- und Kulturgebiete. Diese verschiedenen kulturellen Regionen sind sehr eindeutig abgegrenzt: Innert weniger Kilometer wechselt die jeweilige Hauptsprache komplett. Man kann jeden Ort daher eindeutig einem Kulturkreis zuordnen. Die deutsch-französische Sprachgrenze verläuft zu einem grossen Teil sogar innerhalb von drei Kantonen, ohne jegliche geographische Barrieren. Überschreitet man in diesen zweisprachigen Kantonen die Sprachgrenze, ändert sich tatsächlich auch institutionell nichts, ausser eben die vorherrschende Sprache. Wir fokussieren uns in unserer Analyse daher auf Gemeinden an der deutsch-französischen Sprachgrenze, die innerhalb der zweisprachigen Kantone liegen.

Um nun aber Kultur unabhängig von den sonstigen Rahmenbedingungen zu betrachten, nutzen wir eine zweite Schweizer Besonderheit: den sogenannten Heimatort. In offiziellen Dokumenten und Eintragungen bedient sich der Schweizer Staat anstelle des sonst auf der Welt üblichen Geburtsortes des Heimatsorts, d.h. des Ortes an dem die männlichen Vorfahren eines Schweizers oder einer Schweizerin ihren Ursprung hatten. Das Konzept des Heimatorts entstand im 18. Jahrhundert und hat sich seither kaum verändert. In der Vergangenheit spielte der Heimatort eine grosse Rolle, da man dort Anspruch auf öffentliche Güter hatte und dort auch seine politische Rechte ausübte. Als sich im Verlaufe des 19. und 20. Jahrhunderts aber mehr und mehr Bürger ausserhalb ihres Heimatortes niederliessen, verlor der Heimatort zusehends an Einfluss. Heute haben in der typischen Schweizer Gemeinde lediglich 14% der Bewohner auch ihren Heimatort an ebendiesem Ort.

Für uns ist die Registrierung des Heimatorts aber ein Glücksfall, denn sie erlaubt uns Individuen mit unterschiedlichem kulturellem Ursprung innerhalb des gleichen Umfelds zu vergleichen. In unserer Analyse vergleichen wir die Anzahl gegründeter Unternehmen zwischen Schweizern mit einem Heimatort gerade westlich der Sprachgrenze und Schweizern mit Heimatort gerade östlich der Sprachgrenze.  Da wir die Gründungen von Individuen mit verschiedenen Heimatorten innerhalb der jeweiligen heutigen Wohngemeinden vergleichen, können wir perfekt für das Umfeld des Unternehmens kontrollieren und alle beobachteten Unterschiede auf den unterschiedlichen kulturellen Hintergrund zurückführen.

Es zeigt sich, dass Schweizer mit einem Heimatort im deutschsprachigen Kulturraum 20% mehr Firmen gründen als Schweizer mit einem Heimatort im französischsprachigen Kulturraum, unabhängig davon wo sie heute wohnen. Wir beobachten denselben Effekt zum Beispiel sowohl für Individuen mit Wohnsitz in Genf, als auch in Zürich. Wir finden den Effekt auch wenn wir die einzelnen zweisprachigen Kantone separat betrachten. Letzteres schliesst viele alternative Erklärungen aus, denn die Sprachgrenzen der drei Kantone unserer Analyse – Bern, Wallis und Fribourg – grenzen nicht einmal aneinander und sind bis zu zwei Autostunden voneinander entfernt. Die Tatsache, dass wir in jedem einzelnen der Kantone einen entsprechenden Effekt finden spricht daher sehr dafür, dass hier die Sprache und damit die Kultur die entscheidende Rolle spielt. Der Effekt bleibt auch bestehen, wenn wir uns ausschliesslich die assimilierten Unternehmer ansehen, wobei letztere darüber definiert sind, dass ihr Vorname typisch für ihren Wohnort ist. Daraus können wir schliessen, dass der kulturelle Hintergrund auch über Generationen hinweg noch eine Rolle spielt.

In einem zweiten Schritt nehmen wir die neugegründeten Unternehmen genauer unter die Lupe und finden dabei praktisch keine Unterschiede zwischen den Kulturen: Die Aufteilung der Unternehmen nach Wirtschafssektoren und Rechtsform ist nahezu identisch. Ausserdem sind die gegründeten Unternehmen von Individuen mit Wohnort westlich und östlich der Sprachgrenze im Schnitt gleich gross und haben gleich gute Überlebenschancen.

Kommen wir zurück zur Ausgangsfrage: Welche Faktoren nehmen Einfluss auf die Unternehmensgründungsraten? Wir sehen, dass der kulturelle Hintergrund eine sehr wichtige Rolle spielt. Aber was genau ist denn nun anders zwischen den beiden Kulturgruppen? Was genau das Wesen des Unternehmers ausmacht, ist eine sehr alte Frage und der Kern einer historischen Debatte zwischen Schumpeter (1934) und Knight (1921). Schumpeter geht davon aus, dass die unternehmerischen Fähigkeiten den entscheidenden Unterschied machen. Knight glaubt eher, dass die Risikoaversion entscheidend ist. Wenn wir die Analyse genauer betrachten, sehen wir, dass Individuen mit deutschsprachigem kulturellem Hintergrund zwar mehr Firmen gründen als Individuen mit kulturellen Wurzeln in der französischsprachigen Schweiz, die gegründeten Firmen aber gleichwertig sind. Dies spricht klar für Knights These, denn wären die einen bessere Unternehmer, müssten auch ihre Firmen im Schnitt besser sein. Ein alternativer Erklärungsansatz im Einklang mit der Analyse wäre, dass Schweizer mit deutschsprachigem Hintergrund einfach eine stärkere Präferenz für die Selbstständigkeit haben.

Wenn wir uns verschiedene Umfragen unter Schweizern  ansehen, finden wir Evidenz für beide Erklärungen: Französischsprachige Schweizer scheinen tatsächlich risikoaverser zu sein als deutschsprachige Schweizer. Zudem scheinen deutschsprachige Schweizer auch eine stärkere Präferenz für verantwortungsvolle Jobs zu haben und möchten gerne Eigeninitiative im Beruf ausüben – Eigenschaften die man gemeinhin mit Selbstständigkeit assoziiert.

Zum Schluss bleibt noch die Frage nach der Grössenordnung. Was genau bedeuten nun die 20% mehr Firmengründungen? Eine vorsichtige Hochrechnung ergibt, dass sich der Effekt allein im Beobachtungszeitraum von 2002-2016 in 25‘000 Firmen niederschlägt, die zusätzlich aufgrund  einer deutschsprachigen kulturellen Herkunft gegründet wurden. Legt man die durchschnittliche Beschäftigung der in diesem Zeitraum gegründeten Firmen zu Grunde, sprechen wir von rund 120‘000 Stellen, die zusätzlich geschaffen wurden. Das entspricht rund 2,5% der Schweizer Beschäftigten.

Erhardt, K. and S. Hänni (2018). Born to be an Entrepreneur? How Cultural Origin Affects Entrepreneurship. KOF Working Paper No. 446.

Foster, L., J. Haltiwanger, and C. Krizan (2001). Aggregate productivity growth: Lessons from microeconomic evidence. In New Developments in Productivity Analysis, pp. 303-372. National Bureau of Economic Research, Inc.

Knight, F. H. (1921). Risk, uncertainty and profit. New York: Hart, Schaffner and Marx.

Schumpeter, J. A. (1934). The theory of economic development. Cambridge, MA, Harvard University.

Weber, M. (1905). The protestant ethic and the" spirit" of capitalism. Archiv für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik.

©KOF ETH Zürich, 10. Jan. 2019

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *